Mit den Augen der Betroffenen: ECTRIMS-Kongress 2023

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Über 8500 MS-Forscherinnen und -Forscher aus der ganzen Welt nahmen vor Ort in Mailand oder online zugeschaltet an der ECTRIMS teil. Sie präsentierten im Rahmen des dreitägigen Kongresses die aktuellen Forschungsergebnisse, referierten über Fortschritte bei der Entwicklung von verlaufsmodifizierenden Medikamenten zur MS-Behandlung und darüber, wie man die Lebensqualität von Menschen mit MS möglichst lange erhalten kann. 

Neben den zahlreichen wissenschaftlichen Vorträgen und Postern gab es auch Stände von nationalen MS Registern, untern anderem auch vom Schweizer MS Register. 

ECTRIMS und ACTRIMS sind Abkürzungen für die Konferenz des europäischen und amerikanischen Ausschusses für die Behandlung und Forschung bei Multipler Sklerose. Ich durfte schon einmal an einem ECTRIMS-Kongress dabei sein, wegen COVID damals allerdings nur online. Darum habe ich mich sehr darauf gefreut, den Anlass Mitte Oktober «live» zu erleben. Es hat mich sehr beeindruckt zu sehen, wie viele Fachleute aus aller Welt sich mit «meiner» Krankheit befassen und mit grossem Einsatz an der Erforschung der Entstehung und der Behandlung von MS arbeiten. 

Individuelle Umstände erfordern individuelle Therapie
Das Thema Älterwerden mit MS hat mich besonders interessiert. Zur Behandlung älterer Patienten mit MS gab es zahlreiche Vorträge mit anschliessenden Diskussionen. Es ging jeweils um die Vor- und Nachteile der Behandlung von MS mit immunmodulierenden Medikamenten, um Therapiebeginn,  änderung oder -abbruch und die möglichen Folgen für Betroffene. Risiko-Nutzen-Abwägungen waren auch beim Thema MS und Schwangerschaft und Stillen wichtig, wo die Gesundheit von Mutter und Kind mit und ohne MS-Therapie im Zentrum stand. 


Besonders während der Frage-und-Antwort-Runde wurde klar, dass es häufig nicht die eine Behandlung gibt, keine klare Regel, wann welche Therapie angezeigt ist. Vielmehr wurde deutlich: Es gibt nicht «die» Person mit MS. Jeder betroffene Mensch hat seine eigene MS, seine Vorgeschichte, seine persönlichen Lebensumstände, sein persönliches Umfeld, seine Möglichkeiten und Grenzen. Dazu ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ärztin und Patient wichtig, um gemeinsam zu entscheiden, welche Behandlung zu welchem Zeitpunkt richtig ist.


Betroffene im Mittelpunkt: der Patiententag
Nach drei intensiven Tagen war der Kongress zu Ende. Die grossen Hallen leerten sich und bereits am Freitagabend wurde mit dem Abbrechen der Stände begonnen. Personen mit MS erwartete aber noch ein wichtiger Tag: der Patiententag, an dem eine Auswahl von Präsentationen speziell für Betroffene stattfand. 


Dort erfuhr ich erstmals von «Pathways to Cures» (übersetzt: Wege zur Heilung), einer globalen, von Betroffenen ausgehenden Initiative, die sich die Beschleunigung der Heilungswege von MS zum Ziel gesetzt hat: Dazu gehören STOP (MS frühzeitig erkennen und stoppen), RESTORE (verlorene Funktionen wiederherstellen) und END (keine neuen MS-Diagnosen mehr). 


Interessant, aber was kann ich als Betroffene dazu beitragen? Die Rednerin Bonnie Higgins, selbst seit dem 29. Lebensjahr von MS betroffen, betonte, wie wichtig es sei, Menschen mit MS in die Forschung mit einzubeziehen. Denn nur sie können (wie beim Schweizer MS Register) die Patientenperspektive vermitteln. Sie brauchen dazu keine wissenschaftliche Expertise oder Spezialwissen, was zählt, sind die eigenen Erfahrungen mit der MS. Informationen über den eigenen Krankheitsverlauf und das persönliche Erleben der Erkrankung sind für Forscherinnen und Forscher wertvoll. 


Durch die Teilnahme an Studien oder die Mithilfe bei Datenerhebungen tragen MS-Betroffene also aktiv zur Erforschung ihrer Krankheit bei, wovon letztlich sie selbst oder auch andere MS-Betroffene profitieren.

Irene Rapold