Gesichter der MS: Corina Nüssli

Gesichter der MS

Diese Serie ist anders. Nicht Dritte oder Unbeteiligte reden über MS und Menschen mit MS. Sondern MS-Betroffene selbst sprechen über ihr Leben mit einer unheilbaren Krankheit, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Wie die Krankheit sie fordert, aber auch, wie die MS sie vielleicht stärker gemacht hat. Wie eng gute und schlechte Erfahrungen beieinander liegen.

 

Wer bist du? Wie alt bist du?
Ich heisse Corina Nüssli und bin 28 Jahre alt.

Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Ich hatte mit 16 Jahren plötzlich sehr verschwommen gesehen auf dem linken Auge. Doch nahm ich dies nicht so ernst. Und es verschwand nach einem Monat wieder, als ich weniger Stress hatte mit der Schule, Ausbildung, etc.

Wie und in welchem Alter wurde Dir die Diagnose MS vermittelt?
Als ich 20 Jahre alt wurde kam jedoch das verschwommen Sehen wieder. Und ich ging zum Augenarzt. Der sagte mir, ich habe irgendein «Bläschen» auf dem Auge. Ich ging über 3 Monate wöchentlich hin. Es wurde immer schlimmer, bis ich auf dem linken Auge nichts mehr sah. Dann wurde ich bei einem Spezialisten in Zürich angemeldet. Und der hat mich gleich weiter zum Neurologen geschickt. Dann hatte ich alle Untersuchungen und bei der letzten sagte mein Neurologe, ich solle beim nächsten Mal meinen Vater mitnehmen. Dies tat ich auch. Und an diesem Tag wurde meine Diagnose gestellt.

Was war Dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
Meine ersten Gedanken waren völlig leer. Obwohl ich wusste, was MS ist, konnte mich zu diesem Zeitpunkt aber nicht erinnern. Und ich tröstete meine Familie und verdrängte, dass es um mich ging. 

Welche Symptome machen Dir am meisten zu schaffen? Wo behindern Dich die Symptome im Alltag, wie beeinflusst die MS Deine Lebensqualität?
Ich habe sehr eine ausgeprägte Fatigue, Spastik, Schwindel, bin kognitiv eingeschränkt und leide oft an Reizüberflutung. Die Fatigue macht mir am meisten zu schaffen. Ich habe seit wenigen Monaten starke Spastiken in beiden Beinen. Da diese mich kaum schlafen lassen, wird dadurch die Fatigue noch stärker. Die Spastik macht mir sehr zu schaffen. Sie ist sehr belastend und macht auch Angst. Und die Fatigue nimmt mir oft meine Persönlichkeit und viel Zeit mit Freunden. Nach drei Stunden habe ich so stark Fatigue, dass ich nicht mehr sprechen kann. Ich gehe sehr selten weg. So gut wie nie abends. Und vor Geburtstagspartys, Hochzeiten, Weihnachten und Silvester bekomme ich immer Panik. Wegen der Fatigue. Sie schränkt mich sehr ein.

Wie geht dein privates Umfeld, also Familie, Freunde, Partner, mit deiner Krankheit um?
Meine Familie ist sehr für mich da. Mein Vater hat mich in jeder Situation unterstützt und begleitet. Mit ihm kann ich immer über alles sprechen. Das tut mir sehr gut. Meine Mutter unterstützte mich sehr im Haushalt, als ich durch jene Schübe nicht konnte. Mit meinem Bruder und den meisten Freunden ist dieses Thema eher schwierig. Da es sie sehr schmerzt. Das schmerzt mich wiederum, da ich gerne über meine Symptome sprechen würde und ich gut darüber sprechen kann. Mein Partner unterstützt mich auch sehr. Mit ihm kann ich über alles reden. Er versucht auch, die Fatigue zu verstehen, doch ich verstehe die Fatigue ja selbst nicht. Ich bin sehr froh um ihn. 

Wie ist die Situation an Deiner Arbeitsstelle?
Ich hatte bis 2014 in der Pflege gearbeitet. Doch durch die damals aktive MS hatte ich monatlich Schübe. Und weil ich ein Jahr lang nicht arbeiten konnte, baten sie mich, aus dem Vollzeitvertrag in einen Stundenlohnvertrag zu wechseln. Dies tat ich auch und konnte in ihrem Lager 10% arbeiten. Zusätzlich bekam ich eine IV Rente, da ich ja nicht mehr als 10% arbeiten kann, mit drei Stunden Konzentration. Da mich aber mein Arbeitsplatz nur noch als «die Kranke» sah, oder ich für manche ganz unsichtbar war, beschloss ich, zu kündigen. Ich arbeite aber zum Glück anderswo wieder 10%. Dies ist mir sehr wichtig. Ich möchte am liebsten 100% arbeiten.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich entspanne mich am liebsten draussen in der Natur, mit meinem Hund. Oder liebe es, mit meinem Freund Zeit zu verbringen. Dann ist auch die MS im Hintergrund. Mein Rat an andere MS-Betroffene ist, sie sollen nicht in der Vergangenheit leben und dem alten «Ich» nachtrauern. Ich selbst tat dies Jahre lang. Und stellte fest, mein altes «Ich» hat die Krankheit etwas umgestellt, aber es ist ganz okay. Man kann es nicht ändern, nur das Beste daraus machen. Und lasst euch von der Krankheit nie euer Lachen nehmen. Es ist und bleibt die beste Medizin.

Was macht Dir in Bezug auf MS Angst?
Ich kenne die Krankheit so gut, wie man sie kennen kann. Und dies macht mir oft Angst. Da ich weiss, was sie mir noch alles einfach so nehmen könnte.

Was gibt Dir in Bezug auf MS Hoffnung?
Mir gibt Hoffnung, dass ich weiss, dass oft gespendet wird. Nicht nur für die Forschung, sondern auch für Betroffene, die sehr darauf angewiesen sind.

Hattest Du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
Mein lustigstes Erlebnis ist, dass ich mir schon mein Leben lang einen Hund gewünscht habe und ich durch die MS einen haben konnte. Dass ich sehr viele Menschen kennengelernt habe durch die MS. Schlechte wie gute, aber durch jeden konnte ich viel lernen. Leider hatte ich auch eher traurige Erlebnisse. Viele Freundschaften, die sich auflösten. Der Verlust, den die MS mit sich bringt. 

Mein traurigstes Erlebnis war jedoch mein Schub im Gesicht. Ich war auf der rechten Seite im Gesicht gelähmt. Ich verliess drei Monate lang kaum das Haus. Und hatte das Gefühl, jeder sieht mich bemitleidend an. Mein Neurologe musste mir versprechen, dass der Schub weg geht. Ich konnte nicht richtig essen und trinken. Und als ich mich da sehr zurückgezogen habe, habe ich viele Freunde verloren. Niemand hat es verstanden. Ich glaube, dass nur meine beste Freundin und mein bester Freund versuchen, meine Krankheit zu verstehen.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Die MS-Gesellschafft hat mich stets unterstützt und immer ein offenes Ohr. Ich gehe an sehr viel Vorträge. Und nahm auch meine Familie zu einem mit. Ich finde Aufklärung sehr wichtig und mir ist es auch sehr wichtig, alles zu wissen, was die Krankheit mit sich bringen kann. Ich bin froh um die MS-Gesellschafft und ihre Unterstützung. 


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