Neue Therapieziele verlangen nach neuen Medikamenten
State of the ArtIm ersten Teil seines Vortrags ging Prof. Chan (Inselspital Bern) darauf ein, dass sich nicht nur das Angebot an Medikamenten laufend verändert, sondern dass sich auch die Ziele der Behandlung einer MS weiterentwickeln. Lange Zeit sollte die Therapie vor allem verhindern, dass Schübe auftreten und/oder dass sich in Gehirn und Rückenmark neue Veränderungen bilden. «Mit den heute verfügbaren hochwirksamen Medikamenten gelingt uns dieser Teil der Behandlung einer MS mittlerweile gut», sagte Prof. Chan.
Verschlechterung auch ohne Schub
Neueren Erkenntnissen zufolge kommt es aber sogar in frühen Stadien einer schubförmig verlaufenden MS auch unabhängig von den einzelnen Schüben zu einem schleichenden Voranschreiten der Erkrankung. Dieser Prozess kann schon früh im Verlaufe einer MS einsetzen und dazu beitragen, dass sich der Zustand der betroffenen Person verschlechtert. Da die bisher verfügbaren Medikamente noch nicht ausreichend dazu in der Lage sind, diesen Teil der Erkrankung wirkungsvoll zu kontrollieren, braucht es hier weitere Forschung und die Entwicklung neuer Medikamente.
Neu zugelassene Medikamente
Um neue Medikamente ging es auch im zweiten Teil des Vortrags von Prof. Chan. Allerdings wurde 2023 in der Schweiz keine neue Substanz verfügbar gemacht. In der EU dagegen wurde Ublituximab zugelassen. Es handelt sich dabei um einen Antikörper, der ähnlich wie beispielsweise Ocrelizumab oder Ofatumumab an bestimmten Zellen des Immunsystems (B-Zellen) ansetzt. Um seine Wirksamkeit weiter zu verbessern, wurde die Struktur von Ublituximab verändert. «Dies könnte unter anderem den Vorteil haben, dass wir niedrigere Dosen verabreichen können», erklärte Prof. Chan.
Auf dem Gebiet der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD), einem der MS sehr ähnlichen Krankheitsbild, wusste Prof. Chan mit Ravulizumab über eine neue Substanz zu berichten, die 2023 in der Schweiz zugelassen wurde. Der Vorteil von Ravulizumab im Vergleich zum bisher bereits erhältlichen Eculizumab ist, dass es nur alle 8 Wochen anstelle von alle 2 Wochen gegeben werden muss.
Blick in die Zukunft
Im letzten Teil seines Vortrags warf Prof. Chan einen kurzen Blick auf verschiedene MS-Therapeutika, die sich noch in frühen Entwicklungsstadien befinden. Dazu gehören unter anderem mehrere Vertreter der Medikamentenklasse der sogenannten Brutontyrosinkinase (BTK)-Hemmer. Diese Substanzen weisen mehrere Eigenschaften auf, die für die MS-Therapie von Vorteil sein könnten. So ist es ihnen zum Beispiel möglich, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und so im zentralen Nervensystem ihre Wirkung zu entfalten. Einige BTK-Hemmer werden aktuell auch bei Menschen mit einer primär bzw. sekundär progredienten MS untersucht. Gerade bei diesen Verlaufsformen besteht ja weiterhin ein grosser Bedarf an neuen Therapien.
Ein weiterer neuer Ansatzpunkt für die Behandlung einer MS stellt Frexalimab dar, ein Antikörper, der die Aktivierung verschiedener Immunzellen (unter anderem T-Zellen und B-Zellen) stört. In den bisher durchgeführten, kleineren Studien zeigte die Substanz unter anderem eine gute und anhaltende Wirkung auf die Veränderungen im Gehirn. Frexalimab wird nun in weiteren Studien untersucht.
Zum Schluss erwähnte Prof. Chan mit den CAR-T-Zellen eine Therapieform, die bereits bei verschiedenen Formen von Blutkrebs mit Erfolg eingesetzt wird. Die Forschungen zu ihrer Anwendung bei Erkrankungen wie der MS stehen allerdings noch ganz am Anfang. «Der Gedanke hinter dieser Therapie ist, mit diesen besonderen T-Zellen das körpereigene Immunsystem quasi zu rebooten, also neu zu starten», erläuterte er. Das sei ein wirklich interessanter Ansatz, der weiterverfolgt werden sollte.
«MS State of the Art Symposium»
Das «MS State of the Art Symposium» ist der bedeutendste Fachkongress zum Thema Multiple Sklerose in der Schweiz und wird von der Schweiz. MS-Gesellschaft und ihrem Medizinisch-wissenschaftlichen Beirat organisiert. 2024 fand das Symposium am 27. Januar im KKL Luzern statt.