Gesichter der MS 2023: Cornelia Brunner

Gesichter der MS

Mein Name ist Cornelia Brunner, ich bin 52 Jahre alt und wohne zusammen mit meinem Mann an einem wunderbaren Ort,  ca. 7 Kilometer ländlich vom Stadtzentrum Bern entfernt. Wir sind seit 30 Jahren verheiratet und haben einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter.

Erlernt habe ich den Beruf medizinische Praxisassistentin, welchen ich bis vor gut 2 Jahren im Teilzeitpensum ausübte. Vor 5 Jahren habe ich mich beruflich umorientiert, bin seit gut 1 ½ Jahren selbständig und habe als Berufsmasseurin und Fussreflexzonen-Therapeutin eine eigene Gesundheitspraxis. Nebenbei arbeite ich noch als «Springerin» im Massage-Bereich in einem Wellnesshotel im schönen Berner Oberland.

In welchem Alter bekamst du die Diagnose MS? Geschah das sensibel oder «optimierungsbedürftig»?
Die Diagnose PPMS bekam ich ziemlich genau zum 50. Geburtstag, sozusagen «auf dem Goldtablett serviert». Die Botschaft kam für mich jedoch nicht überraschend, da ich von meinen neurologischen Symptomen her schon 2 Jahre zuvor den Verdacht hatte, an MS erkrankt zu sein. Optimierungsbedürftig finde ich, dass Haus-Ärzte und – Ärztinnen offenere Ohren haben sollten und Symptome, welche Patienten selber fühlen und feststellen, ernster nehmen müssten. Ich wurde über 2 Jahre mit Physiotherapie und der Diagnose Piriformis-Syndrom «vertröstet», auch dass ich meine Muskulatur halt mehr trainieren müsste (damals zweimal die Woche regelmässiges Kraft- und Group-Fitness im Fitnesscenter). Ich höre sehr oft auch von anderen MS-Betroffenen, dass auch sie nicht ernst genommen wurden.

Was war dein allererster Gedanke nach der Diagnose MS? Was hast du danach getan?
Da ich aus meinen beruflichen Erfahrungen und daher auch aus dem medizinischen Grundlagen-Lernstoff bereits öfter mit diesem Krankheitsbild konfrontiert wurde und eine Cousine von mir auch MS hatte, war es für mich, nach all den bereits erfahrenen und vorhandenen Symptomen, einfach noch «die ärztlich bestätigte Diagnose».

Natürlich kam auch bei mir schnell das Bild vom Rollstuhl, was mich dann auch zuerst einmal sehr traurig stimmte. Trotz allem spürte ich jedoch eine enorme Erleichterung in mir, weil es mir bestätigte, eben doch keine Simulantin und Hypochonderin zu sein. Natürlich gingen mir zahlreiche Gedanken durch den Kopf, was meine berufliche und musikalische Zukunft angeht. Für mich war jedoch von Anfang an klar, dass ich mich von dieser Diagnose nicht beherrschen lassen will.

Vom Zeitpunkt der Diagnose bis heute: Wie hat sich deine Einstellung zur MS verändert? 
Ich bin sensibler und verletzlicher geworden. Ich versuche jeden Tag so zu nehmen, wie er ist, auch wenn es auch solche gibt, an denen ich schon morgens beim Erwachen Schmerzen in der Wirbelsäule habe und ich wünschte, es wäre bereits Abend.

Heute erfreue ich mich auch an kleinen, simplen und unscheinbaren Dingen, die mir der Tag bringt, welche in meinem früheren Leben ohne MS einfach zur Selbstverständlichkeit gehörten.

Welche Symptome machen dir heute am meisten zu schaffen? Wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Sensibilitätsstörungen in den Vorfüssen und im rechten Bein, diffuse Schmerzen im Hüft- und unteren Rücken-Bereich, wie auch Muskelschwäche im rechten Bein beeinflussen meinen Alltag am meisten. Auch das Fatigue-Syndrom macht mir zeitweise sehr zu schaffen und beeinträchtigt meine Alltags-Situationen.

Stichwort Therapien: Welche machst du, und wie kommst du damit zurecht?
Da bei mir PPMS diagnostiziert wurde (primär progrediente Form) gibt es nur eine Art von Immuntherapie mit Ocrevus. Diese wird mir halbjährlich mittels Infusion verabreicht und ich vertrage sie glücklicherweise recht gut. Zwar hat sich meine Pollenallergie wieder etwas verstärkt und ich bin etwas anfälliger bezüglich Erkältungskrankheiten, aber diese sind eher zu Nebensachen geworden, im Vergleich zur MS-Thematik.

Gab es Entscheidungen, die du dich vor der Diagnose nie getraut hättest?
Ich bin offener geworden im Umgang mit Ärger und Emotionen. Früher habe ich vieles runtergeschluckt, heute spreche ich eher darüber, wenn mich etwas stört, ich mich ärgere oder mich ungerecht behandelt fühle.

Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben? Was würdest du ihnen heute gerne sagen?
Ja die gibt es… Wenn ich aber genau darüber nachdenke, kann ich mir auch gut vorstellen, dass es ebenso mit meiner Fokus-Änderung zusammenhangen könnte.

Sagen würde ich ihnen, dass es weh tut, wenn man auf eine Art nicht mehr gefragt ist und ignoriert wird und selbst wenn dies aus der Unsicherheit ihrerseits heraus entstand, sich dieser Teilverlust von Sozialkontakt für mich wertvermindernd anfühlt.

Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Von denen du das vielleicht gar nie erwartet hättest?
Meine eigene Familie ist für mich enorm wichtig und ich darf jederzeit auf sie zählen und meine Gefühlslagen mit ihnen teilen. Das gibt mir Halt und Zuversicht! Ich weiss, dass das nicht selbstverständlich ist.

Auch mein/unser Freundeskreis hält zu mir und geht grösstenteils recht rücksichtsvoll mit mir um, ohne mich zu bemitleiden. Denn Mitleid mag ich gar nicht und konnte dies auch frei äussern.

Ich schätze noch dazu, wenn ich bezüglich Wohlbefinden direkt angesprochen werde und nicht im Geheimen über mich gesprochen wird.

Wenn du in den Spiegel schaust: Was siehst du?
Ein meist gut gelauntes und optimistisches, starkes Wesen, das sich von dieser Diagnose nicht beherrschen lassen will und aus jedem Tag versucht, das Beste heraus zu holen.

Gab es schon Situationen, in denen du dich für deine Krankheit rechtfertigen musstest?
Ja, auch das kam schon vor, vor allem bezüglich Leistung und Ausdauer.

Was ist dein grösster Verlust durch die MS?
Als naturliebende, dynamische und sogar etwas quirlig veranlagte Frau ist das definitiv meine unbeschwerte Bewegungsfreiheit! 

Hat dir die MS im Gegenzug etwas gegeben, was du vorher nicht hattest oder kanntest?
Ich schätze die kleinen Dinge und Gesten im Leben viel mehr und bin allgemein viel dankbarer geworden, denn nichts ist selbstverständlich!

Gibt es eine Erwartungshaltung an MS-Betroffene, immer positiv und optimistisch zu sein? Wie gehst du damit um? 
Ich habe das Glück, eher positiv und optimistisch eingestellt sein zu dürfen. Mich nerven aber gewisse Leute, die einem mit ihren «guten Ratschlägen» vollquasseln, obwohl sie eigentlich keine Ahnung von MS haben und dann noch erwähnen, wie froh sie wären, dass sie selber nicht betroffen sind.

Hat die MS Konsequenzen für deine Partnerschaft/Beziehungen, emotional und körperlich?
Körperlich bin ich jetzt halt schon etwas abhängig geworden. Zum Beispiel Staubsaugen ist für mich sehr anstrengend geworden, oder auch die Entsorgung von Altpapier, Altglas usw.. Deshalb schätze ich sehr, dass diese Aufgaben mein Mann für mich erledigt.

Emotional bin ich meiner ganzen Familie sehr dankbar, dass sie mich immer wieder auffängt, wenn ich einen emotionalen Hänger habe und Verständnis zeigt, wenn es mir gerade mal nicht so gut geht.

Die MS und deine Arbeit: Geht das gut? Oder gibt es Probleme? 
Als selbständige Körpertherapeutin habe ich schon einen etwas anstrengenden Beruf, der mich je nach Tagesverfassung immer wieder mal meine Grenzen spüren lässt. Ich habe mir den Tages-Ablauf so eingerichtet, dass ich zwischen den Klienten-Konsultationen genügend Zwischenzeit habe, um mich körperlich immer wieder entspannen zu können und ich nicht in Zeitdruck gerate.

Problematisch wird es für mich eher im Hotelbetrieb, wo ich sporadisch noch als «Springerin» im Massagebereich arbeite. Dort muss ich straffe Zeitfenster einhalten, welche mich schneller ans Kraft-Limit bringen. Aus diesem Grund kann ich dort nur noch halbtags arbeiten. Mein Arbeitgeber gewährt mir netterweise eine ganze, anstelle einer halben Stunde Pause, was für mich zur Regeneration sehr hilfreich ist.

Gibt es so etwas wie eine goldene Regel fürs «MS-Outing»? Wie gehst du damit um?
Für mich gibt es keine goldene Regel. Am Anfang brauchte ich eine gewisse Zeit für mich, um die Diagnose anzunehmen, bin und war aber schon immer für eine offene Kommunikation. Ich denke und spüre so halt auch, dass viel weniger hintenrum über einen geplaudert wird und so auch viel weniger Spekulationen entstehen. Ich persönlich mag es auch lieber, wenn mich die Leute direkt ansprechen, wenn sie etwas über meinen Gesundheitszustand wissen möchten.

Spielen Ernährung und komplementäre Verfahren eine Rolle in deinem Leben mit MS?
Oh ja, ich mag die mediterrane Ernährung, bevorzuge in der Küche unter anderem mehrfach ungesättigte Fettsäuren und verzichte wo immer möglich auf Transfette. Ich ziehe Vollkornprodukte vor und achte auf «entzündungshemmende» Kost.

Nebst meiner Immuntherapie mache ich auch eine regelmässige, symptombezogene Bioresonanz-Begleit-Therapie, von welcher ich überzeugt bin. 

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen engsten Vertrauten sprechen möchtest?
Bis zum heutigen Tag bin ich nicht in solche Situationen geraten. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ich intime Themen sicher nicht mit der Öffentlichkeit teilen möchte, mit engsten Vertrauten vielleicht schon.

Welches sind die «Top 3» der Sätze, die du über MS nicht mehr hören kannst?
Man könnte nicht meinen, dass du MS hast, man sieht dir ja gar nichts an.
Kopf hoch, das kommt schon wieder gut.
Immerhin kannst du noch gehen und dich frei bewegen.

In der direkten Konfrontation mit Vorurteilen oder Irrtümern, wie reagierst du?
Je nachdem mit wem und wodurch ich konfrontiert werde, versuche ich mich direkt darüber zu äussern, warum ich dies und das nicht so sehe/empfinde und bin auch bereit zu diskutieren. Je nach Situation lasse ich es aber auch sein, wenn ich merke, dass es keinen Sinn macht.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige oder traurige Erlebnisse?
Es stimmt mich halt immer wieder traurig, wenn ich in meinem Tagesablauf durch die Ermüdungserscheinungen stolpere und/oder das Gleichgewicht nicht mehr ganz unter Kontrolle habe, oder wenn ich mich selbst für Kurzstrecken beim Gehen so richtig abmühen muss.

Lustiges habe ich bis anhin eigentlich nicht erlebt. Vielleicht mal das eine oder andere «Spässchen» während den Immuntherapie-Infusionen.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Mehrere Pausen pro Tag einplanen, sich auch mal hinlegen, auf die Atmung achten und sich ein Power-Nap gönnen. Das hilft mir, wenn mich das Fatigue-Syndrom anfällt.

Hast du ein Hobby? Etwas, was dich total begeistert?
Seit meiner Kindheit begleitet mich die Faszination vom Musizieren! Heute spiele ich Klarinette und bin seit 36 Jahren Aktivmitglied in einer Musikgesellschaft. Wenn es mir nicht so gut geht, mache ich oder höre zumindest Musik, das beglückt mich! Mein Motto: «Mit Musik durchs Leben, was kann es Schöneres geben!»

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Als ich die Diagnose bekam, war die MS-Gesellschaft meine erste Anlaufstelle welche ich empfohlen bekam und auch in Anspruch genommen habe. Ich habe auch schon an Online-Seminaren teilgenommen. Auf Facebook bin ich im MS-Gruppenchat Mitglied und lese immer wieder mal darin über Erfahrungen von Betroffenen und habe auch schon Antworten geschrieben. Die MS-Regionalgruppen finde ich auch eine gute Sache, habe jedoch bis anhin noch nicht teilgenommen.


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