MULTI-ACT - ein gemeinsamer Rahmen in der Gesundheitsforschung

Laut WHO steigt die Zahl der Menschen mit neurologischen Krankheiten aufgrund von Faktoren wie einer höheren Lebenserwartung immer weiter. 

Es ist von Bedeutung, ein Forschungsmodell zu entwickeln, das Ergebnisse hervorbringt, die sich wirklich auf das Leben von Betroffenen und deren Angehörigen auswirken. Ist der MULTI-ACT Forschungsansatz eine mögliche Lösung?

Was ist der MULTI-ACT?

Das MULTI-ACT-Projekt (2018 -2021), das vom Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert wurde, zielt darauf ab, die Gesundheitsforschung bei Hirnerkrankungen voranzutreiben und ein neues Modell zu schaffen, das eine effektive Zusammenarbeit aller relevanten Interessensträger ermöglicht.

«Offene Wissenschaft/Open Science» auf dem Vormarsch

Das Potential eines MULTI-ACT-Ansatzes besteht darin, dass möglichst alle Wissenschaftler beginnen, ihre Daten so schnell wie möglich mit allen Wissensakteuren zu teilen. Es soll eine «Offene Wissenschaft/ Open Science» stattfinden. Diese Vorstellung der Zusammentragung und Teilung von Daten wird zusätzlich durch die Corona-Krise befeuert. Der Grundgedanke von Open Science ist, dass der frühzeitige Austausch von Wissen und Daten die Operationalisierung der Wissenschaft erleichtert. Open Science bedeutet Offenheit gegenüber Wissensquellen und anderen Akteuren im Forschungszyklus.

«Verantwortungsvolle Forschung & Innovation» / Responsible Research & Innovation (RRI)

In den letzten Jahren fanden zwei wichtige Entwicklungen statt. Das Ziel der Europäischen Kommission Anfang der 2000er Jahre war es, die Institutionen besser mit den Bürgern zu verbinden und einen anhaltenden Paradigmenwechsel in der Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik zu bewirken. Grundvoraussetzung für die Institutionalisierung von verantwortungsvoller Forschung und Innovation in jeder Organisation sind engagierte Akteure, ein unterstützendes internes Anreizsystem und ein Mindestmaß an Offenheit der Organisation gegenüber RRI. Gleichzeitig gibt es auch Hindernisse und Risiken: So kann es zu einer Aufgabenüberlastung kommen, da RRI zeit- und ressourcenschonend ist. Weiter ist ein Mangel an Ressourcen, Kenntnissen und Fähigkeiten von Forschungsorganisationen und Forschenden denkbar. Auch können bestehende Organisationsnormen und -werte im Widerspruch zu RRI-Ambitionen stehen oder wird RRI zu einer Übung ohne sinnvolle Praxis, denn die Verantwortung in Forschung und Innovation ist ein kontextspezifischer Prozess, der von den Forschungsorganisationen auf ihre eigenen Gegebenheiten angepasst werden muss.

Wie relevant ist der RRI-Ansatz im Gesundheitswesen?

RRI bezieht die Gesellschaft als Ganzes und nicht nur Forschende ein. Forschung wurde jedoch immer als weit von der Gesellschaft entfernt betrachtet. Die Covid-19-Pandemie hat das Bewusstsein für die Forschung erheblich gestärkt und brachte verschiedene Zweige der Medizin dazu, gemeinsam die direkten Auswirkungen von Covid-19 als auch seine Nebenwirkungen anzugehen. Die Pandemie zeigte die dringende Notwendigkeit weiterer RRI-Initiativen und bot die Möglichkeit, diese zu entwickeln. Dies erleichterte die Zusammenarbeit. Der Notfall brachte einen Sinneswandel, der einige Praxisänderungen in RRI erleichterte. Ein weiterer wichtiger Aspekt von RRI sind Partnerschaften. Die Pflege und Entwicklung von Partnerschaften stellen einen dynamischen Prozess dar. Eine wissenschaftliche Gemeinschaft ist ein globales Netzwerk, das nationale Grenzen überschreitet, und die Bemühungen sollten darauf ausgerichtet sein, mehr solcher Netzwerke aufzubauen und wirksam zu machen. Das italienische Gesundheitsministerium schloss sich 2014 einem dieser Netzwerke an, um den Empfehlungen von Lancet zu folgen, wonach die Forschung den Bedürfnissen der Betroffenen viel mehr gerecht werden sollte; Daten sollten geteilt werden und im Gesundheitswesen sollte es einen Austausch zu den bewährten Verfahren auf der Pflegeebene und nicht nur auf der wissenschaftlicher Ebene geben. Ohne die richtigen Werkzeuge ist die gemeinsame Gestaltung der anstehenden Aufgaben mit den Betroffenen jedoch schwer zu erreichen. Deshalb beschloss das italienische Gesundheitsministerium, mit dem MULTI-ACT-Projekt zusammenzuarbeiten und die daraus zur Verfügung gestellten Instrumente zu nutzen, die die Interessengruppen in allen Bereichen der medizinischen Forschung einsetzen konnten.

Zu Beginn der Pandemie gab es mehrere Initiativen zum Datenaustausch, die schnelle Reaktionen ermöglichen sollten, um den Bedürfnissen von MS-Betroffenen gerecht zu werden und eine Unterstützung bei der Behandlung von Covid-19 zu garantieren. RRI verlangt des Weiteren von der Pharmaindustrie, den unerfüllten Bedürfnissen und Herausforderungen der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Pandemie war ein Paradebeispiel dafür, dass Zusammenarbeit notwendig ist. Die Gesellschaft verändert sich rasch, umso wichtiger ist es, die Vielfalt der Interessengruppen und die Auswirkungen der Produkte, die für sämtliche Stakeholder-Gruppen produziert werden, zu berücksichtigen. Es ist auch wichtig, die richtigen Instrumente zu schaffen und von Anfang an mit Betroffenen zu arbeiten, um das Auseinanderfallen zwischen Forschenden, Pflegedienstleistern und Betroffenen zu verhindern.

Der vermehrte Einsatz digitaler Technologien im Verlaufe der Pandemie erleichterte und verschnellerte die Kommunikation zwischen und mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft. In ähnlicher Weise wurde das Management klinischer Studien auch durch digitale Instrumente positiv beeinflusst. Selbst direkte Wettbewerber aus derselben Branche arbeiteten zusammen und auch die Interessengruppen reagierten gemeinsam gegen Covid-19, um so möglichst schnell Ergebnisse zu erzielen. Dies führte zu verbesserten Partnerschaften und einer offenen Grundhaltung in der Forschung.

MULTI-ACT als Werkzeugkasten für künftige Forschung 

Der Kern eines Multi-Stakeholder-Engagements ist das Vertrauen. Dies erfordert Vertrauen in den Prozess, aber auch, dass die beteiligten Interessengruppen erleben, dass ihre Perspektiven gehört und umgesetzt werden. Das MULTI-ACT-Modell stellt sicher, dass für die Forschung die richtigen Fragen von Anfang an gestellt werden. Der MULTI-ACT kann einen Übergang zu einem Modell unterstützen, bei dem Betroffene wichtige Akteure sind.

Publikationsdaten Original:  23.03.2021
Basis der im März 2021 publizierte Bericht zur Abschlusskonferenz der Italienischen MS-Gesellschaft