Wie werden MS-Betroffene ab 55 Jahren mit immunmodulierenden Medikamenten behandelt?

Das Schweizer MS Register

Obwohl hochwirksame und neu entwickelte immunmodulierende Medikamente den Krankheitsverlauf bei MS-Betroffenen verbessert haben, besteht immer noch Unklarheit darüber, ob und wie ältere MS-Betroffene, die fast die Hälfte der Erwachsenen mit MS ausmachen, mit immunmodulierenden Medikamenten behandelt werden sollten.

Der Grund dafür ist, dass die Mehrzahl der Studien, die zur Zulassung der Medikamente führten, Personen über 55 Jahren ausschloss, so dass die Wirksamkeit und Sicherheit für ältere Personen stets von Daten über jüngere Bevölkerungsgruppen abgeleitet wurden.

Die Analyse zahlreicher Studien zeigt, dass das Alter ein wichtiger Einflussfaktor für die Wirkung ist; jüngere Patienten profitieren am meisten von immunmodulierenden Medikamenten bei der Verringerung von Schüben und des Fortschreitens der Behinderung. Im Alter kommt es zu Veränderungen des Immunsystems und des Stoffwechsels. Dies kann die Aufnahme und Wirkung von Medikamenten beeinflussen, was zu Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen führen kann.

Risiken vs. Nutzen

Daher ist eine wichtige Frage zu beantworten: Wann beginnen die Risiken einer immunmodulierenden Therapie den Nutzen zu überwiegen? Zwar sind die Leitlinien in einigen Punkten eindeutig, z.B. dass das höhere Alter beim ersten Auftreten von MS-Symptomen allein kein Grund ist, die Person nicht mit immunmodulierenden Medikamenten zu behandeln. Doch einige Entscheidungen liegen im situativen Ermessen der Neurologen und der MS-Betroffenen, da es bisher keine Daten gibt.

Um zu untersuchen, wie MS-Betroffene über 55 Jahre in der Schweiz behandelt werden, wird derzeit eine Studie im MS Register durchgeführt. Die Daten von 408 Teilnehmenden im Alter von 55 Jahren und älter aus einer Verlaufsbefragung werden analysiert und mit den Daten von 443 Teilnehmenden im Alter von 40-54 Jahren verglichen.

Ergebnisse der aktuellen Studie

Abgesehen vom Altersunterschied und der damit verbundenen Krankheitsdauer, gab die ältere Gruppe erwartungsgemäss seltener eine schubförmige MS (42,2% gegenüber 72,2%) und häufiger eine sekundär progrediente Form (34,1% gegenüber 11,5%) oder eine primär progrediente Form (19,6% gegenüber 10,4%) an (im Vergleich zur jüngeren Gruppe). Die älteren Betroffenen gaben auch häufiger mässige (36,3% vs. 16,7%) und schwere Gangstörungen (12,7% vs. 6,1%) an als die Jüngeren.

In Bezug auf die Behandlung mit immunmodulierenden Medikamenten gaben 216 MS-Betroffene (52,9%) ab 55 Jahren an, eine immunmodulierende Therapie erhalten zu haben, während in der jüngeren Vergleichsgruppe sogar 315 (71,1%) Teilnehmende angaben, immunmodulierende Medikamente einzunehmen. In der Abbildung oben ist zu sehen, wie viele Personen immunmodulierende Medikamente erhalten haben, aufgeteilt in die Gruppen der MS-Typen.

Die am häufigsten verwendeten immunmodulierenden Medikamente unterschieden sich auch zwischen den beiden Altersgruppen, wobei Ocrevus® / Ocrelizumab (30.1%) in der älteren Gruppe am häufigsten verwendet wurde und Gilenya® / Fingolimod (24.8%) am häufigsten in der jüngeren Gruppe.

Die älteren Teilnehmenden, die immunmodulierende Medikamente erhielten, wurden auch hinsichtlich soziodemografischer, gesundheitlicher und MS-bezogener Faktoren mit jenen älteren Teilnehmenden verglichen, die keine immunmodulierenden Medikamente erhielten. Diejenigen, die Medikamente erhielten, waren im Durchschnitt etwas jünger und hatten häufiger eine schubförmige Verlaufsform, während diejenigen, die keine Medikamente erhielten, häufiger eine schwere Gehbehinderung hatten.

Was andere therapeutische Optionen betrifft, so wurden Komplementärmedizin wie Akupunktur und Osteopathie (24.0% gegenüber 13.4%) sowie Cannabisprodukte (16.1% gegenüber 9.7%) häufiger von Personen in Anspruch genommen, die keine immunmodulierende Behandlung erhielten.

Der Prozentsatz derjenigen, die angaben, in den letzten sechs Monaten MS-bezogene Symptome gehabt zu haben, war jedoch fast genau gleich (74,1% in der Gruppe ohne Medikamenteneinnahme, gegenüber 74,6% in der Gruppe mit Medikamenteneinnahme). Verglich man die Häufigkeit spezifischer Symptome zwischen den beiden Gruppen, zeigten sich keine markanten Unterschiede wie z.B. beim Auftreten von Symptomen wie Gang- und Gleichgewichtsstörungen und Spasmen, was verdeutlicht, dass auch die medikamentös behandelte Gruppe nicht symptomfrei ist.

Eine Therapie-Übersicht der in der Schweiz eingesetzten immunmodulierenden Medikamente finden Sie auf der Webseite der Schweiz. MS-Gesellschaft: Verlaufstherapie. Ebenfalls bietet die Schweiz. MS-Gesellschaft zu den entsprechenden Themen detaillierte Beratungen und Dienstleistungen an.