MS Geschichten: An Freiheit gewonnen

MS-Geschichten

Gerne möchte ich euch meine Geschichte erzählen. Im Herbst 2020 habe ich mich schweren Herzens zu einem Rollstuhl entschieden. Einfach war das nicht. Im April 2021 hat mir Ueli von der IWAZ den Rollstuhl übergeben. Die Freude und Zweifel haben mich abwechslungsweise überrannt.

Zu diesem Zeitpunkt hat mich mein Arzt motiviert, mit ihm die letzte Etappe des Jakobswegs in der Schweiz, ungefähr 17 Kilometer von Coppet nach Genf, zu absolvieren. Das Ziel dieses Weges war, Freude am Rollstuhl zu erlangen und auch zu erkennen, was mit dem Rollstuhl alles möglich ist - und dies gepaart mit Spass und Freude.

An einem Sonntag im August 2021 war es dann soweit. Ich bin am Samstag ganz alleine mit dem Zug zum Flughafen Genf gefahren und hab dort im Hotel eingecheckt. Nur schon ganz alleine mit dem Zug zu fahren, war mit grosser Nervosität verbunden. Schaffe ich das alles ganz alleine? Immerhin war mein Französisch genügend gut, so dass ich um Hilfe bitten konnte.

Am Sonntag trafen wir uns beim Bahnhof Coppet. Die Zweifel, ob ich mich richtig entschieden habe, wurden immer grösser. Viel zu wenig Praxis mit meinem Rollstuhl, keine Ahnung, wie es mit der Hitze sein würde, nicht zu wissen, wie die Strassen sind, war eine grosse Herausforderung. Aufgeben war aber ganz sicher keine Option. Also los ging‘s ins Abenteuer.

Ich bin ehrlich, einfach war es nicht. Irgendwann haben sich auch leichte Lähmungen  in den Armen gezeigt. Wir haben fleissig Pause gemacht, sehr viel gelacht und diskutiert. Und so habe ich einen Kilometer nach dem anderen hinter mich gebracht. Zur Kirche für einen Stempel im Pilgerheft hat’s nicht gereicht, da steile Treppen mich dabei hinderten. Die grosse Freude, dass ich diese 17 Kilometer mit Herrn B. geschafft habe, war unbeschreiblich gross. Der Tag hat mir gezeigt, dass viele liebe Menschen mich unterstützen und mich auch mit Rollstuhl als vollwertigen Menschen akzeptieren. An diesem Tag bin ich über mich hinaus gewachsen und das Erlebnis hat mir die Stärke, die Zuversicht und die Energie gegeben, heute mit meinem Rollstuhl mit viel Spass unterwegs zu sein.

Meine Freundinnen und Freunde nehmen mich regelmässig auf Unternehmungen mit. Bin ich alleine unterwegs, spüre ich grosse Hilfsbereitschaft ohne Mitleid. Ob junge oder reifere Menschen, sie nehmen mich ernst, reden und lachen mit mir.

Heute bin ich dankbar, dass ich mich für den Rollstuhl entschieden habe. Ich habe viel mehr Freiheiten und habe akzeptiert, dass er zu mir gehört.

Zum Schluss möchte ich meiner Familie, meinen Freunden, der Schweiz. MS-Gesellschaft mit ihren wertvollen Anlässen, meinen Beratern rund ums Thema Rollstuhl, meinen Arbeitskollegen und meinem Arbeitgeber ein Dankeschön aussprechen, dass sie zu mir stehen und mich unterstützen, wenn ich sie brauche.

Alles Liebe, Eveline Hofmann

 

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