Gesichter der MS 2023: Tabea Lüthi

Gesichter der MS

Ich bin Tabea, 24 Jahre alt und wohne schon immer sehr ländlich im Kanton Solothurn. Durch mein Leben begleiten mich mein langjähriger Freund, unsere vier Katzen und unser Hund Amy.

In welchem Alter bekamst du die Diagnose MS? Geschah das sensibel oder «optimierungsbedürftig»?
Meine MS Diagnose bekam ich Ende 2021 im Alter von 22 Jahren. Drei Jahre zuvor bekam ich bereits die Diagnose meiner ersten chronischen Erkrankung, Rheuma. Bei beiden Erkrankungen wurde mir zu Beginn leider nicht geglaubt und meine Symptome wurden nicht ernst genommen. Erst als ich einen stärkeren Schub hatte, in Form einer halbseitigen Gefühlsstörung im Gesicht, führte man die nötigen Untersuchungen durch und stellte mir dann offiziell die Diagnose.

Was war dein allererster Gedanke nach der Diagnose MS? Was hast du danach getan?
Bereits schon vor meiner Diagnose hatte ich im Gefühl, dass es MS sein wird. Darum konnte ich mich schon vorher damit auseinandersetzen und mich damit zurechtfinden. Für mich war das allerschwierigste, es meiner Familie mittzuteilen. Ich wusste, dass sie damit zu kämpfen haben werden, auch auf Grund meiner Krankheitsgeschichte. Am Tag der Diagnose wollte ich unbedingt einen «Frust-Kauf» machen. Also kaufte ich mir ein Deko-Schaf. Das steht seither vor meiner Haustüre, ich nenne es liebevoll «MS-Schöfli».

Vom Zeitpunkt der Diagnose bis heute: Wie hat sich deine Einstellung zur MS verändert? 
Ich versuche mich so wenig wie möglich und so viel wie nötig zu Informieren. Sonst mache ich mich selbst verrückt. Die MS, sowie meine anderen Erkrankungen sind ein Teil von mir. Sie gehören nun einfach zu mir dazu.

Welche Symptome machen dir heute am meisten zu schaffen? Wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Im Alltag merke ich am meisten die Fatigue sowie meine Konzentrationsstörung. Zudem hatte ich bei meinem letzten Schub Spastiken in den Beinen, seither fällt mir das Laufen auch ein wenig schwer. Dies erschwert mir teilweise die vermeintlich einfachsten Dinge.

Stichwort Therapien: Welche machst du, und wie kommst du damit zurecht?
Da ich bereits seit 2019 für mein Rheuma regelmässig Medikamente in Form von Spritzen nehme, gestaltete sich die Therapie der MS zu Beginn schwierig. Niemand konnte mir die Auswirkungen dieser beiden starken Immunsuppressiva in gleichzeitiger Verwendung sagen. Schlussendlich haben sich die Ärzte gemeinsam für eine Ocrevus Infusion entschieden. Diese funktioniert momentan sehr gut mit meinen Rheuma Spritzen zusammen. Ob, und falls ja, welche Auswirkungen diese langfristig haben werden, weiss man aber nicht.

Gab es Entscheidungen, die du dich vor der Diagnose nie getraut hättest?
Ich bin allgemein etwas mutiger geworden. Ich lebe viel bewusster und schätze jeden guten Tag. Die Gesundheit ist das Wertvollste, das sollte man niemals vergessen. Manchmal ein weniger egoistischer sollte ich aber noch werden.

Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben? Was würdest du ihnen heute gerne sagen?
Abgewendet eigentlich nicht, aber teilweise haben sie eine andere Sichtweise auf mich. Allgemein würde ich gerne allen ans Herz legen, nicht zu verurteilen. Mittlerweile sind mir andere Meinungen egal, zu Beginn hat es mich aber zum Teil schon sehr verletzt.

Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Von denen du das vielleicht gar nie erwartet hättest?
Meine Familie und mein Umfeld. Ich verbringe nur noch Zeit mit Menschen, die mir ein positives Gefühl geben. Ohne meine Familie, speziell meinen Freund, hätte ich vieles nicht so gut überstanden wie ich es habe und hätte das ein oder andere Mal vielleicht schon aufgegeben.

Wenn du in den Spiegel schaust: Was siehst du?
Ich sehe eine starke, junge, aber auch verletzliche Frau.

Gab es schon Situationen, in denen du dich für deine Krankheit rechtfertigen musstest?
Unendliche Male… Sei es vor Bekannten oder sogar vor Ärzten. Bei jeder meiner Diagnosen musste ich mich rechtfertigen, weil ich ja noch so jung sei und es doch gar nicht sein kann, schon so krank zu sein. Wenn man nicht in ein gewisses Schema passt, wird es schwierig.

Was ist dein grösster Verlust durch die MS?
Ich kann gewisse Dinge nicht oder nicht gleich machen, wie andere in meinem Alter. Das sind manchmal alltägliche Dinge oder auch grössere Themen, wie zum Beispiel die Familienplanung, die ein wenig komplizierter, ist unter diesen Medikamenten.

Hat dir die MS im Gegenzug etwas gegeben, was du vorher nicht hattest oder kanntest?
Durch jede meiner Krankheiten bin ich gewachsen. Jede hat mich auf eine andere Art und Weise etwas gelehrt und ich bin dadurch gereift.

Gibt es eine Erwartungshaltung an MS-Betroffene, immer positiv und optimistisch zu sein? Wie gehst du damit um?
Ich höre oft, dass man mir nichts anmerkt, da ich ja immer so positiv sei. Dabei sehen die meisten vielleicht höchstens 5 Minuten von meinem gesamten Tag. Ich habe gelernt damit umzugehen und habe akzeptiert, dass das mein Leben ist. Ich versuche, es so gut wie möglich zu leben. Aber auch ich habe meine emotionalen und schlechten Momente, wo ich mich einfach frage, warum das alles so ist, wie es ist.

Hat die MS Konsequenzen für deine Partnerschaft/Beziehungen, emotional und körperlich?
Gerade zu Beginn meiner Partnerschaft bekam ich meine erste Diagnose. Ich weiss noch, wie ich ihm die Frage stellte, ob er damit leben kann, dass ich für den Rest meines Lebens krank sein werde. Er hat nie daran gezweifelt und war immer stark für mich, wenn ich es nicht mehr sein konnte.

Körperlich sind gewisse Dinge durch meine Erkrankungen nicht möglich. Ich bin viel schneller erschöpft oder habe einfach weniger Kraft. Ich versuche aber immer, möglichst dabei zu sein und wenn das mal nicht möglich ist, ist das auch vollkommen in Ordnung.

Gibt es so etwas wie eine goldene Regel fürs «MS-Outing»? Wie gehst du damit um?
Einfach offen und ehrlich sein. Ich spreche immer offen über meine Erkrankungen, ich mag es lieber, wenn man Interesse zeigt und mich direkt fragt, wenn einem etwas auf der Zunge liegt.

Spielen Ernährung und komplementäre Verfahren eine Rolle in deinem Leben mit MS?
Ich habe Verschiedenes ausprobiert. Jedoch hatte ich seit mehr als 2 Jahren sehr starke Probleme mit meinem Darm. Auch nach unzähligen Untersuchungen fand man die Ursache nicht. Gegen Ende konnte ich gar nichts mehr essen. Vergangenen Februar erhielt ich die Diagnose meiner Darmerkrankung und wurde eine Woche später operiert. Seither kann ich glücklicherweise wieder normal essen. Daher kommt für mich eine Ernährungsumstellung nicht in Frage, ich esse viel zu gerne und schätze es sehr, dies wieder zu können.

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen engsten Vertrauten sprechen möchtest?
Ich habe am meisten mit der Ungewissheit zu kämpfen. Was ist der nächste Schub und wann kommt dieser? Man weiss nie, wie der nächste Tag aussieht. Darüber spreche ich ungerne, aber auch das gehört dazu.

Welches sind die «Top 3» der Sätze, die du über MS nicht mehr hören kannst?Aus meiner Sicht spricht man viel zu wenig und zu selten über Erkrankungen. Darum finde ich es wichtig, so viel wie möglich darüber aufzuklären. Kein Thema diesbezüglich empfinde ich als nervig, ich finde es wichtig meinen Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Aus diesem Grund habe ich den Podcast «bittersweet» ins Leben gerufen, um unter anderem mit Vorurteilen aufzuräumen oder einfach aus dem Alltag mit einer chronischen Erkrankung zu berichten. Hört gerne mal rein…

In der direkten Konfrontation mit Vorurteilen oder Irrtümern, wie reagierst du?
Ich versuche Unklarheiten zu klären und meine Ansichten zu schildern. Stosse ich dann weiterhin auf Unverständnis, kann ich dieser Person leider auch nicht weiterhelfen.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige oder traurige Erlebnisse?
Ich habe dadurch einige MS-Betroffene kennengelernt und daraus entstanden schöne Freundschaften, die ich nicht mehr missen möchte.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich versuche immer auf meinen Körper zu hören und probiere, mich möglichst nicht zu überlasten. Im Sommer bin ich gerne im Wasser, da dies auch gut für meine Gelenke ist. Ansonsten bin ich viel an der frischen Luft oder tue einfach Dinge, die mich glücklich machen.

Hast du ein Hobby? Etwas, was dich total begeistert?
Mein grösstes Hobby sind meine Tiere. Sie sind immer an meiner Seite und stärken mich. Mit meinem Hund Amy unternehme ich viel, sie gibt mir viel Lebensfreude und dadurch bin ich immer mal wieder in Bewegung.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Ich finde es unglaublich wichtig, dass es die MS Gesellschaft gibt. Da jeder, egal ob direkt Betroffener oder Angehörige, dort Informationen oder Unterstützung finden.


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