Ärztliches MS-Management: Rolle der Angehörigen soll stärker berücksichtigt werden

Fachartikel

Zu einem umfassenden MS-Management gehört auch der Einbezug von Angehörigen. Doch die Bedürfnisse sind vielfältig, und behandelnde Ärzte sollten dies in Arzt-Patienten-Gesprächen individuell berücksichtigen.

Eine MS geht mit verschiedenen körperlichen, psychischen und emotionalen Symptomen einher. Als chronische Erkrankung, deren Verlauf individuell sehr unterschiedlich und nicht vorhersehbar ist, beeinflusst sie nicht nur das Leben der betroffenen Person, sondern auch das ihrer Familie und ihrer Bezugspersonen. Je nach Situation kann das soziale Umfeld eines Menschen mit MS dabei ganz unterschiedliche Rollen spielen.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Jürg Kesselring, Ehrenpräsident der Schweiz. MS-Gesellschaft, hat sich die internationale Gruppe «MS in the 21st Century» zu einer Podiumsdiskussion getroffen, um gemeinsam mit MS-Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen zu diskutieren, inwiefern Angehörige in die Begleitung von MS-Betroffenen und ins Management der Erkrankung konstruktiv miteinbezogen werden können. Die wichtigsten Resultate wurden in einer wissenschaftlichen Publikation zusammengefasst.

Bedarf an Unterstützung sehr individuell

Traditionsgemäss werden medizinische Entscheidungen hinsichtlich des Krankheitsmanagements gemeinsam von den Betroffenen und ihrem behandelnden Arzt getroffen. Dies gilt grundsätzlich auch für eine MS. Wie die Gespräche der Gruppe aber ergaben, nehmen gerade Menschen mit MS immer häufiger auch ein Familienmitglied oder eine andere Bezugsperson zu ihren Arztterminen mit.

Der Grund: Für viele Betroffene ist es von grosser Bedeutung, bei allen Entscheidungen im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung auf die Unterstützung durch eine vertrauenswürdige Person zählen zu können. Solche Vertrauenspersonen können nicht zuletzt auch dazu beitragen, die Kommunikation zwischen den MS-Betroffenen und ihren Neurologen zu verbessern.

Chance und Risiko

Da sie selbst nicht erkrankt sind, ist ihnen häufig eine etwas objektivere und rationalere Sicht auf die Dinge möglich und sie bewerten Aussagen der medizinischen Fachperson womöglich anders, als die MS-Betroffenen selbst. Gerade wenn die MS-betroffene Person beispielsweise an kognitiven Symptomen leidet, kann es nützlich sein, wenn Angehörige dem Neurologen ihre eigene, mit etwas Distanz gemachte Einschätzung zum Krankheitszustand schildern können. Und sie können Betroffene darin unterstützen, wohlüberlegte Entscheidungen in Bezug auf das MS-Management zu fällen.

Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen mit MS, die ihre Familie und Bezugspersonen nicht belasten möchten und ihre Entscheidungen lieber selbständig treffen. Sie würden sich dann auch eher bevormundet oder befangen fühlen, wenn sie mit Begleitung zu ihrem Neurologen oder ihrer Neurologin gehen müssten. Gerade bei sensiblen Themen wie Blasen- und Darmstörungen oder sexuellen Problemen kann die Anwesenheit von Angehörigen zusätzlich hemmend wirken.

Arztgespräch: Kommunikation anpassen

Diese individuell unterschiedlichen Bedürfnisse von MS-Betroffenen wie auch die Dynamik, die von Angehörigen ausgeht, und deren Einfluss auf das MS-Management, sollten von den behandelnden Neurologen wahrgenommen und berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, die Arztkonsultation so zu gestalten, dass Angehörige optimal miteinbezogen werden, aber dennoch ein Raum geschaffen wird, in dem die MS-betroffene Person sensible Themen alleine mit ihrem Neurologen besprechen kann.

Die Gruppe betonte in ihrer Publikation, dass der Einbezug der Familie und anderer Bezugspersonen stets zum Ziel haben muss, das Wohl der MS-Betroffenen zu verbessern.

Auch die Vertrauenspersonen brauchen Unterstützung

Die gemeinsamen Gespräche der Gruppe machten deutlich, dass Unterstützung für Angehörige und Bezugspersonen wichtig ist. Denn auch sie können mit Ängsten oder Überforderung konfrontiert sein. Diese Angebote werden allerdings angemessener und effektiver erbracht, wenn sie ausserhalb des ärztlichen Umfelds stattfinden: Patienten- und Bereuungsorganisationen leisten hier einen wichtigen Beitrag.

Weitere Studien nötig

Die Gespräche haben weiter gezeigt, dass an verschiedenen Stellen Bedarf an zusätzlicher Information besteht: Bis anhin wurde vorwiegend die Kommunikation in der Arzt-Patienten-Beziehung untersucht. Studien, die sich mit dem Einbezug von Angehörigen und Bezugspersonen befassen, sind erst spärlich vorhanden.

Resultate solcher Studien könnten unter anderem dazu beitragen, dass Neurologinnen und Neurologen besser darin geschult würden, die Dynamik in gemeinsamen Gesprächen mit MS-Betroffenen und ihren Bezugspersonen wahrzunehmen und entsprechend darauf einzugehen.

Zudem sollten zukünftige Studien so aufgebaut werden, dass sie die Rolle der Angehörigen beim Management einer MS mitberücksichtigen. Denn das Umfeld ist bei MS oft ein entscheidender Faktor - etwa für die Therapietreue und für ein erfolgreiches Management der Symptome.