Körperlich aktiv mit MS

Fachartikel

Eine von der MS-Gesellschaft finanzierte Studie zeigt, dass Sport und ausreichend Bewegung positive Auswirkungen auf den Gesundheitszustand von MS-Betroffenen haben. Dabei ist eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining am effektivsten.

Körperlich aktiv sein bei Multipler Sklerose? Noch vor 10 Jahren hätten Ärzte und Mediziner diese Frage klar mit «Nein!» beantwortet. Gefürchtet waren das Ansteigen der Körpertemperatur und die daraus resultierende Verschlimmerung der Krankheitssymptome. Mittlerweile hat sich aber ein Paradigmen- Wechsel eingestellt, hin zu mehr körperlicher Aktivität. So bilden sich, auch bei wiederholtem Training, die Symptome zurück und der Körper kann sich anschliessend regenerieren. Zudem werden in den Muskelzellen durch die körperliche Anstrengung Eiweisse gebildet, die Entzündungen entgegenwirken. Im Umkehrschluss heisst das, dass sich längere Inaktivität stets toxisch auswirkt – und das nicht nur bei Multipler Sklerose.

Bei MS sind viele der Symptome und Verluste von Funktionen nicht ausschliesslich durch die Diagnose selbst zu begründen, sondern durch längere Phasen von körperlicher Inaktivität – die den Gesundheitszustand der Person mit MS weiter beeinträchtigen. Vergleicht man die Daten des Bewegungsverhaltens von MS-Betroffenen mit denen gesunder Vergleichspersonen, zeigt sich bei ersteren ein deutlich reduziertes Aktivitäts- und Belastungsniveau. Dieses wirkt sich negativ auf den Gesundheitszustand aus und äussert sich in einem deutlich erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen sowie verminderte Gedächtnisfunktion.

Positive Wirkung von körperlicher Aktivität wissenschaftlich belegt

Ausdauer- und Krafttraining sind am besten untersucht und sollten idealerweise kombiniert werden. Diese Kombination hat sich zu einer wichtigen Komponente innerhalb der Neurorehabilitation mit MS-Patienten entwickelt. Am häufigsten findet das Fahrradergometer (Hometrainer) Anwendung, meistens im Ausdauertraining. Aber auch Krafttraining, Ausdauerbelastungen im Wasser, Klettern und Yoga wurden untersucht. Gehbelastungen auf dem Laufband kommen innerhalb einer Rehabilitation häufig zum Einsatz, doch sie sind apparativ aufwändiger als ein Fahrradergometer und für Personen mit Gangunsicherheiten schwieriger auszuführen. Studienergebnisse zu anderen Ausdauergeräten wie Crosstrainer oder Stepper liegen bis anhin keine vor, obwohl auch diese sehr gut für ein Training mit MS-Betroffenen geeignet sind, da die Bewegungsform auf diesen Geräten dem Gehen ähnlicher sind als das Velofahren.

Zusammenfassend liegt das übergeordnete Ziel einer ambulanten oder stationären Rehabilitation in der Erhöhung des Aktivitätsniveaus, um die bestehenden sekundären Symptome zu beseitigen und die Teilhabe am alltäglichen Leben aufrecht zu erhalten oder überhaupt zu ermöglichen.

Studienteilnehmende mit schubförmiger und sekundär fortschreitender MS

Aktuelle Empfehlungen raten dazu, das körperliche Training unter Anleitung an die individuellen Belastungsgrenzen der Teilnehmenden anzupassen und die Belastung zu variieren. Das gezielte Training für Personen mit MS hat das Potential, sich positiv auf das Nervennetzwerk im Gehirngewebe auszuwirken. Eine aktuelle Studie, die an den Kliniken Valens durchgeführt und von der MS-Gesellschaft finanziert wurde, konnte diesen Effekt bestätigen. Die Teilnehmenden verbesserten ihr lernsprachliches Gedächtnis, sie konnten zielgerichteter handeln und entscheiden und ihre Ausdauer sowie Kraft nahmen zu.

Insgesamt wurden 60 Studienteilnehmende mit schubförmiger und sekundär fortschreitender MS in die Studie eingeschlossen. Diese waren zum Zeitpunkt der Studie allesamt über 30 Jahre alt und wiesen auf der EDSS-Skala einen maximalen Behinderungsgrad von 6.5 auf, waren also nicht vollständig auf einen Rollstuhl angewiesen. Nach einer abklärenden Untersuchung wurden 29 Teilnehmende einer Gruppe mit hochintensivem Training (HIT) und 31 Personen der Kontrollgruppe zugeteilt. In der HIT-Gruppe mussten die Teilnehmenden zwischen September 2015 und Mai 2016 dreimal pro Woche in fünf Zyklen drei Minuten lang intensiv Velo fahren. Die Herzfrequenz sowie die Sauerstoffkonzentration in der Atemluft wurden regelmässig gemessen. Vorher war jeweils ein Warm-up (Aufwärmen) erfolgt, im Abschluss eine Cool-down-Phase. Nach dem Training durften die Teilnehmenden während 45 Minuten an keinem anderen Programm teilnehmen und mussten sich ausruhen. Die Personen in der Kontrollgruppe sassen hingegen fünfmal pro Woche für 30 Minuten auf dem Ergometer.

Aufgrund von Blutentnahmen während des Trainings zeigte sich, dass der Hirnstoffwechsel in der HIT-Gruppe besser wurde als in der Kontrollgruppe. Insbesondere der Wachstumsfaktor BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factor) nahm zu. Dieses Protein schützt Neuronen und Synapsen im Gehirn und es fördert zudem das Wachstum neuer Nervenverbindungen. Die Ergebnisse zeigen klar, dass ein aktives Training auch bei intensiven Einheiten nicht zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands führt.

Sport als wichtige Komponente in der Rehabilitation

Die Rehabilitationsräume sind im Vergleich zum eigenen Zuhause ein geschütztes Umfeld mit aufwändiger Betreuung und Überwachung. Aber auch zu Hause sollte man sich trauen, tendenziell weniger vorsichtig zu sein, sich weniger zu bremsen und körperlich aktiv zu werden. Generell gilt: Je aktiver, desto besser. Bei der Wahl einer geeigneten Aktivität spielen die körperliche Situation, die Leistungsfähigkeit und der Behinderungsgrad eine wichtige Rolle. Aus den individuellen Einschränkungen leiten sich die Art und das Mass der sportlichen Betätigung ab.

Viele Aktivitäten lassen sich auch im Rollstuhl ausüben, dazu gehören Sommer- und Wintersportarten, beispielsweise Kampf-, Wasser- oder Ballsportarten. Die Anforderungen sind dabei unterschiedlich. Während zum Beispiel beim Bogenschießen Konzentration, Koordination und Oberkörperspannung wichtig sind, ist Rollstuhlbasketball koordinativ und konditionell sehr fordernd. Zu Hause stellen mit Wasser gefüllte PET-Flaschen oder bunte Thera- Bänder ein pragmatisches Mittel dar, um ein Gewicht sicher und einfach bewegen oder stemmen zu können. Auch durch langsames Aufstehen und Absitzen ohne Hilfe der Arme lässt sich ganz einfach die Beinmuskulatur trainieren. Wenn eine Übung innerhalb von drei Durchgängen jeweils 15 Mal durchgeführt wird, wird man die Beinmuskulatur sicherlich spüren. Bei allen Übungen gilt als wichtiger motivationaler Faktor der Spass. Denn nur wer etwas gerne tut, bewegt sich regelmässig und erzielt dabei auch langfristige Erfolge. Deshalb sollte man sich anfangs einige Fragen stellen und ehrlich beantworten: Steht die körperliche Ertüchtigung im Mittelpunkt oder geht es darum, den physiotherapeutischen Behandlungsplan zu ergänzen? Möchte man soziale Kontakte knüpfen? Welchen sportlichen Herausforderungen möchte man sich stellen?

Passendes Umfeld finden und achtsam bleiben

Wer gerne in der Gruppe trainiert und Bewegungen nach Musik geniesst, ist in einer Bewegungsgruppe gut aufgehoben, zum Beispiel in den auf Sport spezialisierten Regionalgruppen der MSGesellschaft oder in einem Sportverein. Innerhalb einer solchen Gruppe können mit einer grossen Brandbreite an Übungen die geschwächten Muskeln gezielt trainiert werden. Das Training kann sowohl an Land als auch im Wasser stattfinden und sollte Dehnübungen, Kraft-, Konditionstraining und Entspannung verbinden. Im Wasser trainieren hat den Vorteil, Bewegungen zu ermöglichen, die an Land nicht machbar wären. Alle Übungen können im Wasser häufiger und mit weniger Krafteinsatz durchgeführt werden (Wassertiefe beachten). Ebenso wichtig wie die Belastung ist die Erholung nach dem Training: Der Körper muss zur Ruhe kommen, sonst steigen Entzündungsstoffe stark an. Hier sollte stets ein gutes Mass an Bewegung und Ruhe gewählt werden. Eine gewisse Achtsamkeit ist für die Erholung des Körpers enorm wichtig.

In Bewegung bleiben: Übungen für zuhause 

Die Fachgruppe Physiotherapie bei Multipler Sklerose (FPMS) hat in Zusammenarbeit mit der MS-Gesellschaft 15 Physiotherapie-Videos produziert. Die darin gezeigten Übungen wurden von spezialisierten Therapeutinnen und Therapeuten entwickelt, sind einfach und ortsunabhängig durchführbar und können leicht in den Alltag integriert werden. Die Protagonisten sind allesamt MS-Betroffene.

>> Physio-Übungen für zu Hause

Text: Dr. Jens Bansi, Sportwissenschaftler im Rehabilitationszentrum Valens