Pharma-Transparenz: Interview mit drei Neurologen

Vor kurzem nahm Patientenschützerin Barbara Züst Stellung zur Transparenzinitiative der Pharma-Industrie. Diese legte Anfang Juli alle getätigten Zahlungen an Ärzte offen. Drei praktizierende Ärzte und Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats legen nun ihre Sicht der Dinge dar.

Mehr als 50 Pharmafirmen haben Anfang Juli ihre Zahlungen an Ärzte und Organisationen öffentlich gemacht. Was halten Sie von dieser Transparenzinitiative?

DR. MED. MAX WIEDERKEHR: Freiwillig ist in diesem Zusammenhang lediglich die Form der Transparenzerhöhung, welche durch die Revision des Heilmittelgesetztes (HMG) gefordert wird. Aufgrund dieser unübersichtlichen Darstellungsweise entsteht allerdings nur vordergründig eine erhöhte Transparenz, da nicht zu entnehmen ist, wofür die Mittel fliessen.

PROF. DR. MED. LUDWIG KAPPOS: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings ist die Art der Veröffentlichung in der Tat nicht sehr aufschlussreich.

DR. MED. MYRIAM SCHLUEP: Ein weiterer Schritt könnte sein, den Zweck der Zahlungen genau auszuweisen. Das könnte helfen, auch die positiven Aspekte der Zusammenarbeit aufzuzeigen

Ärzte können bestimmen, ob sie ihre Zahlungen veröffentlicht sehen wollen oder nicht. Haben Sie Ihre Zahlungen veröffentlichen lassen?

WIEDERKEHR: Ja.

KAPPOS: Das Universitätsspital hat der Veröffentlichung zugestimmt.

SCHLUEP: Alle Zahlungen, die ans CHUV geleistet wurden oder werden, werden publiziert.

Warum fliesst Geld von der Industrie an Ärzte?

SCHLUEP: Es gibt verschiedene Gründe und die Situation eines privat praktizierenden unterscheidet sich von derjenigen eines Spital-Arztes oder eines Forschenden, dessen Forschungs- oder Bildungsprojekte unterstützt werden.

WIEDERKEHR: Zum einen sind klare Gegenleistungen damit verbunden (Aufträge), zum Beispiel beim Sponsoring von Weiterbildungen im Rahmen von PR-Massnahmen. Andererseits sind Product-Placement und Kundenbindung weitere Ziele, die heute aber aufgrund klarer Vorgaben insbesondere auch Pharmafirmen-interner Art eher in den Hintergrund gerückt sind.

KAPPOS: Diese Gegenleistungen umfassen zum Beispiel Beratung, Mitarbeit bei Forschungsprojekten (Auftragsforschung), Weiterbildungsaktivitäten (Vorträge, Diskussionsrunden) oder Unterstützung von Forschungs- und Weiterbildungsaktivitäten einer Institution.

Wie beurteilen Sie, welche Zahlungen und Zuwendungen Sie annehmen und welche Sie ablehnen?

KAPPOS: Ich persönlich nehme keine Zahlungen an. Einnahmen aus Aktivitäten im Zusammenhang mit der Industrie fliessen an das Universitätsspital und haben keinen Einfluss auf mein persönliches Einkommen. Sie kommen unseren Forschungs- und Weiterbildungsprojekten zugute.

SCHLUEP: Bei uns im CHUV müssen alle Zahlungsangebote mit einem Vertrag verbunden sein, der zuerst von unseren Juristen geprüft wird. Dieser muss anschliessend entweder vom Krankenhausleiter oder dem Departementsleiter unterschrieben werden sowie vom Arzt oder von der Ärztin, die für das Projekt zuständig sind und dem Chefarzt. Zahlungsangebote in Zusammenhang mit Medikamentenverschreibung werden gar nicht akzeptiert, das ist ein ethischer Grundsatz und eine Regel unserer Institution, die strikt kontrolliert wird.

WIEDERKEHR: Minimalkriterium für die Annahme einer Zahlung/Zuwendung ist selbstverständlich die Gesetzeskonformität. Auch die Bezahlung eines Aufwands ist in Ordnung. Beim Sponsoring, zum Beispiel bei einer persönlichen Kongresseinladung mit dem üblicherweise geforderten Selbstbehalt, muss die Situation differenzierter betrachtet werden: Handelt es sich um Monosponsoring oder Multisponsoring? An gewissen hochspezifischen Kongressen mit klar defniertem Einladungsspektrum würde man auf anderem Weg gar nicht herankommen.

Was sagen Sie zur Aussage von Patientenschützerin Barbara Züst, dass Ärzte in gewissen Situationen Zahlungen nicht als bedenklich wahrnehmen oder als normalen Bestandteil des Einkommens rechtfertigen?

WIEDERKEHR: Ich weiss nicht, auf welche Situationen sich Frau Züst mit dieser Aussage bezieht. Wenn ich aber einen Vortrag halten muss, einige Stunden Vorbereitungsaufwand habe, an einen anderen Ort reisen und allenfalls dort übernachten muss, erwarte ich als selbstständig Erwerbender eine adäquate Aufwandentschädigung.

KAPPOS: Wenn Höhe und Gegenstand solcher Zahlungen gegenüber dem Arbeitgeber offengelegt sind und einer sorgfältigen Kontrolle auf allfällig entstehende Interessenskonflikte unterzogen werden, ist das legitim. In manchen Ländern, in denen Ärzte sehr wenig verdienen, kann das einen wesentlichen Anteil des Salärs ausmachen.

SCHLUEP: Gemäss den Leitlinien des CHUV darf keine private Zuwendung von den Angestellten akzeptiert werden, sämtliche Zahlungen gehen an die Institution.

Welches sind die Vorteile in der Zusammenarbeit mit Pharmafirmen?

KAPPOS: Das Knowhow und die Professionalität der forschenden Industrie und finanzielle Flexibilität können die Forschung erleichtern oder erst ermöglichen. Die Entwicklung von Medikamenten ist in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nicht ohne diese Zusammenarbeit zu leisten.

WIEDERKEHR: Ich bin nicht-chirurgisch tätiger Arzt und deshalb stellt der Einsatz von geeigneten Arzneimitteln einen wesentlichen Bestandteil der Tätigkeit dar. Entsprechend bin ich auf die Entwicklung und den Vertrieb von Medikamenten angewiesen.  Ein hoher Informationsstand zu einzelnen Medikamenten hilft hier, der bilaterale Informationsfluss ist dabei unabdingbar.

SCHLUEP: Die Zusammenarbeit ist essenziell wenn es um therapeutische klinische Studien geht, die neue Wirkstoffe testen, um Langzeitstudien über die Sicherheit neuer Medikamente, Forschungsunterstützung (sorgfältig durch unsere Juristen geprüft, um Interessenkonflikte in beide Richtungen zu vermeiden), direkter Zugang zu Informationen über die Sicherheit, etc.

Wie beeinflussen Bemühungen oder Zahlungen aus der Pharma-Industrie Ihre tägliche Arbeit?

KAPPOS: Diese Zahlungen ermöglichen den Teil der Forschung unserer Gruppe, der von der Universität oder öffentlichen Trägern nicht finanziert werden kann.

SCHLUEP: Genau, sie unterstützen auch Teile meiner Forschungsprojekte, in Ergänzung zu anderen Finanzierungen. Allerdings hat dies keinen Einfluss auf die Entscheidungen, die ich in der Behandlung von MS-Patienten treffe.

WIEDERKEHR: Trotz allfälligen Bemühungen aus der Pharma-Industrie, damit ich bei sich konkurrierenden Produkten dem einen oder anderen den Vorzug gebe, sind für mich in erster Linie Firmen-unabhängige Informationen entscheidungsrelevant: Studien in sogenannten «Peer-reviewed Journals», nationale Leitlinien, Diskussionsergebnisse, Expertengremien, persönliche Erfahrungen.

Woher weiss ein Patient, ob der ihn behandelnde Arzt seine Entscheidungen unabhängig und ohne Einfluss der Pharmafirmen trifft?

SCHLUEP: Es ist üblich, Patienten während einer Konsultation über alle verfügbaren Therapien zu informieren, die angesichts des spezifischen Typs und Stadiums der MS infrage kommen. Dann wird – unter Berücksichtigung aller anderen Erkrankungen oder Voraussetzungen – der Entscheid zusammen mit dem Patienten gefällt. Diese Herangehensweise fördert das Vertrauen in den Neurologen. Pharmafirmen können die Behandlungsentscheidung nicht direkt beeinflussen. Was zählt, sind die spezifischen Eigenschaften und Nebenwirkungen eines Medikaments.

WIEDERKEHR: Der Patient kann das aufgrund der Darstellung des Sachverhalts, seines Vertrauensverhältnisses zum Arzt, Mund-zu-Mund-Informationen im persönlichen Umfeld, Beschaffung seriöser Informationen auf anderen Wegen und allenfalls mittels Zweitmeinung einschätzen.

KAPPOS: Dem stimme ich zu: Es braucht sachliche Informationen, Vertrauen in die behandelnde Person und Institution sowie gegebenenfalls eine Zweitmeinung.

Wie gehen Sie mit Patienten um, die Ihre Aussagen und Entscheidungen dauernd hinterfragen?

KAPPOS: Ich versuche, geduldig auf die vorgebrachten Argumente einzugehen, vertiefte Information anzubieten und die Möglichkeiten zu erklären, sich diese Informationen zu beschaffen. Schwierig wird es, wenn Aberglaube und Vorurteile fachlich und sachlich begründete Argumente abprallen lassen.  Bleiben Zweifel an meinen Empfehlungen bestehen, stelle ich gerne meine Unterlagen für eine Beratung oder auch Weiterbehandlung an anderer Stelle zur Verfügung. Wichtig ist, dass eine Vertrauensbasis aufgebaut wird, nur so können auch allfällige  Krisensituationen im Verlauf gemeistert werden.

WIEDERKEHR: Grundsätzlich schätze ich den «mündigen» Patienten, der den Aufwand auf sich nimmt und die Kapazität hat, sich mit meinen Aussagen und Entscheidungen auseinander zu setzen. Ich nehme mir jeweils gerne Zeit für die entsprechende Diskussion. Selten einmal ist es schwierig, eine gemeinsame Sprache zu finden oder bei unspezifischen Ängsten sowie einer generellen Entscheidungsunfähigkeit eine Lösung zu finden.

SCHLUEP: Es ist wichtig, dass der Patient seinen Neurologen als Experten in Sachen MS wahrnimmt, Fragen stellt und die Mechanismen der Krankheit sowie die Wirkungsweise verschiedener Behandlungen versteht. MS-Patienten sind normalerweise gut informiert und stellen viele Fragen. Im Falle von fehlendem Vertrauen oder wenn ein Patient bei einer einem Behandlungsvorschlag zögert, sollte er sich eine Zweitmeinung einholen.

Verschreiben Sie in jedem Fall Medikamente oder gibt es auch Fälle, in denen Sie zu anderen Behandlungen raten?

SCHLUEP: Eine nicht unerhebliche Anzahl MS-Patienten nehmen keine Medikamente ein, etwa bei gewissen klinisch isolierten Symptomen oder einem milden Krankheitsverlauf. Später bekommen sie vielleicht Medikamente, manche nehmen aber im ganzen Leben nie MS-Medikamente ein. Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, wie Physiotherapie oder Alternativmedizin – entweder parallel zu den verschriebenen Medikamenten oder für sich allein.

WIEDERKEHR: Verlaufsmodulierende Medikamente stehen nicht bei allen Formen der MS zur Verfügung und nicht in jedem Stadium sind solche Medikamente sinnvoll. Die Behandlung erfolgt individuell angepasst und multimodal.

KAPPOS: Wo diese angebracht sind, verschreibe ich Medikamente. Wenn andere Massnahmen sinnvoll sind, rate ich zu diesen. Das wichtigste Kriterium ist der Nachweis oder zumindest die Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit.

Können Sie die Bedenken von Patienten und Patientenschützern nachvollziehen?

WIEDERKEHR: Eigentlich nicht, wenn ich mir meinen Praxisbetrieb anschaue. Das Sponsoring macht weniger als 0.1% des Gesamtumsatzes aus. Die Wahl des Medikaments ist ebenfalls nebensächlich, da sich die Margen bei den hochpreisigen MS-Medikamenten im völlig analogen niedrigen Bereich bewegen. Die von den Pharmafirmen selbst auferlegten Einschränkungen bei der geldwertigen Einflussnahme gehen zudem deutlich über das vom Heilmittelgesetz (HMG) geforderte Mass hinaus.

SCHLUEP: Es handelt sich zweifelsohne um ein wichtiges Thema und Patienten müssen informiert sein. Transparenz ist für die Beziehung zwischen Patienten und Neurologen sehr wichtig.

KAPPOS: Es geht um einen grundsätzlichen Konflikt: Wir als Ärztinnen und Ärzte verordnen etwas (ob Medikamente oder andere diagnostische und therapeutische Leistungen), das andere (Patienten) konsumieren, ohne dass sie die Qualität einer Konsultation vollständig beurteilen können. Bezahlen müssen wiederum andere (Krankenkassen, die Allgemeinheit), die ebenfalls die Berechtigung/Qualität solcher Verordnungen meist nur grob beurteilen können. Ohne Vertrauen, das auf das Wissen um klare Regelungen und Transparenz  gründen muss, lässt sich kein gutes Ergebnis erzielen.

Das Interview wurde geführt mit Dr. Max Wiederkehr, Facharzt für Neurologie in eigener Praxis in Luzern, Dr. Myriam Schluep, Neurologin am Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) in Lausanne und Dr. Ludwig Kappos, Chefarzt Neurologie am Universitätsspital Basel.