Um dieses Phänomen besser zu verstehen, führten wir eine Studie im Rahmen der Schweizerischen MS Kohorte (SMSC) durch. In der SMSC, die von der Schweiz. MS-Gesellschaft seit ihrem Beginn 2012 finanziell unterstützt wird, werden von über 1’400 MS-Betroffenen mittels Bildgebung (MRI: Magnetresonanztomographie) und Blutproben systematisch Informationen über den klinischen Verlauf ihrer MS erfasst.
Präzise Methode misst Neurofilamente im Blut
Unsere aktuelle Studie untersuchte nun den Zusammenhang von Neurofilamenten und Behinderungsprogression. Neurofilamente sind Eiweissbestandteile, die bei der Zerstörung von Nervenzellen ins Nervenwasser und ins Blut abgegeben werden. In den vergangenen Jahren haben wir am Universitätsspital Basel eine spezielle Methode entwickelt, um diese Neurofilamente präzise im Blut nachweisen zu können. Wir konnten bereits zeigen, dass die Höhe der Neurofilament-Spiegel im Blut die aktuelle Krankheitsaktivität wiederspiegelt und auch Prognosen über den zukünftigen Krankheitsverlauf erlaubt. Ob diese Methode auch für die schleichende Behinderungsprogression ohne Schübe anwendbar ist, war jedoch unklar.
Um diese Frage zu beantworten, untersuchten wir über 800 Teilnehmer der SMSC, die im Verlauf der Studie keine Schübe hatten und durchschnittlich über etwa 5 Jahre beobachtet wurden.
Vorgestellt wurden diese Ergebnisse auf der «MSVirtual2020». Das gemeinsame Treffen von ECTRIMS- und ACTRIMS-Neurologen fand aufgrund von Covid-19 erstmals online vom 11. bis 13. September 2020 unter dem Namen «MSVirtual2020» statt.
Neurofilamente sind auch bei schleichender MS aussagekräftig
Zunächst konnten wir bei ca. einem Fünftel der untersuchten Personen eine schleichende Verschlechterung der Behinderung unabhängig von Schüben feststellen. Bei diesen Personen waren die durchschnittlichen Neurofilament-Spiegel im Blut im Vergleich mit den anderen Studienteilnehmern über den gesamten Beobachtungszeitraum signifikant um ca. 12% erhöht (unabhängig von anderen bekannten Faktoren, die Neurofilament-Spiegel erhöhen). Die Neurofilament-Spiegel waren hingegen niedriger, wenn die MS-Betroffenen zum Zeitpunkt der Blutentnahme mit einem der neueren MS-Medikamente (Tabletten oder Infusionsbehandlungen mit sogenannten «monoklonalen Antikörpern») behandelt wurden. Ausserdem war bei Studienteilnehmern, die zu Beginn der Studie sehr hohe Neurofilament-Spiegel hatten, das Risiko, im weiteren Verlauf eine Behinderungsprogression zu entwickeln, deutlich erhöht.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass mit der Messung von Neurofilamenten im Blut einerseits Behinderungsprogression erfasst werden kann. Anderseits kann auch das Risiko für deren zukünftiges Auftreten abgeschätzt werden. Diese Resultate bieten einen Ansatzpunkt, die schleichende Progression besser messbar zu machen, was eine wichtige Voraussetzung für ihre Behandlung darstellt.
Wir danken der Schweiz. MS-Gesellschaft für die langjährige finanzielle Unterstützung der SMSC und vor allem allen teilnehmenden MS-Betroffenen, ohne deren Einsatz diese Forschung nicht möglich wäre!