Gesichter der MS 2022: Neira Vuckic-Pasalic

Gesichter der MS

Mein Name ist Neira Vuckic - Pasalic, ich bin 24 Jahre alt und verheiratet. Ich bin in Lugano, im Kanton Tessin, geboren und aufgewachsen. Ich lebe seit fast zwei Jahren mit meinem Mann in der Deutschschweiz und bin seit 2016 im Gesundheitswesen tätig.

Wie würde dich deine beste Freundin beschreiben?
Loyal und zuverlässig.

Welche 3 Dinge kannst du richtig gut?
Zuhören und Ratschläge geben, wenn jemand Probleme hat. Zeichnen und Skaten.

Für welche 3 Dinge hast du null Talent?
Ein paar Instrumente spielen, Singen und alles, was mit Mathe zu tun hat.

Du darfst für 24 Stunden in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Wer wolltest du sein? Und warum?
Ich weiss es nicht.

Umgekehrt: Wer sollte mal einen Tag lang dein Leben mit MS führen? Warum?
Ehrlich gesagt, würde ich niemandem wünschen, mein Leben mit MS zu leben, geschweige denn mit einer anderen Krankheit. Aber ich würde 1 % all den Menschen widmen, die keinen Funken Empathie für andere haben, denn nur dann könnten sie die wahre Bedeutung des Wortes «Krankheit» verstehen.

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt? 
Im Alter von 23 Jahren wurde bei mir Multiple Sklerose diagnostiziert. Die Symptome waren schon lange vorher aufgetreten, aber es hatte sich noch nicht bestätigt, dass es sich um MS handelte. Dann traf im Februar 2021 der medizinische Bericht ein, in dem ich leider die Wahrheit und die Ursachen der verschiedenen Symptome erfuhr, die ich hatte.

Das schlimmste Symptom, das ich in der ersten Phase hatte, war, dass ich teilweise mein Augenlicht verlor, ich sah alles verschwommen, hatte keine Kraft in den Beinen und fühlte mich blockiert. Ausserdem hatte ich schreckliche Kopfschmerzen, aber ich dachte sofort, dass das mit dem hohen Fieber vom Vortag und dem Tag selbst zusammenhing. Ich wollte nicht einmal ins Krankenhaus gehen, um mich untersuchen zu lassen, weil ich das immer mit Fieber in Verbindung brachte. Irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen und wurde von meinen Eltern ins Krankenhaus begleitet. Und ein Jahr nach dem ersten Schub und nach vielen Untersuchungen änderte sich mein Leben völlig, als ich vom Arzt erfuhr, dass ich Multiple Sklerose hatte.

Wie hast du dich bei der Neudiagnose über MS informiert?
Ich erfuhr mehr über die Krankheit Multiple Sklerose durch die Informationen, die mir mein neurologischer Arzt gab, dann entdeckte ich die Schweiz. MS-Gesellschaft im Internet. Zusätzlich las ich verschiedene Erfahrungsberichte.

Was waren deine ersten MS-Symptome? Welche bestimmen deinen Alltag heute?
Die ersten Symptome waren genau die, die ich in der vorherigen Frage erwähnt habe. Dann machen sich oft neue Symptome bemerkbar, wie Schmerzen in den Händen, Müdigkeit, Schmerzen in den Beinen, Schmerzen im Rücken sowie in den Schultern. Die Symptome, wenn sie da sind, machen sich leider bemerkbar, aber sie sind oft sehr unterschiedlich. Das Symptom, das mich am meisten stört, sind die Schmerzen in meinen Beinen und die Tatsache, dass ich nicht so viel laufen kann, wie ich es gerne würde. Wenn ich lange laufe, muss ich mich meistens hinsetzen und eine Pause einlegen, und wenn ich wieder losgehen will, habe ich das Gefühl, dass meine Beine einen Moment lang feststecken...

Die Symptome sind zwar unterschiedlich, beeinträchtigen aber dennoch das tägliche Leben, vor allem dann, wenn man sich dieser Pathologie nicht bewusst ist.

Wie stark hat die Diagnose MS deine Lebenspläne und -ziele verändert?
Wenn ich ehrlich bin, lasse ich mich von MS nicht unterkriegen. Ich versuche, ein möglichst starker Mensch zu sein, der sich von einer Krankheit nicht bezwingen lässt.... Trotz der MS versuche ich, mein persönliches Ziel oder verschiedene Projekte zu verfolgen. Ich stehe meiner Familie sehr nahe, und sie sind es auch, die mir in meinem täglichen Kampf sehr helfen - und ich habe immer ihre Unterstützung in jeder Situation.

Was ist dein grösstes Learning vom Leben mit MS?
Die wichtigste Lektion war sicherlich, jeden Tag so zu leben, als wäre es unser letzter, jeden einzelnen Moment unseres Lebens zu nutzen, ob gut oder schlecht. Ich versuche immer noch, es positiv zu sehen, Multiple Sklerose ist wie ein Reisebegleiter für mich, sie ist trotz ihrer Gegenkräfte immer bei mir. Aber dank ihr habe ich gelernt, auf meinen Körper zu hören und meine Grenzen zu kennen.

Hast du Angst vor Benachteiligung ¬ im Beruf, in Beziehungen, in Freizeitvereinen – wenn du mit deiner Diagnose offen umgehst? Oder hast du sogar schon Benachteiligung erlebt
Die Angst, diskriminiert zu werden, war da, vor allem am Arbeitsplatz. Zunächst hatte ich Angst, direkt mit meinem Arbeitgeber darüber zu sprechen, da ich immer Angst vor einer Kündigung hatte. Aber nach den verschiedenen körperlichen Schwierigkeiten, die ich hatte, hatte ich das Bedürfnis, darüber zu sprechen, auch wenn es nicht leicht war. In diesem Moment war die Angst gross und tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Aber zum Glück habe ich einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber, der meine Situation sofort verstanden hat, und dafür bin ich sehr dankbar. Danach haben wir gemeinsam beschlossen, das Thema mit dem Rest des Teams zu besprechen und sie auf dem Laufenden zu halten, damit es nicht zu Konflikten kommt, wenn ich das Gefühl habe, dass ich eine bestimmte Aufgabe, Bewegung oder Schicht nicht ausführen kann.

Das war schon immer meine Angst, wegen meiner Krankheit und der Schwierigkeiten, die ich mit mir herumtrage, nicht akzeptiert zu werden. Obwohl heutzutage leider nicht jeder das Glück hat, das ich hatte, gibt es leider immer noch Menschen, die das anders sehen, als ob kranke Menschen «Hindernisse» bei der Arbeit wären, was ich wirklich sehr ungerecht finde.

An nicht so guten Tagen:  wer oder was gibt dir Mut und Hoffnung? 
Für mich sind Mut und Hoffnung in einem Wort zusammengefasst, nämlich Familie. Für mich ist die Familie alles. Es ist die Familie selbst, die mir täglich Energie gibt, um Tag für Tag weiterzumachen. Sie sind immer da, in dunklen Zeiten und in sonnigen Momenten, ich bin ihnen sehr dankbar und ich liebe sie alle.

Nimmt unsere Gesellschaft deiner Erfahrung nach genügend Rücksicht auf Personen mit MS? Falls nein: Was würdest du dir von nicht Betroffenen wünschen?
Leider sind die Menschen immer weniger informiert. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen mehr Einfühlungsvermögen zeigen und mehr Interesse daran haben, sich über verschiedene Arten von Krankheiten zu informieren.

Gibt es Momente, in denen du die MS vergessen kannst? 
Leider gibt es keine Momente, in denen ich MS vergessen kann. Ich nehme täglich morgens und abends Medikamente, ich bin oft beim Arzt für verschiedene Untersuchungen, trotz Medikamenten habe ich tägliche Einschränkungen. Deshalb kann ich nicht vergessen, dass sie immer bei mir ist.

Welche 3 deiner Eigenschaften sind für das Leben mit MS hilfreich?
Positivität, Gelassenheit und Motivation.

Welches sind 3 Dinge, die deine Arbeit erschweren?
Die ständige Einnahme von Medikamenten, die Schmerzen und die ständige Notwendigkeit von Krankenhausuntersuchungen.

Hast du manchmal schlaflose Nächte? Was raubt dir den Schlaf?
Ich habe manchmal schlaflose Nächte, obwohl ich sehr müde bin. Aber alles in allem habe ich damit kein Problem.

Was wolltest du schon immer mal machen? Was hat dich davon abgehalten? 
Es gibt keine bestimmte Sache oder einen bestimmten Wunsch, den ich schon immer erfüllen wollte. Trotz allem versuche ich, auf meinen Körper zu hören. Oft schaffe ich es trotz meiner Krankheit, das zu tun, was ich mir vorgenommen habe. Ich finde, dass keine Krankheit einem das Leben erschweren sollte, man muss nur den richtigen Weg finden, mit seinen Wünschen umzugehen.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Gibt es Wünsche, die du an die Schweiz. MS-Gesellschaft hast?
Die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft ist sehr aktiv und ich bin sehr froh darüber und verfolge ihre Beiträge regelmässig. Drüber hinaus habe ich gerade keine konkreten Wünsche.


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