Gesichter der MS 2023: Susanne Marugg

Gesichter der MS

Ich bin Susanne Marugg, 55 Jahre alt und lebe im schönen Unterengadin. Mit meinem Mann bin ich jetzt fast 35 Jahre verheiratet, wir haben 3 erwachsene Kinder und 3 Enkelkinder.

Wir leben hier auf einem Bauernhof, den wir vor 3 Jahren unserer Tochter mit ihrer Familie übergeben haben. Seit gut 4 Jahren gehe ich wieder meinem erlernten Beruf Kauffrau nach, was mir grossen Spass macht.

In welchem Alter bekamst du die Diagnose MS? Geschah das sensibel oder «optimierungsbedürftig»?
Meine Diagnose bekam ich vor etwas mehr als 2 Jahren, am 8. April 2021. Ich hatte bereits eine Vorahnung, da ich bereits zwei Jahre zuvor die gleichen Symptome hatte. Auch früher hatte ich immer wieder einmal das eine oder andere «Wehwechen», diese kann ich jetzt zuordnen. Mein Neurologe wollte von mir selbst hören, was ich haben könnte, für mich war dies in Ordnung.  Ob dies aber eine gute Lösung für andere Betroffene ist, bezweifle ich.

Was war dein allererster Gedanke nach der Diagnose MS? Was hast du danach getan?
Irgendwie war ich erleichtert, ich hatte einen Namen für meine Symptome und nicht mehr das Gefühl, ein Hypochonder zu sein. Ich habe meine Familie und anschliessend meinen Arbeitgeber informiert, dieser hat ja mitbekommen, dass es mir während des Schubes nicht so gut ging. Danach musste ich mich im Medikamentendschungel zurechtfinden und mich mit meinem Arzt für ein Medikament entscheiden.

Ich habe es ein Jahr lang mit Rebif versucht, habe jedoch die Spritzerei immer schlechter vertragen. Jetzt bin ich bei Vumerity, wo ich morgens und abends je zwei Tabletten einnehmen muss. Leider bekomme ich auch da zum Teil noch Flushs, die jeweils ca. 10 bis 15 Minuten andauern.

Vom Zeitpunkt der Diagnose bis heute: Wie hat sich deine Einstellung zur MS verändert? 
Ich habe meine MS von Anfang an akzeptiert und angenommen und auch nie darüber nachgedacht, «warum ich»? Für mich ist wichtig, dass ich mit der MS lebe und nicht die MS mit mir. Wir alle haben einen Rucksack zu tragen und es macht keinen Sinn, rückwärts zu sehen oder abzuwägen, wer es besser oder schlechter getroffen hat. Ich schaue vorwärts und freue mich, dass ich mein Leben, bis auf ein paar sportliche Einschränkungen, im Moment so weiterleben kann, wie bisher.

Welche Symptome machen dir heute am meisten zu schaffen? Wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Gefühlsstörungen in den Füssen und Beinen verbunden mit gelegentlichen Gleichgewichtsstörungen. Bei Sonnenschein ist bei mir die Sonnenbrille zur Standardausrüstung geworden, mir macht die Helligkeit zu schaffen.

Stichwort Therapien: Welche machst du, und wie kommst du damit zurecht?
Ausser den Medikamenten mache ich im Moment keine Therapie. Ich schaue aber für mich, dass ich mich jeden Tag genügend bewege, auch wenn es nicht immer angenehm ist, den Spaziergang zu Ende zu gehen.

Gab es Entscheidungen, die du dich vor der Diagnose nie getraut hättest?
Ich habe letzten Herbst eine Weiterbildung begonnen. Ohne MS hätte ich diese sicher weiter hinausgezögert.

Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben? Was würdest du ihnen heute gerne sagen?
Nein, ich habe einen überschaubaren Freundes- und Bekanntenkreis und die stehen auch weiterhin zu mir.

Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Von denen du das vielleicht gar nie erwartet hättest?
Ich kann mein Leben weiterhin selbständig führen und bin somit im Moment nicht auf fremde Unterstützung angewiesen. Ich finde bei meiner Familie alles, was ich brauche. Mein Mann und meine Kinder sind immer für mich da und meine Grosskinder fordern mich auf ihre liebe Art. Ich muss nur die richtige Balance finden, um im Gleichgewicht zu bleiben.

Wenn du in den Spiegel schaust: Was siehst du?
Eine Frau, die mit ihrem Leben glücklich ist und vorwärts schaut.

Gab es schon Situationen, in denen du dich für deine Krankheit rechtfertigen musstest?
Nein, wenn ich das Gefühl habe, ich schaffe etwas im Moment nicht, dann teile ich dies bereits im Voraus mit.

Was ist dein grösster Verlust durch die MS?
Ich kann sportlich nicht mehr meinem grossen Hobby, dem Indiaca-Spiel nachgehen. Da hatte ich viele schöne Momente mit meinen Teamkameraden.

Hat dir die MS im Gegenzug etwas gegeben, was du vorher nicht hattest oder kanntest?
Ich bin allgemein ruhiger geworden und nehme nicht mehr alles so wichtig wie früher. Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt. Keiner, auch nicht MS-Betroffene, können sagen, was morgen sein wird. Einfach das Heute geniessen.

Gibt es eine Erwartungshaltung an MS-Betroffene, immer positiv und optimistisch zu sein? Wie gehst du damit um? 
Das kann ich so nicht sagen. Ich bin grundsätzlich positiv eingestellt, da steht es auch MS-Betroffen zu, einmal einen schlechten Tag zu haben, das haben nicht Betroffene ja auch.

Hat die MS Konsequenzen für deine Partnerschaft/Beziehungen, emotional und körperlich?
Nein, wir leben unsere Partnerschaft/Beziehung gleich weiter, wie vor der Diagnose. Einschränkungen gibt es bis jetzt nicht.

Die MS und deine Arbeit: Geht das gut? Oder gibt es Probleme? 
Ich bin froh, konnte ich vor 4 Jahren wieder in meinen erlernten Beruf einsteigen. Im Büro kann ich meine Arbeit erledigen, so wie es von jedem anderen auch erwartet wird. Meinem Arbeitgeber habe ich von Anfang an meine Diagnose mitgeteilt und damit habe ich bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht. Bei der körperlichen Arbeit auf dem Hof und im Garten brauche ich schon meine Auszeiten, da geht nicht mehr alles so einfach und ich brauche mehr Pausen dazwischen, damit ich am nächsten Tag nicht erschöpft bin.

Gibt es so etwas wie eine goldene Regel fürs «MS-Outing»? Wie gehst du damit um?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt ist. Ich habe es bis auf die Familie, Freunde und den Arbeitgeber nie aktiv mitgeteilt. Wenn es sich in einem Gespräch ergibt, erzähle ich von meiner MS.

Spielen Ernährung und komplementäre Verfahren eine Rolle in deinem Leben mit MS?
Ich schaue auf eine gesunde Ernährung, komplementäre Verfahren habe ich bis jetzt nicht in Anspruch genommen.

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen engsten Vertrauten sprechen möchtest?
Bis jetzt konnte ich über alles sprechen, ich hoffe das bleibt so. Die MS ist bei uns trotz meinen dauerhaften Missempfindungen nicht immer präsent. Wir möchten unser Leben so normal wie möglich weiterführen.

Welches sind die «Top 3» der Sätze, die du über MS nicht mehr hören kannst?
Falls es da einmal etwas gibt, habe ich für mich gelernt, dass es Wichtigeres gibt, als sich darüber zu ärgern.

In der direkten Konfrontation mit Vorurteilen oder Irrtümern, wie reagierst du?
Ich habe bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht, ich wurde darauf angesprochen oder gefragt. Dadurch wurden keine falschen Annahmen getroffen und ich konnte selbst erklären, wie es mir geht.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige oder traurige Erlebnisse?
Keine, die ich direkt mit der MS in Verbindung bringen könnte.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich entspanne mich beim Spazieren oder Musik hören. Einfach das tun, was einem Freude bereitet und sich in dieser Zeit nicht stören lassen.

Hast du ein Hobby? Etwas, was dich total begeistert?
Ich bin gerne im Garten und der Natur. Im Winter bin ich jeweils noch kurz auf den Skiern unterwegs. Ich unternehme gerne etwas mit meiner Familie.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Ich habe schon an Veranstaltungen teilgenommen, wähle diese aber ganz gezielt aus. Als ich die Medikamentenumstellung hatte, habe ich mich auch zusätzlich bei der MS-Gesellschaft informiert. Ich versuche, nicht zu viele Informationen zu bekommen, da es bei jedem Betroffenen sowieso  anders ist und es keinen Sinn macht, zu wissen, was zu wieviel Prozent sein könnte. Entweder man hat etwas zu 100% - oder gar nicht.


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