Gesichter der MS 2024: Karin Rabara

Gesichter der MS

Ich bin bald 45 Jahre alt und lebe seit rund 20 Jahren mit meinem Mann und unseren zwei Teenagern zusammen. Mein treuer und mir wertvoller Neurologe zeichnete mal das Bild eines Mobiles, zu welchem ich mich entschieden habe. Und die Balance damit ist noch immer da.

Seit einem Jahr befinde ich mich in der Ausbildung zur Lerntherapeutin. Ich musste offenbar 43 Jahre alt werden, um meinen mir am Herzen liegenden Beruf zu finden.

Wann bekamst du die Diagnose MS? Welche Verlaufsform «hast du»? Welche Symptome belasten dich am meisten?
MS wurde mir 1997 diagnostiziert, als ich noch in der Lehre war. Lange war es ein schubförmiger Verlauf, ich glaube, ich wurde dennoch nicht geschont. Seit wenigen Jahren ist eine leichte Progredienz deutlich geworden. Was mir wirklich Probleme macht und ich kaum verstehe, ist die enorme Spastik. Das hat meine Sichtweise auf die MS nochmals verändert. Das heisst aber nicht, dass ich bis dahin nicht ganz ähnlich von anderen Angriffen sprach! Das scheint mir komplex und immer wieder neu.

Welche Schlagzeile würdest du 2024 gerne über dich lesen?
Ich möchte keine Schlagzeilen, wünschte mir jedoch, dass mehr echte und gute Dinge gezeigt würden.

Wenn du dir eine «Superkraft» aussuchen dürftest, welche wäre das und warum?
Wenn ich mich im Alltag mit Familie, Freunden, Beruf und meinen eigenen Momenten sehe, so muss das doch auch schon eine «Superkraft» sein.

Wenn du deiner MS ein Tattoo widmest? Welches Motiv? Welcher Text? Wo am Körper?
Das lässt mich schmunzeln und wäre mir bis dahin nie in den Sinn gekommen! Ein klares Nein dazu.

Was macht dir Stress und wie drückt sich der Stress bei dir aus? Was tust du dagegen?
Stress möchte ich vermeiden und tue alles, dass mir das gelingt. So braucht es auch nichts dagegen. Mit einer Bergbahn weit rauf zu fahren, die Luft mit viel Horizont einzuatmen, hilft mir sehr.

Ferien am Meer oder in den Bergen? Was findet deine MS besser?
Ich mag beides! Fragen tue ich die MS nicht, sondern mich - und was ich fühle.
 

Was sollte dein soziales Umfeld gerne öfter tun? Was lassen?
Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht und das wirklich wissen möchte, das freut mich. Zunehmend ärgert es mich, wenn zu viele ungefragt über alle Blessuren freizügig Auskunft geben, ohne gefragt worden zu sein. Das wird dann noch komischer, da ich vis-à-vis im Rollstuhl sitze.

Kopf oder Herz/Bauchgefühl? Auf was vertraust du im Alltag?
Auf beides.
 

Welches Kompliment hat man dir zuletzt gemacht?
Mein Mann sagte mir unverhofft, dass ich heute gut aussehe. Da wir strenge Tage hatten, mit gesundheitlichem Gegenwind und ich mich malträtiert fühlte, war die Wirkung des Kompliments gross und perfekt!

Was bedeutet Familie für dich?
Ich liebe meine Familie. Auch meine besten Freunde. Schön, dass es sie alle gibt!

Du und der Schlaf: Freund oder Feind?
Freundin, immer. Trotz dem Gezicke, welches wir aufführen. Ich liebe es, zu schlafen.

Wie findest du es, wenn wir über «promintente» MS-Betroffene, wie zum Beispiel Selma Blair, Christina Applegate oder Kuno Lauener berichten? Was wäre deine erste Frage an einen von ihnen? Und an wen?
Ich ging früher gern an ein Konzert von Kuno! Würde mich freuen über ein Ticket von ihm.

Würdest du gerne einmal für ein Jahr im Ausland leben? Wo? Was hält dich davon ab?
Ab und an sinniere ich über das Auswandern. Derzeit sind es die Kinder, die mich halten. Weiter kam ich bisher noch nicht damit.

Was wolltest du als Kind (beruflich) werden? Hat dich die MS gebremst, es zu werden?
Nein, ich denke nicht.

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Das möchte ich mir nicht vorstellen. Die MS war noch nie ein Wesen. Vielleicht war es eher eine Sprache von mir.

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Je mehr ich verstehe, desto mehr ist mir bewusst, dass man sich lieber einen Knochenbruch zuziehen würde, als ein chronisches Leiden umsorgen zu müssen. Ich bin immer wieder sprachlos, wie das Schweizer System Lösungen parat hat. Das wäre ein abendfüllendes Gespräch. Selbst mein Horizont von 27 Jahren «Erfahrung»  ist zu kurz, um Rückschlüsse auf Veränderungen ziehen zu können.

Wenn Du morgen zum «Bundesrat für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Uhhh, lieber nicht (siehe meine Anmerkungen bei der vorigen Frage). Und übrigens würden 3 Massnahmen nicht reichen.

Wie stark hat die Diagnose MS deine Einstellung zum Leben verändert? Gibt es bestimmte Dinge, die du vor der Diagnose über das Leben und die Gesundheit geglaubt hast, die sich seitdem verändert haben?
Zum Zeitpunkt der Diagnose war ich gerade 18 geworden. Bis dahin war ich noch nicht ganz eigenständig im Leben angekommen. Ich weiss es nicht. Wie alles andere im Leben, war auch MS ein Teil.

Du darfst für 24 Stunden in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Wer würdest du sein wollen? Und warum?
Ich möchte keine andere Haut. Die würde mir nicht passen. Ist gut, wie es ist und ich würde es niemandem nahelegen, meine Haut für 24 Stunden auszuprobieren.

Umgekehrt: Wer sollte mal einen Tag lang dein Leben mit MS führen? Warum?
Eben. Niemand. Jeder hat sein Eigenes zu tragen. Das ist gut so.

Stell dir vor, du könntest mit deiner MS sprechen, was würdest du ihr sagen/sie fragen wollen?
Keine Antwort. (Wie gesagt, es ist kein Wesen, kein Tier für mich)

Zu welcher Tageszeit erlebst du deine besten Momente? Warum?
Das ist unterschiedlich. Ich finde fast immer einen für mich schönen Moment. Das ist wichtig und meine Nahrung. Ein gemütlicher Kaffee im Bett, ein lässiges Telefonieren mit meiner Freundin… Ganz viele Dinge. Nur beim Beobachten der Natur kann der Zeitpunkt für mich stimmen. Oder ein Buch, das mir passt…

Wurdest du schon mal auf Grund der MS nicht ernst genommen? Wie bist du damit umgegangen?
Da kann ich mich nicht beklagen auf der menschlichen Ebene. Bei Schwellen überall, geschützten Bauwerken (zum Beispiel Schulhäusern) oder mit dem ÖV fühle ich mich öfters hilflos, sogar nicht ernst genommen. Klar, suche ich mir Hilfe. Aber ärgern tut es mich sehr, da das sicher besser sein könnte.

Wenn du ein Vorurteil gegen MS aus den Köpfen der Menschheit löschen könntest, welches wäre das?
Ich kenne die Vorurteile nicht sehr, da ich mit MS immer offen und ehrlich umgegangen bin. Kann mir, wie mit allem vorstellen, dass das hilft.

Hast du Kontakt zu anderen MS Betroffenen? Hilft dir der Austausch mit anderen MS Betroffenen?
Das habe ich seit kurzem und kann das empfehlen! In vielen Bereichen hilft das sehr. Im sich gegenseitig verstehen, im Dinge erfahren, die ich nicht wusste. Es ist schwierig, ohne spezielle Tipps und Tricks mit MS auszukommen. Es gibt mir ein gutes Gefühl.

Was unterscheidet dich von anderen MS-Betroffenen?
Keine Ahnung. Wir sind doch alle unterschiedlich!

Wenn du einen Tag ohne MS- Symptome erleben könntest, wie würdest du diesen Tag gestalten?
Ich bin dankbar für meine vielen Erinnerungen ohne Einschränkungen (davon gibt es auch noch viele bereits mit MS). Das ist immens wertvoll! Manchmal verbringe ich Tage mit Einschränkungen der MS mit liebsten Menschen und ich fühle mich unbeschwert. Die mag ich sehr!

Das Einzige, was ich mir für einen Tag wünschen könnte: Ich wünschte mir, mit meinem Mann einen Tag umherlaufen können, Händchen haltend, ab und an ihn umtanzend und küssend. Das fehlt mir.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch?
Angebote und Beratungen, ja. Es begann mit den Kinderlagern im Sommer. Jetzt sind es eher Beratungen rund um die IV. Dazwischen war es mir hilfreich, ein offenes Ohr zu haben, als ich zwischendurch in der Ehe Sorgen hatte. Gut, dass es euch gibt!


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