«MSVirtual2020» - Neurofilamente im Blut liefern Informationen zum MS-Verlauf

Fachartikel

Ein Bluttest ermöglicht Prognosen über die Behinderungszunahme bei MS, wie Schweizer Forscher aufzeigen konnten.

Nachdem in den vergangenen Jahren mit neuen MS-Medikamenten gute Erfolge bei der Verhinderung von MS-Schüben erzielt werden konnten, rückt in letzter Zeit die Behinderungsprogression, also die schleichende Zunahme von Behinderung unabhängig von Schüben, in den Fokus der Wissenschaft. Das Auftreten von Behinderungsprogression in fortgeschrittenen Stadien der MS ist seit langem bekannt. Mittlerweile zeigt sich aber, dass auch ein gewisser Teil von MS-Betroffenen in einer früheren Phase der Erkrankung Zeichen einer langsamen Behinderungszunahme unabhängig von Schüben entwickelt.

Um dieses Phänomen besser zu verstehen, führten wir eine Studie im Rahmen der Schweizerischen MS Kohorte (SMSC) durch. In der SMSC, die von der Schweiz. MS-Gesellschaft seit ihrem Beginn 2012 finanziell unterstützt wird, werden von über 1’400 MS-Betroffenen mittels Bildgebung (MRI: Magnetresonanztomographie) und Blutproben systematisch Informationen über den klinischen Verlauf ihrer MS erfasst.

Präzise Methode misst Neurofilamente im Blut

Unsere aktuelle Studie untersuchte nun den Zusammenhang von Neurofilamenten und Behinderungsprogression. Neurofilamente sind Eiweissbestandteile, die bei der Zerstörung von Nervenzellen ins Nervenwasser und ins Blut abgegeben werden. In den vergangenen Jahren haben wir am Universitätsspital Basel eine spezielle Methode entwickelt, um diese Neurofilamente präzise im Blut nachweisen zu können. Wir konnten bereits zeigen, dass die Höhe der Neurofilament-Spiegel im Blut die aktuelle Krankheitsaktivität wiederspiegelt und auch Prognosen über den zukünftigen Krankheitsverlauf erlaubt. Ob diese Methode auch für die schleichende Behinderungsprogression ohne Schübe anwendbar ist, war jedoch unklar.

Um diese Frage zu beantworten, untersuchten wir über 800 Teilnehmer der SMSC, die im Verlauf der Studie keine Schübe hatten und durchschnittlich über etwa 5 Jahre beobachtet wurden.

Vorgestellt wurden diese Ergebnisse auf der «MSVirtual2020». Das gemeinsame Treffen von ECTRIMS- und ACTRIMS-Neurologen fand aufgrund von Covid-19 erstmals online vom 11. bis 13. September 2020 unter dem Namen «MSVirtual2020» statt.

Neurofilamente sind auch bei schleichender MS aussagekräftig

Zunächst konnten wir bei ca. einem Fünftel der untersuchten Personen eine schleichende Verschlechterung der Behinderung unabhängig von Schüben feststellen. Bei diesen Personen waren die durchschnittlichen Neurofilament-Spiegel im Blut im Vergleich mit den anderen Studienteilnehmern über den gesamten Beobachtungszeitraum signifikant um ca. 12% erhöht (unabhängig von anderen bekannten Faktoren, die Neurofilament-Spiegel erhöhen). Die Neurofilament-Spiegel waren hingegen niedriger, wenn die MS-Betroffenen zum Zeitpunkt der Blutentnahme mit einem der neueren MS-Medikamente (Tabletten oder Infusionsbehandlungen mit sogenannten «monoklonalen Antikörpern») behandelt wurden. Ausserdem war bei Studienteilnehmern, die zu Beginn der Studie sehr hohe Neurofilament-Spiegel hatten, das Risiko, im weiteren Verlauf eine Behinderungsprogression zu entwickeln, deutlich erhöht.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass mit der Messung von Neurofilamenten im Blut einerseits Behinderungsprogression erfasst werden kann. Anderseits kann auch das Risiko für deren zukünftiges Auftreten abgeschätzt werden. Diese Resultate bieten einen Ansatzpunkt, die schleichende Progression besser messbar zu machen, was eine wichtige Voraussetzung für ihre Behandlung darstellt.

Wir danken der Schweiz. MS-Gesellschaft für die langjährige finanzielle Unterstützung der SMSC und vor allem allen teilnehmenden MS-Betroffenen, ohne deren Einsatz diese Forschung nicht möglich wäre!

Hinweise

  • Lesen Sie einen weiteren Bericht zu einer Neurofilament-Studie, die in Basel durchgeführt wurde: «MSVirtual2020» - Personalisierte Medizin rückt einen Schritt näher
  • Das Magazin FORTE 1/2021 (erscheint Mitte Februar), widmet sich dem Schwerpunktthema «Forschung». Darin wird Prof. Jens Kuhle in einem Interview interessante Einblicke in laufende Forschungsprojekte geben.