Interview mit Dr. Anke Salmen
Welt MS TagWas bedeutet MS für dich?
Als Medizin-Studentin und junge Assistenzärztin habe ich angefangen, mich in der Neurologie für MS im Besonderen zu interessieren. Wohl auch, weil mir die Betroffenen persönlich sehr nah waren und ich versucht habe, mich in sie hineinzuversetzen – was würde es für mich bedeuten, in diesem Alter, wo man sein Leben und seine Zukunft gerade gestalten will, sich damit auseinandersetzen zu müssen, «krank» zu sein? Über die Zeit habe ich fachlich und persönlich viel über MS gelernt, von meinen Mentoren und von den Betroffenen. So wurde die MS zu meinem beruflichen Schwerpunkt und neben der Patientenbetreuung wollte ich unbedingt daran mitwirken, mit Hilfe meiner Forschungsaktivitäten die Erkrankung besser zu verstehen und behandeln zu können.
Was verstehst du unter Miteinander stark?
Nur das Miteinander kann uns stark machen, in allen Bereichen. Wir merken das gerade in dieser besonderen und für alle einschränkenden Situation. Für meine Arbeit und Forschung sehe ich immer wieder, dass die relevanten Fragen, die Betroffene uns stellen, wichtige Inputs für uns sind, damit wir den Fokus auf das Wesentliche nicht verlieren. Ich werde sozusagen immer wieder von den Betroffenen inspiriert, das macht das stark, was wir in unserer Arbeitsgruppe tun. In unserer Arbeitsgruppe leben wir ebenso von einem offenen Miteinander-Diskutieren, auch hier sind Ärztinnen, Ärzte und biologische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammen stärker als allein, in der praktischen Arbeit, aber auch in der Art, wie wir uns unsere Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beantworten.
Was bewirkst du mit deiner Forschung?
Die Forschung unserer Gruppe, denn es ist immer eine Teamleistung, hat verschiedene Schwerpunkte: Wir möchten MS und verwandte Erkrankungen besser verstehen, dazu forschen wir mehr im Grundlagenbereich und mit Modellsystemen. Wenn wir bestimmte Mechanismen besser verstehen, können wir gezielter Therapien entwickeln, die vielleicht für eine bestimmte Gruppe von Patienten und Patientinnen besser wirksam oder besser verträglich sein können. In den Modellsystemen kann man neue Therapieansätze auch erstmalig testen. Darüber hinaus forschen wir viel mit Patientendaten, die uns genauso helfen, die Erkrankung besser zu verstehen, aber insbesondere auch, über die schon existierenden Therapien zu lernen. Wie wirken sich bestimmte Nebenwirkungen im Alltag aus?
Was bedeutet das für die Therapiesicherheit? Wie können wir somit die bestehenden Therapien «besser» machen? In diesen Fragen hat unsere Forschung schon wichtige Beiträge geleistet.
Was inspiriert dich, immer weiterzumachen/weiter zu forschen?
Ich habe das Glück, in meiner alltäglichen Arbeit den direkten Patientenkontakt und Forschung miteinander vereinbaren zu können. Die Interaktion mit den Betroffenen und das Gefühl, gute klinische Arbeit zu leisten, aber auch weiterhin die Limitationen unserer Behandlungsmöglichkeiten zu sehen, ist ein Ansporn, der sich in die Forschungsaktivitäten überträgt. Aus unserer Forschung sind neue Resultate immer wieder Motivation, die Fragestellung weiter zu verfolgen und bestmöglich zu beantworten.
Wenn du dir alles wünschen könntest, welchen Wunsch hättest du an die Politik und welchen an die Gesellschaft?
Puh. Die anderen Fragen fielen mir recht leicht zu beantworten, hier muss ich länger überlegen. Politisch würde ich mir sicher wünschen, dass trotz «Social Distancing» mehr Nähe in Entscheidungen zu Betroffenen entsteht. Hier meine ich mit Betroffenen nicht nur Patienten und Patientinnen, sondern auch uns als Ärztinnen, Ärzte, Pflegende etc. Manchmal sind Entscheidungen zu bestimmten medizinischen Dingen nicht sehr praxisnah oder werfen Probleme in der alltäglichen Umsetzung auf, die nicht zuvor bedacht werden konnten. An die Gesellschaft ist gerade, denke ich, ohnehin eine sehr grosse Herausforderung gestellt durch die derzeitige Corona-Situation. Hier würde ich mir wohl am ehesten wünschen, dass wir alle daraus lernen und, wenn sich die Situation wieder ändert, nicht zu schnell vergessen, wie wir all die Einschränkungen erlebt haben, ganz besonders im gemeinsamen Miteinander.