Rendez-vous mit Joel Meier

Zwei Sommer ohne Street Parade und ein ungewisses Jubiläum. Wie der Präsident der Techno-Veranstaltung damit umgeht, erzählt er im Forte-Interview.

Hand aufs Herz: Hören Sie zuhause auch mal Oper?
(Lacht) Abgesehen von Elektromusik mag ich die neuesten Popsongs – die sind zwar trashig, aber lässig. In der Oper haben sie sicher auch schöne Stimmen, aber Vibrato ist jetzt weniger mein Ding.

Dieses Jahr fällt die Street Parade aus – zum zweiten Mal in Folge wegen Corona. Wie verkraften Sie eine solche Zwangspause?
Wir verstehen die Lage, aber es hat uns schwer getroffen. Auch finanziell. Im ersten Ausfalljahr übernahm das staatliche Unterstützungsprogramm 80 Prozent der Kosten, die restlichen 200’000 Franken mussten wir selber tragen. Wenn es dieses Jahr nochmals so viel ist, können wir uns irgendwann nicht mehr vorfinanzieren. Das ist eine echte Sorgenfalte.

Die Parade ist Ihr Leben. Wie haben Sie die Corona-Zeiten überstanden?
Ich bin derzeit Projektkoordinator für das Impfzentrum Uster. Da kann ich meine Erfahrung im Organisieren von Grossanlässen perfekt einbringen.

Auf Ihrer Website wird die Street Parade 2022 angekündigt. Laufen die Vorbereitungen bereits?
Die politisch Verantwortlichen müssen erst noch grünes Licht geben. Bis es soweit ist, wird Corona sicher noch die eine oder andere Überraschung für uns bereithalten.

Der Besucherrekord liegt bei der Street Parade bei einer Million. Wie bereitet man sich auf einen solchen Ansturm vor?
Wir stellen uns einen Besucher vor und spielen mit ihm alles durch: Wie kommt die Person zur Street Parade? Welche Tafeln braucht sie, um den Weg zu finden? Wohin geht sie, wenn sie Durst bekommt, Hunger? Wohin mit dem Abfall? Stört etwas?

Klimajugend, Street Parade und die riesigen Abfallberge. Ist das kompatibel?
99,9 Prozent des Abfalls werden recyclet. Hochgerechnet produziert ein Gast an der Street Parade weniger Abfall, als wenn er zuhause geblieben wäre.

Wer kommt, wer feiert?
Wir sind ein Generationenanlass. Es gibt auch 80-jährige Raver und zu unserer Freude ist die Generation Z aufgesprungen. Nach der zweijährigen Zwangspause müssen wir uns überraschen lassen. Wo steht die nächste Generation, was interessiert sie? Im Moment ist es noch ein Blindflug

Können auch Menschen mit einer Beeinträchtigung, z. B. mit Gehhilfe oder Rollstuhl, an der Street Parade teilnehmen?
Ja natürlich. Wir haben relativ viele Besucher mit körperlicher Beeinträchtigung. Allerdings empfehlen wir Personen im Rollstohl, sich nicht mitten im Pulk aufzuhalten, weil sie in der Masse schnell übersehen werden können.

Denken wir uns in eine hoffentlich pandemiefreie Zukunft hinein. Es ist der 14. August 2022, der Tag der Street Parade. Was tut sich bei Joel Meier?
3’000 Mitarbeitende sind am Tag involviert. Bei mir jagt schon am Morgen viel Adrenalin durchs Blut. Ich besuche jeden Ort, lege insgesamt 20 Kilometer zurück, begrüsse die Love Mobiles, Glassammler-Teams, VIP-Gäste, den Gemeinderat, gebe Interviews. Erst um 22 Uhr fällt der Druck langsam ab.

Wenn die Street Parade wieder loslegen darf, ist die Pandemie wohl definitiv überstanden.
Da gibt es viel zu feiern. In den 1980er Jahren sah das Leben doch ein bisschen so aus wie zu Lockdown-Zeiten: Arbeiten, danach vielleicht ein kleiner Spaziergang im Wald, ansonsten war nicht viel los in Zürich. Wenn heute davon die Rede ist, dass einem Freiheit genommen werden, vergisst man, dass diese Freiheiten nie selbstverständlich waren: Wir haben sie uns hart erkämpfen müssen.

Interview: Esther Grosjean