Gesichter der MS 2023: Emily Habegger

Gesichter der MS

Ich bin Emily, 22 Jahre alt und wohne im schönen Kanton Luzern mit meiner Mama, ihrem Freund und mit unserer Katze Bonita.

In welchem Alter bekamst du die Diagnose MS? Geschah das sensibel oder «optimierungsbedürftig»?
Ich bin wegen Kribbeln und Taubheitsgefühl im rechten Bein zum Arzt und ich hatte schon längere Zeit Rückenschmerzen. Ich wurde in die Neurologie überwiesen. Die machten ein MRI vom Kopf und Wirbelsäule im Februar 2023. Als ich einen Monat später die Besprechung hatte, dachte ich zuerst es sei nichts, jedoch fand man im Kopf sowie in der Wirbelsäule Läsionen. Die Aussage von der Ärztin: Es könnte MS sein, aber ich soll mir keine Gedanken machen, es könnten auch viele andere Ursachen sein, die das auslösen. Ich musste anschliessend 3 Tage im Mai eine Kortison-Stosstherapie machen. Leider ohne Erfolg. Eine Woche später lag ich im Spital und mir wurden 7 Tage jeweils Kortison am Morgen über die Venen gelassen. Die Rückenmarkpunktion hatte ich an dem Tag als ich ins Spital kam. Als ich entlassen wurde, sagte mir der Arzt, ich müsse in 2 Wochen wieder in die Sprechstunde kommen. Leider war immer noch die Rede von einem Verdacht auf MS, aber es kann auch etwas anderes sein.

Als ich das Aufgebot für den Termin bekam, traute ich meinen Augen nicht. Zwei Monate hatte ich zu warten, bis ich wieder ein Gespräch hatte, wegen Personalmangel.

In meinem Kopf war ein Durcheinander und ich fragte mich, habe ich es jetzt oder nicht. Als ich es nicht mehr ausgehalten habe, ging ich zu meiner Hausärztin und sie verwies mich zu einem anderen Neurologen. Er bestätigte im Juni 2023 die Diagnose MS. Für mich waren die Warterei und auch immer die Aussagen von den Ärzten ein Horror.

Was war dein allererster Gedanke nach der Diagnose MS? Was hast du danach getan?
Auf einer Seite war ich erleichtert und auf der anderen Seite fragte ich mich: «Warum ich?» Diese Frage stellte ich mir, weil es mir in den Jahren vorher psychisch sehr schlecht ging und ich an einem Punkt war, die psychische Krankheit langsam zu akzeptieren und jetzt muss ich mich noch zusätzlich mit der MS auseinandersetzen.

Vom Zeitpunkt der Diagnose bis heute: Wie hat sich deine Einstellung zur MS verändert? 
Ich versuche das Beste aus dieser Situation zu machen und wenn ich Unterstützung benötige, suche ich sie auch.

Welche Symptome machen dir heute am meisten zu schaffen? Wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Ich bin oft erschöpft, aber ich mache das Beste draus. Was mir auch zu schaffen macht, ist die Hitze, aber mit der lerne ich umzugehen.

Stichwort Therapien: Welche machst du, und wie kommst du damit zurecht?
Ich mache noch keine Therapie. Ich muss warten bis meine Krankenkasse die Kostengutsprache akzeptiert und dann werde ich Kesimpta bekommen. Dieses Medikament spritze ich mir dann einmal im Monat.

Gab es Entscheidungen, die du dich vor der Diagnose nie getraut hättest?
Ich habe gelernt, wenn der Arzt mir etwas erzählt und ich nicht ganz nachkomme, nachzufragen. Was ich mir in dieser Zeit bewusst gemacht habe, ist «Stopp» zu sagen, wenn mir alles zu viel wird.

Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben? Was würdest du ihnen heute gerne sagen?
Nein, bis jetzt nicht und ich glaube, es wird sich auch niemand von mir abwenden, weil ich weiss, dass die Personen, die ich habe, mich lieben, wie ich bin. Wenn sich jemand abwenden will, öffne ich ihnen gerne die Tür.

Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Von denen du das vielleicht gar nie erwartet hättest?
Ja, meine Mama, meine Schwester, und der Freund von meiner Mama. Natürlich auch Freunde, die ich anrufen kann. Ich bin Ihnen so dankbar, meiner Mama am meisten. Sie unterstützt mich überall, wo sie kann und sie hat für mich immer ein offenes Ohr. Wenn es mir schlecht geht, versucht sie mich wiederaufzubauen und gibt mir Kraft. Ich bin dankbar, dass ich Menschen um mich habe, die mich unterstützen, denn dies ist für mich nicht selbstverständlich.

Wenn du in den Spiegel schaust: Was siehst du?
Ich sehe eine starke junge Frau, die meistens positiv nach vorne blickt.

Gab es schon Situationen, in denen du dich für deine Krankheit rechtfertigen musstest?
Obwohl ich die Krankheit noch nicht lange habe, musste ich mich schon öfters rechtfertigen. Dies ist meist sehr Kräfte raubend.

Was ist dein grösster Verlust durch die MS?
Ich werde sehr schnell müde und dies schränkt mich ein in meiner Freizeit, etwas Längeres zu unternehmen, weil ich oft schnell erschöpft bin.

Hat dir die MS im Gegenzug etwas gegeben, was du vorher nicht hattest oder kanntest?
Diese Frage kann ich im Moment noch nicht beantworten, aber ich denke, es wird auch positive Seiten haben, die mich stärken.

Gibt es eine Erwartungshaltung an MS-Betroffene, immer positiv und optimistisch zu sein? Wie gehst du damit um?
Klar gibt es Menschen, die eine Erwartungshaltung haben, jedoch finde ich dies sehr schade. Die, die nicht eine Krankheit haben, können nicht beurteilen, wie sich die Betroffenen fühlen, egal welche Krankheit man hat. Schlussendlich hat kein Mensch das Recht über dich zu urteilen, oder eine Erwartung zu haben, wie man sich verhält. Manchmal müssen sich die Menschen mal selbst fragen, wie es Ihnen gehen würde, wenn jemand an sie eine Erwartung hätte, wie man sich zu verhalten hat im Fall einer Krankheit.

Die MS und deine Arbeit: Geht das gut? Oder gibt es Probleme?
Ich versuche das Beste zu geben, dass ich in 2 Jahren die Lehre als Floristin abschliessen kann. Mir macht dieser Beruf Spass und ich bin auch motiviert, etwas Neues zu lernen. Mir ist klar, dass alles nicht einfach sein wird, aber solange es mein Körper zulässt, werde ich kämpfen, dass ich diese Lehre abschliessen kann.

Gibt es so etwas wie eine goldene Regel fürs «MS-Outing»? Wie gehst du damit um?
Nein, dies gibt es für mich nicht. Ich gehe offen und ehrlich mit meinen Krankheiten um, weil für mich wichtig ist, dass man darüber spricht. Leider sind sehr viele Krankheiten ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft, aber genau dann ist es wichtig, darüber zu sprechen, weil ich finde, dass alle Menschen, egal wie sie sind und was sie haben, die gleichen Rechte haben wie alle anderen Menschen.

Spielen Ernährung und komplementäre Verfahren eine Rolle in deinem Leben mit MS?
Ich gehe regelmässig in die Akkupunktur, dies hilft mir runterzukommen und meine körperlichen Beschwerden zu verbessern. Bei der Ernährung achte ich nicht auf Besonderes.

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen engsten Vertrauten sprechen möchtest?
Für mich gibt es kein Tabu-Thema. Wenn mich etwas belastet oder ich über etwas nachdenke, dann spreche ich offen darüber.

Welches sind die «Top 3» der Sätze, die du über MS nicht mehr hören kannst?
Ich kenne so viele, die auch MS haben. Denen geht es super.
Dir geht es ja so weit gut (aber diese Personen sind nicht 24/7 um mich).
Das ist doch nicht so schlimm, ich habe auch meine Sorgen.

In der direkten Konfrontation mit Vorurteilen oder Irrtümern, wie reagierst du?
Wenn ich merke, die Person hört mir zu, versuche ich zu erklären, wie ich mich fühle, wenn ich so Sachen höre. Die Personen, die fest überzeugt sind, dass sie recht haben und es besser wissen, lasse ich in ihrem Glauben. Von diesen Personen lasse ich mir nicht die Kraft wegnehmen. Ich weiss am besten, wie es mir geht und was ich machen kann, und brauche keine Personen in meinem Leben, die meinen, es besser zu wissen.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige oder traurige Erlebnisse?
Es wird beides sicherlich geben, aber ich versuche, immer aus schwierigen Sachen auch das Positive zu sehen, auch wenn es nicht immer funktioniert.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich steige in die Badewanne und höre Musik oder trinke einen Tee. Was mir auch hilft, sind Meditationen.

Hast du ein Hobby? Etwas, was dich total begeistert?
Ich gehe ins Yoga und ich liebe es kreativ zu sein. Eigentlich würde ich sehr gerne wieder Handball spielen, jedoch ist dies nicht möglich. Ich habe viermal mein rechtes Knie operiert und sie mussten bei der letzten Operation meinen Meniskus entfernen, dadurch kann ich viele Sportarten nicht mehr machen. Die Gefahr ist gross, früh an Arthrose zu leiden.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Ich habe Kontakt aufgenommen über die Infoline und bin im Kontakt und melde mich auch, wenn ich irgendwo Unterstützung benötige. Ich finde das super und kann das jedem empfehlen und ich bin dankbar, dass es so etwas gibt. Ich bin auch oft auf der Plattform und schaue mich um, lese Tipps oder lese die «Gesichter der MS».


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