Ich heisse Rahel und bin junge 41 Jahre alt. Ich wohne mit dem besten Mann der Welt und unseren 4 Katzen im schönen Simmental. Bin aber ursprünglich aus Thun und gehe immer wieder gerne an den See. Ich arbeite als Sekretärin in einem Sanitär- und Heizungsunternehmen.
Was bedeutet MS für dich?
Sehr grosse Angst.
Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Ich bin am Morgen aufgewacht und habe doppelt gesehen, danach sind wir sofort ins Krankenhaus. Wenn ich so zurück denke, dann sicher früher mit depressiven Verstimmungen und Müdigkeit. Vor 10 Jahren hatte ich eine Sehnerv-Entzündung, da wurde aber keine MS diagnostiziert.
Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
Mit 40 Jahren, genau vor 3 Monaten, am 27. März 2021.
Was war dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
Angst, Angst und wieder Angst. Absolute Leere!!! Müssen wir jetzt eine behindertengerechte Wohnung suchen? Muss ich mich bei Exit anmelden? Kann ich jemals wieder in die Ferien?
Welche Symptome machen dir am meisten zu schaffen? Wo behindern dich die Symptome im Alltag, wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Körperlich geht es mir sehr gut, da habe ich zum Glück keine Symptome, manchmal etwas müde. Ich muss einfach lernen, meine Kräfte einzuteilen und mehr auf meinen Körper zu hören und zu achten. Die Lebensqualität wird dadurch beeinflusst, dass ich am Abend ins Bett gehe und Angst habe, aufzuwachen und irgendetwas funktioniert nicht bei meinem Körper. Es fällt mir auch ein bisschen schwer Dinge zu planen, sowie Ferien, da ich mich vor einem Schub fürchte.
Hast du deine Diagnose kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Was waren Befürchtungen oder Gründe? Was würdest du anderen Menschen mit einer Neudiagnose heute empfehlen?
Ich habe von Anfang meine Diagnose kommuniziert und über meine Ängste gesprochen. Es war und ist nicht immer einfach, aber das Verständnis und das Mitgefühl was mir entgegen kam und kommt, ist sehr schön.
Kennst du vielleicht MS-Betroffene, die sich bewusst «nicht outen». Weisst du , warum sie das nicht tun? Wie könnte die MS-Gesellschaft diese Menschen unterstützen? Wie, die Schweizerinnen und Schweizer?
Ich kenne persönlich keine MS-Betroffenen. Vielleicht möchten sie nicht bemitleidet werden? (Abgesehen davon: ich auch nicht) Oder haben Angst, ihren Job zu verlieren?
Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mir deinen engsten Menschen sprechen möchtest? Gibt es umgekehrt Dinge, die dein Umfeld gar nicht wissen möchte?
Nein, für mich gibt es kein Tabu und wenn jemand nichts wissen will, dann soll er nicht zuhören.
Wie geht dein privates Umfeld, also Familie, Freunde, Partner, mit deiner Krankheit um? Hast du Kinder? Wie gehen sie damit um? Wie bekommst du/mit deinem Partner Kinder und Beruf unter einen Hut? Wie ist die Situation an deiner Arbeitsstelle?
Für meinen Ehemann, meine Familie und meine Freunde ist es sicher nach wie vor ein Schock, aber wir lernen damit zu leben. Sie sind alle grossartig und stehen mir jederzeit bei. Wir können gemeinsam weinen und/oder lachen. Kinder haben wir keine. Ich arbeite ganz normal wie vor dem Schub und das möchte ich auch beibehalten. Ich arbeite sehr gerne. Was aber sicher wichtig ist, dass ich mir mehr Auszeiten nehme. Ich habe zum Glück einen tollen Arbeitgeber und tolle Arbeitskollegen, sie alle sind sehr verständnisvoll.
Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Das kann ich nicht ganz beurteilen... Ich denke aber, dass beim heutigen Leistungsdruck es nicht gerne gesehen wird, wenn jemand ein «Handicap» hat. Da kann man sicher in der Gesellschaft, Politik, sowie Arbeitswelt ansetzen und Verbesserungen erzielen. Auch finde ich es nicht richtig, dass man nur 80% vom Lohn erhält, wenn man krankgeschrieben ist. Ich wünsche mir für alle Menschen mit chronischen Erkrankungen, dass die Arbeitswelt offener ist.
Welches sind die grössten Vorurteile oder Irrtümer, mit denen du als MS-Betroffener konfrontiert wirst? Wie gehst du damit um, was erträgst du am wenigsten gut?
Gute Frage, die kann ich noch nicht beantworten. Was ich nicht gut ertrage ist, wenn mir die Leute sagen, dass sie jemanden kennen mit MS und dieser Person geht es sehr schlecht und hat jene oder solche Schübe und Beschwerden.
Wo siehst du den Beitrag der Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Enttabuisierung der MS oder zur Stärkung der Solidarität?
Beiträge wie dieser, oder Veranstaltungen/Konzerte mit Prominenten, welche auch MS-Betroffene sind, TV-Beiträge.
Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich entspanne am besten in unserem Garten oder gehe in die Natur. Auch mit Familie und Freunden zusammen sein, ist für mich entspannend.
Was macht dir in Bezug auf deine MS Angst?
Dass ich nicht weiss, wann der nächste Schub kommt, ob die MS schlimmer wird und ob die Immuntherapie anschlägt.
Was gibt dir in Bezug auf deine MS Hoffnung?
Dass ich mich bei meinem Neuroimmunologen und dem ganzen Team in sehr guten Händen befinde und ich darauf vertrauen kann, dass sie mir helfen.
Wenn Du morgen zum « Minister für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Da muss ich mich zuerst über die Forschungsergebnisse informieren.
Welche positiven Gedanken verbindest du mit den Begriffen Forschung und MS?
Dass man zum Beispiel seit 10 Jahren schon viel weiter ist. Ich für jede Studie offen bin.
Welche Gefahren siehst du für den Bereich Forschung und MS?
Dass eventuell Gelder gekürzt werden könnten?
Verfolgst du Informationen zu Entwicklungen in der Forschung? Aus welchen Quellen? An welchen Forschungsthemen bist du besonders interessiert?
Bis jetzt noch nicht.
Welche Frage(n) wolltest du einem MS-Forscher schon immer mal ganz direkt stellen? Raus damit.
Wieso ist es bis jetzt noch nicht gelungen, den Ursprung zu finden, sowie eine Therapie zur vollkommenen Heilung?
Wo in deinem Alltag sollte die MS-Forschung ganz speziell positive Veränderungen ermöglichen?
Dass ich wieder ganz gesund bin.
Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
Bis jetzt keine.
Welchen Satz über MS kannst du nicht mehr hören?
Dass man früher oder später im Rollstuhl und/oder Pflegeheim endet.
Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Ein Koala. Mein Immunsystem und ich sind eins. Wir halten, brauchen und pflegen einander, damit wir gesund bleiben und gemeinsam im Gleichgewicht sind.
An was hängt dein Herz?
An meinem Leben.
Ein Satz für deine Liebsten?
Ihr seid die Besten!!!
Ein Satz für deine «Feinde»?
Ihr seid mir so was von egal.
Dein Lebens-Motto?
Veni, Vidi, Vici.
Dein Lieblingsbuch? Lieblingsfilm? Lieblingsessen? Gegen den MS-Blues?
Oh, da habe ich viele.. Notting Hill, Guardians of the Galaxy. Ich esse fast alles, ich liebe Essen :-). Ein gutes Glas Rotwein
Wenn du 3 Wünsche an die gute Fee frei hättest – für dich, die Welt, für wen und was auch immer: Welche wären das?
Dass ich keine MS habe, respektive geheilt bin. Mit meinem Mann und meinen Liebsten glücklich und gesund alt werden. Mit Tom Hardy in einem englischen Pub ein Bier zu trinken.
Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Die baut sich gerade erst auf.
Gesichter der MS 2021: Diese Serie ist anders. Nicht Dritte oder Unbeteiligte reden über MS und Menschen mit MS. Sondern MS-Betroffene selbst sprechen über ihr Leben mit einer unheilbaren Krankheit, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Wie die Krankheit sie fordert, aber auch, wie die MS sie vielleicht stärker gemacht hat. Wie eng gute und schlechte Erfahrungen beieinander liegen.
Immer gesucht: Neue Gesichter der MS
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Liebe Grüsse, deine Redaktion
P.S. Du magst/kannst nicht mitmachen, kennst aber jemanden, der gerne dabei wäre? Dann erzähl’ es einfach weiter…