Was sich MS-Betroffene neben der medikamentösen Therapie wünschen

Fachartikel

An einem Workshop am MS State of the Art Symposium 2023 wurden die Bedürfnisse von Menschen mit MS – losgelöst von der rein medikamentösen Versorgung – aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Neben einer MS-Betroffenen teilten zwei MS-Pflegefachspezialistinnen und eine Physiotherapeutin ihre Gedanken und Meinungen mit den Zuhörenden.

Bei Viola Marchi wurde 2017 eine MS diagnostiziert. Wie sie erklärte, war sie danach von der Fülle an Informationen, die es zu ihrer Erkrankung im Internet gibt, komplett überfordert. «Ich finde es daher notwendig, als Betroffene gezielt auf relevante Ressourcen hingewiesen zu werden, die zu meinen spezifischen Bedürfnissen während der verschiedenen Phasen meiner Erkrankung passen», formulierte sie ihren Wunsch. Als Beispiele führte sie hier Informationen zu temporären Hauspflegediensten und zu Rehabilitationsmöglichkeiten an, aber auch Beratung dazu, wie die Auswirkungen einer MS auf den Alltag am besten gemeistert werden können. Sie schilderte auch, wie wichtig es für sie ist, Kontinuität in ihrer medizinischen Betreuung, also quasi eine medizinische «Referenzperson», zu haben. Vor allem in Phasen, in denen sie sich schlecht fühle, z.B. während eines Schubs, sei es für sie von grosser Bedeutung, mit einer Fachperson sprechen zu können, zu der ein Vertrauensverhältnis besteht.

Viola Marchi forderte auch, dass bei der Kommunikation in Bezug auf körperliche Beschwerden ein wichtiger Umstand berücksichtigt wird: «Wir als Betroffene werden häufig darum gebeten einzuschätzen, wie wir uns gerade fühlen. Zu erklären, wie stark zum Beispiel Schmerzen sind, kann aber sehr schwierig sein. Oft fehlen einem einfach die Worte, um etwas zu beschreiben, das man zuvor noch nie erlebt hat», sagte sie. Den Schluss ihres kurzen Referats bildete ein Foto ihres kleinen Hundes. Er motiviert sie nämlich nicht nur dazu, sich mehr zu bewegen, sondern gibt ihr in stressigen Situationen auch emotionale Unterstützung. «So hilft er mir, meine Angst vor dem allein Reisen, die ich erst seit der Diagnose MS habe, zu überwinden», schloss sie.

Vertrauensverhältnis ist wichtig

Barbara Widmer arbeitet als MS-Pflegefachspezialistin am Kantonsspital Aarau. Jeder Mensch, bei dem neu eine MS diagnostiziert wird, erhält automatisch auch die Kontaktdaten einer MS-Pflegefachspezialistin. Hintergrund: Viele Betroffene sind unmittelbar nach der Diagnose erst einmal so schockiert, dass sie die Informationen, die sie zu diesem Zeitpunkt von ihrer Neurologin oder ihrem Neurologen bekommen, nicht wirklich aufnehmen können. «Hier komme ich ins Spiel. Zu meinen Aufgaben gehört es, den Betroffenen alle Informationen über ihre Erkrankung zu geben, die sie haben möchten. Um das möglichst anschaulich zu tun, verwende ich gerne auch Bildmaterial», erklärte sie und betonte, wie wichtig es auch aus ihrer Sicht ist, dass sich nach und nach ein Vertrauensverhältnis zwischen der betroffenen Person und ihr entwickelt. «Menschen mit MS müssen wissen, dass sie mich alles fragen können, was sie wollen – auch wenn ich vielleicht nicht auf alles sofort eine Antwort habe», erläuterte sie.

Verschiedene Erkrankungsaspekte werden angesprochen

Viele Menschen mit MS kämpfen mit einer enormen Müdigkeit (Fatigue). Laura Leponiemi, MS-Pflegefachspezialistin bei der Bellevue Medical Group, stellte in diesen Zusammenhang die Fatigue-Sprechstunde vor, die aktuell an den Neurozentren Bellevue und Aarau angeboten und von ihr betreut wird. Mithilfe einer intensiven Anfangsuntersuchung werden in einem ersten Schritt mögliche andere Ursachen für die Fatigue, etwa hormonelle Probleme, Depressionen oder Schlafstörungen, ausgeschlossen. Danach wird den Betroffenen ein individuell zusammengestelltes Programm angeboten, dass je nach Situation Ernährungsmassnahmen, Atemübungen oder Akupunktur, gegebenenfalls auch Techniken zur Schlafverbesserung, beinhaltet. Der Erfolg wird regelmässig überprüft, so dass die Massnahmen nötigenfalls angepasst werden können.

Die Physiotherapeutin Regula Steinlin Egli sprach anschliessend darüber, wie sie Menschen mit MS darin unterstützt, im Alltag unabhängig zu bleiben. «Die Therapie orientiert sich dabei an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der betroffenen Person», beschrieb sie. Entscheidend findet sie, dass gemeinsam ein optimistisches, trotzdem aber realistisches Ziel für die Therapie vereinbart wird. Auf dem längerfristigen Weg zu diesem Punkt werden dabei auch kurzfristige Meilensteine definiert, deren Erreichen regelmässig überprüft wird. Neben Massnahmen wie beispielsweise Kraft- und Balancetraining umfasst das Angebot von Regula Steinlin Egli auch Anleitungen zum Selbstmanagement. «Mithilfe von individuell ausgewählten Übungen, die die Betroffenen zuhause machen können, wollen wir sie dabei unterstützen, selbständig zu bleiben», schloss sie.

«MS State of the Art Symposium»

Das «MS State of the Art Symposium» ist der bedeutendste Fachkongress zum Thema Multiple Sklerose in der Schweiz und wird von der Schweiz. MS-Gesellschaft und ihrem Medizinisch-wissenschaftlichen Beirat organisiert. Dieses Jahr fand das Symposium am 28. Januar 2023 im KKL Luzern statt.

» State of the Art Symposium» 2023