Gesichter der MS 2023: Cornelia Kalt

Gesichter der MS

Mein Name ist Cornelia Kalt. Ich bin 52 Jahre. Ich lebe mit meinem Mann seit 19 Jahren im schönen Villigen AG. Wir sind seit 22 Jahren glücklich verheiratet. Zu unserem Haushalt gehören unsere 3 tollen Katzen Rja, Nala und Melli. Seit 31 Jahren arbeite ich in der gleichen Firma, im Gesundheitswesen im Büro.

In welchem Alter bekamst du die Diagnose MS? Geschah das sensibel oder «optimierungsbedürftig»?
Im August 2004, mit 34 Jahren klopfte die MS auch bei mir an die Tür. Über längere Zeit hatte ich ein Kribbeln im linken Bein und Sehstörungen auf dem linken Auge. Mein Hausarzt tippte zuerst auf Rückenprobleme. Als er mich zum MRI angemeldet hat, hatte ich bereits eine Vorahnung, dass es MS sein könnte. Da ich es von meiner Mutter kannte, die ich in sehr jungen Jahren begleitet habe. Meine damalige Neurologin hat mich unheimlich gut begleitet und mir jeden Schritt erklärt bis zur definitiven Diagnose.

Was war dein allererster Gedanke nach der Diagnose MS? Was hast du danach getan?
Mein erster Gedanke nach der Diagnose war: «Oh, Mann. Was machen wir jetzt, wir waren doch gerade an einem Hauskauf?» Danach habe ich meinen Mann angerufen, meine Freundin - und meinen damaligen Chef informiert. Den Boden unter den Füssen weggezogen hat es mir erst ungefähr 14 Tage später. Die Gedankenspirale und viele Tränen hatten im Raum Platz eingenommen. Existenzängste, will ich Kinder? Wie verläuft die MS bei mir und und ….

Vom Zeitpunkt der Diagnose bis heute: Wie hat sich deine Einstellung zur MS verändert?
Ich habe eine gesunde und realistische Einstellung gegenüber der MS. Bin aber sehr beeindruckt über die Fortschritte der MS Forschung. Meine Mutter hatte einen sehr schweren Verlauf und ist bereits mit 47 Jahren verstorben. Was aber eher die Ausnahme ist.

Welche Symptome machen dir heute am meisten zu schaffen? Wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Meine Füsse haben sich dazu entschieden, in den Schlafmodus zu wechseln. Im Weiteren begleiten mich täglich Gelenkschmerzen und Müdigkeit. Was zur Folge hat, dass ich nach einem Arbeitstag nach Hause komme, etwas mit meinem Mann esse und danach schlafen gehe. Solche Tage machen mich traurig und wütend. Meine Seelentröster sind meine 3 Katzen und mein Mann, die mir unheimlich viel Liebe geben. An solchen Tagen lasse ich der MS keinen Platz in meinem Leben.

Stichwort Therapien: Welche machst du, und wie kommst du damit zurecht?
Ich gehe seit vielen Jahren wöchentlich in die Physiotherapie. Wir sind ein eingespieltes Team und ich vertraue meiner Therapeutin blind. Falls ich weitere Therapien benötige, bespreche ich das mit meinem Neurologen, bei dem ich sehr gut aufgehoben bin.

Gab es Entscheidungen, die du dich vor der Diagnose nie getraut hättest?
Ja, ich hätte mich nicht gegen Kinder entschieden.

Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben? Was würdest du ihnen heute gerne sagen?
Definitiv gab es solche Menschen. Sie waren der Meinung MS= Rollstuhl … und dann! OK?! Ich würde ihnen auch heute sagen, dass sich hier unsere Wege trennen. Solche Menschen müssen selber Ihre Erfahrungen machen. Jeder von uns trägt seinen Rucksack.

Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Von denen du das vielleicht gar nie erwartet hättest?
Mein Mann, der mich auf Händen trägt und meine Freundin, die seit 40 Jahren an meiner Seite steht. Ansonsten habe ich ein kleines Umfeld, das sehr gut auf mich Acht gibt und mich so schätzt, wie ich bin.

Wenn du in den Spiegel schaust: Was siehst du?
Eine stolze und sehr selbstbewusste Frau, die eine unheimliche Willenskraft hat und sich nicht unterkriegen lässt. «Und danke MS, dass du mich nun 12 Jahre im Grossen und Ganzen zufriedengelassen hast».

Gab es schon Situationen, in denen du dich für deine Krankheit rechtfertigen musstest?
Ja, und solche Situationen können sehr nervenaufreibend sein. Wenn ich zur Arbeit gehe, bin ich mit der ÖV unterwegs. Ich hatte einen Schub und war sehr unsicher auf den Beinen. Durch diese Unsicherheiten habe ich mich immer am Geländer festgehalten. Mit grosser Überraschung musste ich immer wieder feststellen, dass es Leute gibt, die mir nicht aus dem Weg gehen wollen oder den Kopf schütteln, wenn sie ausweichen müssen. Ich habe auch schon gesagt, «Sorry, ich habe Multiple Sklerose, wo liegt das Problem»? Oder wenn ich eine Einladung absage, weil mir die Kraft einfach nicht reicht. Solches Unverständnis macht mich nach wie vor traurig.

Was ist dein grösster Verlust durch die MS?
Dass die Energie nicht mehr so lange reicht.

Hat dir die MS im Gegenzug etwas gegeben, was du vorher nicht hattest oder kanntest?
Ja, ich habe meine kreative Seite an mir entdeckt. Ich habe diverse Male Weiterbildungen besucht. Ich konnte dadurch an vier verschiedenen Orten ausstellen und habe einige Werke verkauft. Worauf ich sehr stolz bin.

Gibt es eine Erwartungshaltung an MS-Betroffene, immer positiv und optimistisch zu sein? Wie gehst du damit um?
Leider gibt es das immer wieder. Man sollte realistisch und authentisch durchs Leben gehen.

Hat die MS Konsequenzen für deine Partnerschaft/Beziehungen, emotional und körperlich?
Ja. Ich kann nur schwer emotionale und körperliche Nähe zulassen. Aber mein Mann und ich haben einen guten Weg zusammen gefunden, der für beide stimmt.

Die MS und deine Arbeit: Geht das gut? Oder gibt es Probleme?
Man sieht mir ja nichts an, somit ist das Verständnis in gewissen Situationen hie und da etwas schwierig. Aber im Grossen und Ganzen bin ich zufrieden. Ich habe nach meiner Diagnose auf 60% reduziert und später auf 50%.

Gibt es so etwas wie eine goldene Regel fürs «MS-Outing»? Wie gehst du damit um?
Ich war von Anfang an mit allen offen. Praktisch alle hatten sehr viel Verständnis.

Spielen Ernährung und komplementäre Verfahren eine Rolle in deinem Leben mit MS?
In der heutigen Zeit spielt die Ernährung eine grosse Rolle. Mit oder ohne MS.  Da ich sehr gerne koche und backe, bin ich ein absoluter Genussmensch.

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen engsten Vertrauten sprechen möchtest?
Nein.

Welches sind die «Top 3» der Sätze, die du über MS nicht mehr hören kannst?
«Man sieht dir ja nichts an.»
«Du bist sicher bald im Rollstuhl.»
«Du bist immer zu müde für Aktivitäten.»

In der direkten Konfrontation mit Vorurteilen oder Irrtümern, wie reagierst du?
Ich versuche die Person soweit es geht aufzuklären oder gebe ihr den Tipp, sich zu informieren, zum Beispiel via MS-Gesellschaft oder soziale Netzwerke.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige oder traurige Erlebnisse?
Das Traurigste für mich ganz persönlich war, die Begleitung meiner Mutter mit MS. Ich konnte keine unbeschwerte Jugend erleben wie andere. Zu diesem Zeitpunkt war die Forschung noch nicht so weit wie heute. Am Bahnhof hatte mich beim Treppensteigen die Kraft in den Beinen verlassen und ich bin nach oben gefallen. Niemand hat mir geholfen. Ich wusste nicht ob ich weinen oder lachen soll. Ich war traurig und wütend über die Ignoranz der Leute.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Zur absoluten Ruhe komme ich in meinem wunderschönen Zuhause und Garten. Mein Mann und meine Katzen geben mir den nötigen Ausgleich. Nehmt euch Zeit und macht auf was ihr Lust habt.

Hast du ein Hobby? Etwas, was dich total begeistert?
Eine grosse Leidenschaft ist das Malen, Dekorieren und Basteln. Dank meinem E-Bike ist kein Weg zu steil, den ich bezwinge. Wenn ich noch ein wenig mehr Fahrtwind möchte, setze ich mich auf meine Harley Davidson.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Ich informiere mich sehr gerne über Aktuelles, was Ihr publiziert und dass es eine so tolle Anlaufstelle gibt. Es hat tolle Angebote, an denen ich auch schon teilgenommen habe. Danke und macht weiter so.


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