MS Researcher Meeting
Das MS Researcher Meeting war mit ca. 85 Teilnehmenden sehr gut besucht. Die Forschungsgruppen reisten hauptsächlich aus Basel, Genf, Lausanne, Zürich und Bern an. Einleitend erläuterte Dr. Christoph Lotter, Vizedirektor der MS-Gesellschaft, dass dieses Jahr aufgrund der grossen Anzahl eingegangener hervorragenden Forschungsgesuche mehr Mittel in die MS-Forschung investiert wurden (ca. 20% des jährlichen Budgets) als in den Jahren zuvor. Er unterstrich, dass Spenden von Privatpersonen, gerade in Zeiten schwieriger Beschaffung von Finanzmitteln, für die Förderung von MS-Forschungsprojekten die wichtigste Grundlage seien. Zudem machte er auf den Schweizer MS-Tag im Zürcher Puls 5 aufmerksam, der am 25. Juni 2016 zum ersten Mal stattfinden wird und ein grosses öffentliches Publikum anziehen soll.
Dr. Viktor von Wyl, Leiter des Projekts Nationales MS-Register (Swiss MS Registry, SMSR) schilderte, dass gemeinsam mit der MS-Gesellschaft ein Netzwerk etabliert werden soll, das Betroffene, Angehörige und Fachleute aus verschiedenen Gesundheitsbereichen einschliesst. Ziel sei es, dass sich möglichst viele MS-Betroffene – auch solche ohne Therapie – registrieren. Das Register solle helfen, die MS-Erkrankung und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben in der Schweiz besser zu verstehen und epidemiologische Studien zu erleichtern. Dabei seien die Daten Einzelner geschützt, d.h. sie würden in einer anonymisierten Form aufbereitet.
Referate von Killerzellen bis Kernspin
Insgesamt wurden 21 Forschungsprojekte mit Postern präsentiert und 14 Vorträge gehalten. Kurzvorträge hielten Dr. Nicolas Page (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Doron Merkler in Genf), Frau Aurélie Clottu (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Caroline Pot in Lausanne), PD Dr. Ruth Lyck (Basel), Prof. Dr. Ludwig Kappos, der die Arbeit von Dr. Regina Schlaeger (Basel) vorstellte, Herr Benjamin Ineichen (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Schwab in Zürich), Frau Carla Lippens (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stéphanie Hugues in Genf), Prof. Dr. Walter Reith, der das Projekt von Dr. Kerstin Sarter präsentierte (Genf), Frau Mahdia Benkhoucha (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Patrice Lalive in Genf) und Dr. Anne-Kathrin Pröbstel (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Tobias Derfuss in Basel). Die interessanten Studien reichten thematisch von Grundlagen-orientierten Arbeiten (experimentelle Tiermodelle und Zellkulturen) bis hin zu klinischen Untersuchungen. Dr. Page etwa hat ein Modell entwickelt, um besser zu verstehen, was T-Killerzellen (eine Untergruppe von weissen Blutkörperchen) dazu bringt, Nervengewebe anzugreifen und zu schädigen. Prof. Dr. Kappos stellte eine klinische Studie vor, die eine kernspintomographische Methode zur Bildgebung und Ausmessung des Gewebeschwundes im Rückenmark MS-Betroffener und einen möglichen Biomarker für das Voranschreiten der Erkrankung untersucht.
Mögliche neue Therapieansätze
Als Redner im Hauptprogramm des Neurologenkongresses traten Prof. Dr. Hartmut Wekerle (München), Prof. Dr. Roland Martin (Zürich) und Prof. Dr. Kappos (Basel) auf. Prof. Dr. Wekerle referierte über den möglichen Einfluss des Mikrobioms (der Gesamtheit der vielfältigen Mikroorganismen) der Darmflora auf die MS-Erkrankung. In den letzten Jahren wurde ein Zusammenhang zwischen der Darmflora und dem Immunsystem, und im spezifischen der Autoimmunität, immer deutlicher dargestellt. Prof. Dr. Wekerle konnte mit Hilfe eines MS-Mausmodells zeigen, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms den Krankheitsverlauf in diesem experimentellen System beeinflussen kann. Aus seiner Sicht könnte daher die Manipulation des Mikrobioms einen möglichen neuen Therapieansatz darstellen.
Prof. Dr. Martin gab einen schönen Überblick über die Bedeutung von Immunfaktoren in der MS-Entstehung. Er sprach unter anderem über «Risk Alleles», das sind Genvariationen, die ein erhöhtes Risiko einer MS-Erkrankung mit sich bringen. Zudem ging er auf einige Umweltfaktoren ein, die wichtig sein könnten: zum Beispiel Infektionen durch das Epstein-Barr-Virus (EBV), Vitamin D, Rauchen und Fettleibigkeit oder die Bedeutung des «Schlafhormons» Melatonin im Zusammenhang mit MS-Schüben, wie eine neue Arbeit von Mauricio Farez und Kollegen aufzeigt. Ausserdem beschrieb Prof. Dr. Martin neue Therapieansätze namens Rituximab oder Ocrelizumab, die B-Lymphozyten (eine weitere Untergruppe von weissen Blutkörperchen) aus dem Blut entfernen. Eine neue kanadische Arbeit, publiziert im «Science Translational Medicine», zeigt, dass diese Behandlung zumindest teilweise wirken könnte, indem sie schädliche (den Botenstoff GM-CSF produzierende) B-Zellen ausschaltet.
Prof. Dr. Kappos schloss diesen Teil des Meetings mit einem interessanten Überblick über klinische Studien zu neuen MS-Therapien ab. Unter anderem stellte er die Ergebnisse der kürzlich publizierten DECIDE Studie vor, welche die schubreduzierende Wirkung von monatlich unter die Haut gespritztem Daclizumab mit einem Interferonpräparat verglich. Daclizumab beeinflusst Immunzellen, indem es an eines ihrer Oberflächenmoleküle (CD25 oder Interleukin-2-Rezeptor) bindet. Die Studie wies auf eine bessere Wirksamkeit des Daclizumabs in Bezug auf die Verminderung der Anzahl jährlicher MS-Schübe hin. Ausserdem fasste Prof. Dr. Kappos interessante Neuigkeiten vom ECTRIMS-Kongress 2015 zusammen, welcher Anfang Oktober 2015 in Barcelona stattfand (ECTRIMS: European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis). Eines von mehreren Highlights war die Präsentation der sogenannten ORATORIO Studie gewesen, in welcher Ocrelizumab in der Behandlung von Patienten mit primär-progredienter MS gegenüber einem Scheinmedikament (Plazebo) positive Effekte zeigte.
Auszeichnung für Felix Hartmann
Der Poster Award für das beste Poster (500 CHF, gesponsert von der Schweiz. MS-Gesellschaft) wurde Herrn Felix Hartmann aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Burkhard Becher (Zürich) übergeben. In seiner Arbeit benutzt er die relativ neue Technologie der Massen-Zytometrie. Dies ist ein automatisiertes Messverfahren, das mit Hilfe von Laserstrahlen die Eigenschaften von Zellen analysiert. Konkret untersucht Herr Hartmann damit die Zytokin-Produktion bei MS-Betroffenen. Somit kann identifiziert werden, welche Kombination von Zytokinen (Botenstoffen) die T-Helferzellen (eine Art von weissen Blutkörperchen) ausschütten, die spezifisch bei MS-Betroffenen vorkommen.
Das anregende Meeting hat zu vielen produktiven Fragen und Diskussionen geführt und reflektiert die interdisziplinäre MS-Forschung in der Schweiz.
Text: Dr. Bettina Schreiner (Universitätsspital Zürich und Universität Zürich) und Prof. Dr. Melanie Greter (Universität Zürich)