Gesichter der MS 2022: Sabine Rothacher

Gesichter der MS

Ich heisse Sabine, bin 42 Jahre alt und wohne zusammen mit meinem Freund und einem Kater im ländlichen Kleinbösingen, Kanton Fribourg. Ich bin gelernte Kaufmännische Angestellte und konnte bis 2014 im 1. Arbeitsmarkt arbeiten. Seit über einem Jahr arbeite ich bei einer Stiftung im 2. Arbeitsmarkt, auch wieder im Büro, dort fühle ich mich sehr wohl.

Ansonsten gehe ich gerne gut Essen, Käffele mit Freundinnen, mache etwas Sport, im Sommer liebe ich Festivals und ich entdecke gerne neue Orte und Länder. Ich liebe Tiere über alles und lese gerne spannende Psychothriller.

Wie würde dich deine beste Freundin/dein bester Freund in ein, zwei Sätzen beschreiben?
Ich bin eine Kämpferin und habe einen sturen Kopf, der mir, zum Glück, hilft nicht schnell aufzugeben. Auf mich kann man sich verlassen, ich bin abenteuerlustig und probiere immer positiv zu bleiben. 

Welche 3 Dinge kannst du richtig gut?
Zuhören, Rechtschreibefehler korrigieren (mein Freund verdreht beim Lesen gerade die Augen) und Reisen organisieren. 

Für welche 3 Dinge hast du null Talent?
Handarbeiten, Dreisatzrechnungen und als geduldig kann ich mich, ausser bei Tieren, auch nicht bezeichnen.

Du darfst für 24 Stunden in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Wer wolltest du sein? Und warum?
Ein Profischwimmer. Ich wollte immer gut schwimmen können, inklusive Kraul und Unterwasserwendung, habe es aber aufgrund meiner Erschöpfung und Kraftlosigkeit nie geschafft. 

Umgekehrt: Wer sollte mal einen Tag lang dein Leben mit MS führen? Warum?
All die, die Menschen mit einer Behinderung diskriminieren, vielleicht regt es dann ein paar wenige zum Umdenken an.

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
Die Diagnose wurde mir im Berner Inselspital mit 20 Jahren von einem Arzt diagnostiziert, inklusive  ein paar Aufklärungsflyern. Den Rest habe ich verdrängt oder vergessen.

Wie hast du dich bei der Neudiagnose über MS informiert?
Überhaupt nicht. Ich wollte nichts davon wissen und war einfach nur wütend. Es mussten 7 Jahre vergehen, bis ich eingesehen habe, dass eine Therapie inklusive Neurologe doch nicht so falsch ist.

Was waren deine ersten MS-Symptome? Welche bestimmen deinen Alltag heute?
Die Erschöpfung und Probleme mit dem Gedächtnis fingen schon vor meinem 20. Lebensjahr an, aber das konnte damals nicht erklärt werden. Die Diagnose erhielt ich, weil ich meinen linken Fuss nicht mehr richtig spürte, er fühlte sich an wie in Watte verpackt. Heute bestimmen die Erschöpfung von morgens bis abends, starke Schmerzen in den Beinen, Kiefer, Nacken und Rücken sowie kognitive Probleme wie Gedächtnis, Konzentration und Wortfindungsstörung meinen Alltag. Ebenso leide ich unter Schwindel, Missempfindungen in den Füssen und Schwäche in Armen und Beinen.

Wie stark hat die Diagnose MS deine Lebenspläne und -ziele verändert?
Ich wollte mich beruflich weiterbilden, oder am liebsten noch eine zweite Ausbildung zum Tierpfleger machen, aber ich war immer für alles zu erschöpft. Weiterhin fremde Länder erkunden, wäre auch noch mein Plan gewesen, das ist auch aufgrund meiner Erschöpfung nur noch in kleinem Rahmen möglich.

Was ist dein grösstes Learning vom Leben mit MS?
Ich musste lernen, mich zu wehren und zu sagen, was ich will. Ebenso bin ich nicht mehr so schnell aus der Ruhe zu bringen. Also etwas kleines Positives.

Wenn du gegenüber einer Person sitzen würdest, die gerade kürzlich die Diagnose MS erhalten hat: Was würdest du ihr sagen?
Lebe im hier und jetzt und probiere dir, nicht zu viele Sorgen zu machen. Tausch’ dich mit anderen Betroffenen aus und vor allem: Gib der MS nicht zu viel Raum!

Hast du Angst vor Benachteiligung - im Beruf, in Beziehungen, in Freizeitvereinen – wenn du mit deiner Diagnose offen umgehst? Oder hast du sogar schon Benachteiligung erlebt?
Ich habe aufgrund meiner MS im Jahr 2010 den Job verloren und dort nicht grosse Unterstützung erhalten, wurde sogar von einer Kollegin wegen meiner MS beleidigt. In Vorstellungsgesprächen hatte ich ein paar Mal das Gefühl, die Stelle nicht bekommen zu haben, weil ich die MS erwähnte. 

An nicht so guten Tagen:  wer oder was gibt dir Mut und Hoffnung?
Meine Arbeit, mein Freund, meine Mutter, Freundinnen, meine Katze oder ein gutes Buch.

Welche 3 deiner Eigenschaften sind für das Leben mit MS hilfreich?
Meine positive Einstellung, mein Humor und mein sturer Kopf.

Welche deiner Charakterzüge machen es eher schwierig?
Meine Ungeduld, mein geringes Selbstvertrauen.

Hast du manchmal schlaflose Nächte? Was raubt dir den Schlaf?
Meine Schmerzen rauben mir immer wieder den Schlaf.

Gibt es Momente, in denen du die MS vergessen kannst?
Ja, zum Glück! Bei der Arbeit, wenn ich meine Katze streichle, mit meinen Freundinnen käffele, mit meinem Freund einen Ausflug mache und und und.…

Beim Flirten oder beim Date: Ist man als MS-Betroffene/r zurückhaltender? Gibt es einen «guten» Moment, die MS-Erkrankung zu outen?
Da kann ich nicht mitreden, ich denke aber, man fühlt es, ob es richtig wäre sich zu outen oder nicht und wenn es in einer Beziehung ernster wird, sollte man ehrlich sein.

Was wolltest du schon immer mal machen? Was hat dich davon abgehalten?
Tauchen, ich habe aber etwas Angst davor.

Du darfst als Gastgeber/in eines Galadinners 3 beliebige Menschen einladen. Wer wäre das und warum?
Meine Mutter und meinen Freund. Als Dankeschön für ihre Unterstützung, aber eigentlich wären das noch mehr liebe Menschen.

Du kannst mit einer Zeitmaschine an einen beliebigen Punkt in der Zukunft reisen: Welcher wäre das und warum?
Vielleicht so in 40 Jahren....mich würde natürlich interessieren, wie weit die MS-Forschung ist.

Und jetzt das Ganze anders herum: du kannst in die Vergangenheit reisen. Welches Ereignis/Jahr/Tag würdest du wählen? Und warum?
Ich würde ganz klar in die Hippie-Zeit reisen.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Gibt es Wünsche, die du an die Schweiz. MS-Gesellschaft hast?
Keine grosse. Ich bin Mitglied und spende ab und zu, einmal hatte ich einen Termin bei einer Sozialberaterin. Wünsche kommen mir keine in den Sinn, ich finde gut, was ihr macht. Weiter so! Danke, dass ich hier mitmachen durfte!

 


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