Gesichter der MS 2021: Vanessa Risoli

Gesichter der MS

Ich heisse Vanessa Risoli und bin 38 Jahre alt. Bin in Basel geboren und in Birsfelden aufgewachsen. Seit fast einem Jahr wohne ich mit meiner kleinen Familie, Mann, Kind (7) und Hund in Möhlin, Kanton Aargau. Arbeite seit April 2018 nicht mehr. Bin Hausfrau.

Was bedeutet MS für dich?
Sie ist mein zweites Ich, hat mich zur starken Frau gemacht.

Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Ein  Jahr, eventuell auch länger, denn vor der Diagnose litt ich stark an Migräne ohne Aura.

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
Mit 17 Jahren, im Spital, einfach nur: «Sie haben MS.» 

Was war dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
MS = Rollstuhl, ich dachte es ist vorbei, nun bin ich ein Krüppel. 

Welche Symptome machen dir am meisten zu schaffen? Wo behindern dich die Symptome im Alltag, wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Sehbehinderung, Fatigue. Ich kann nie gross was im Voraus planen. Stimmungsschwankungen.

Hast du deine Diagnose kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Was waren Befürchtungen oder Gründe? Was würdest du anderen Menschen mit einer Neudiagnose heute empfehlen?
Ja, habe sie kommuniziert. Ich würde empfehlen, sich Rat und Hilfe bei der MS Gesellschaft zu holen.

Kennst du vielleicht MS-Betroffene, die sich bewusst «nicht outen». Weisst du , warum sie das nicht tun? Wie könnte die MS-Gesellschaft diese Menschen unterstützen? Wie, die Schweizerinnen und Schweizer?
Ja, sie haben Angst, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden und nicht akzeptiert zu werden. Die MS Gesellschaft könnte mehr Werbung machen, betreffend die Krankheit MS. 

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mir deine engsten Menschen sprechen möchtest? Gibt es umgekehrt Dinge, die dein Umfeld gar nicht wissen möchte?
Eigentlich kommuniziere ich alles, ausser an Menschen/Personen, zu denen ich kurz und bündig nicht gross Kontakt habe, denen gegenüber verschweige ich meine Sehbehinderung oder sogar MS, die würden es eh nicht verstehen.

Wie geht dein privates Umfeld, also Familie, Freunde, Partner, mit deiner Krankheit um? Hast du Kinder? Wie gehen sie damit um? Wie bekommst du/mit deinem Partner Kinder und Beruf unter einen Hut?
Meine Familie gibt mir meinen Freiraum und sie sind jederzeit für mich da. Ich versuche möglichst vieles alleine zu meistern, solange es geht. Ich habe einen 7-jährigen Sohn, Federico. Er ist sich von Anfang an damit gewöhnt und lernt damit aufzuwachsen, dass Mama nicht gut sieht, Mittagsschlaf macht, nicht rennen kann. Ihm fehlt jedoch nichts, er wächst sehr wahrscheinlich sozialer auf, als andere Kinder. Er ist sehr sensibel, hat ein grosses Herz und merkt,  wenn es Mama nicht gut geht.

Wie ist die Situation an deiner Arbeitsstelle?
Ich arbeite seit 2018 nicht mehr.

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Gewisse Menschen haben sich von mir entfernt, kamen mit der Situation nicht klar. In der Politik ist einiges gegangen für uns Eingeschränkte/Kranke, wir werden mehr involviert, es wird mehr gemacht.

Welches sind die grössten Vorurteile oder Irrtümer, mit denen du als MS-Betroffener konfrontiert wirst? Wie gehst du damit um, was erträgst du am wenigsten gut? 
Man sieht es mir nicht an, dass ich eingeschränkt bin. Wenn ich es dann komuniziere, dass ich sehbehindert bin, glauben es mir die meisten nicht, eventuell auch deshalb,  weil ich mich so gut bewege und ich nicht oft mit einem Blindenstock rumlaufe. Viele können sich es nicht vorstellen oder vor wenn es um die Fatigue geht: «Was, du bist schon wieder müde, bist doch gerade aufgestanden?». Oder: «Was, du magst heute nichts unternehmen, reiss dich doch zusammen, es gibt Schlimmeres.» Man muss sich in vielen Situationen rechtfertigen. Jetzt mache ich das, worauf ich gerade Lust und Laune habe, lebe in den Tag hinein und lass mir nicht reinreden. 

Wo siehst du den Beitrag der Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Enttabuisierung der MS oder zur Stärkung der Solidarität?
Ich kannte die MS Gesellschaft vorher nicht, in Spitälern, auf Social Media und durch Werbung wurde ich dann aufmerksam. Sie sollten mehr Werbung machen.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich plane mehr Pausen in meinem Alltag.  Mache Yoga, geniesse die Natur, tanke Kraft bei meinen Liebsten und mache viele Atemübungen.

Was macht dir in Bezug auf deine MS Angst?
Dass ich eines Tages vollständig auf Hilfe angewiesen bin.

Was gibt dir in Bezug auf deine MS Hoffnung?
Meine Liebsten. Und die Forschung, es wird immer was Neues entdeckt.

Wenn Du morgen zum « Minister für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Heilmittel gegen Fatigue. Abgestimmte Therapien. Mehr Hilfe für Betroffene, finanziell und sozial. 

Welche positiven Gedanken verbindest du mit den Begriffen Forschung und MS? 
Dass es bei meiner Diagnose vor 21 Jahren nicht soviel Therapie-Möglichkeiten gab. Und jetzt gibt es eine ganze Palette.

Welche Gefahren siehst du für den Bereich Forschung und MS?
Dass es irgendwann kein Geld/keine Spender mehr geben wird und weniger Studienteilnehmer.

Verfolgst du Informationen zur Entwicklungen in der Forschung? Aus welchen Quellen? An welchen Forschungsthemen bist du besonders interessiert?
Ja. MS-Gesellschaft, Social Media, Infoveranstaltungen, zum Beispiel MS Tag aus der Forschung in Basel. Natürliche Therapien, alternative Therapien.

Welche Frage(n) wolltest du einem MS-Forscher schon immer mal ganz direkt stellen? Raus damit.
Warum hat man noch kein Heilmittel erfunden?

Wo in deinem Alltag sollte die MS-Forschung ganz speziell positive Veränderungen ermöglichen? 
Dass man etwas gegen die Sehnerventzündung erfindet, dass man keine Behinderungsschäden entwickelt, also besser gesagt, dass es normal wird, dass sich alles zurück entwickelt. Gegen Fatigue etwas entwickelt, was einen nicht einschränkt.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
Ja, beim Einkaufen, wollte Cherry Tomaten kaufen … und kam mit Erdbeeren nach Hause. Traurig: Meine langjährige Beziehung, er ist mit meiner Krankheit aufgewachsen, jedoch ertrug er den Druck nicht, er kam nicht zurecht. 

Welchen Satz über MS kannst du nicht mehr hören?
«Man sieht dir nichts an.» «Du bist eine Lügnerin.» «Du Arme.»

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Eine Raupe, und zwar die Raupe Nimmersatt.

An was hängt dein Herz?
An meiner Familie und an meinen Liebsten. An der Natur. 

Ein Satz für deine Liebsten?
Danke, dass ihr mich so akzeptiert, wie ich bin. Danke, dass ihr immer für mich da seid. 

Ein Satz für deine «Feinde»?
Habe keine, die haben keinen Platz in meinem Leben. 

Dein Lebens-Motto?
Es gibt Schlimmeres.

Dein Lieblingsbuch? Lieblingsfilm? Lieblingsessen? Gegen den MS-Blues?
Buch: «Der Alchemist.» Film: «PS I love you.» Essen: Italienische Gerichte. MS-Blues: Süssigkeiten und  Kuscheln mit meinen Liebsten.

Wenn du 3 Wünsche an die gute Fee frei hättest – für dich, die Welt, für wen und was auch immer: Welche wären das?
Dass mein Sohn eine gute Zukunft hat. Dass es keine Armut mehr gäbe. Dass meine Liebsten immer bei mir bleiben.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Ich bin langjähriges Mitglied der MS-Gesellschaft und besuche regelmässig Veranstaltungen. Sie haben mich in Bezug auf die IV unterstützt und sind auch für Fragen eine grosse Stütze. Danke für die gute Arbeit, die ihr alle leistet. 


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