Gesichter der MS 2021: Monika Geisser

Gesichter der MS

Ich bin Monika und 44 Jahre jung. Anfangs war die MS ein Graus für mich - alles wurde auf den Kopf gestellt, meine Wünsche und meine Ziele wurden über den Haufen geworfen. Mittlerweile ist die MS meine Freundin - wir haben uns, auf unsere eigene Art, mögen gelernt.  

Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Ein paar Wochen - Mitten im Sommer, an einem herrlichen Tag, sah ich plötzlich Regentropfen auf mich herabfallen und ich konnte mit einem Auge die Autonummern an den Autos, die vor mir fuhren, nicht mehr lesen. Ich dachte, ich sollte wirklich endlich eine Brille tragen...

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
Leider brauchte ich keine neue Brille. Vom Optiker ging es über den Augenarzt zum Neurologen. Ich war glaube ich, 25 Jahre jung. Mein damaliger Neurologe vermittelte mir das ganz einfach und taktlos – ja, Sie haben MS!      

Was war dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
Ich wusste im Moment nicht, ob ich weinen, schreien oder lachen sollte. Ich wusste ja nicht mal was MS war. Muskelschwund vielleicht? War mein Leben jetzt vorbei? So bin ich nach Hause, ohne zu wissen was MS war. Natürlich wurde ich später aufgeklärt und dieser Neurologe wuchs mir dann schon ans Herz.   

Welche Symptome machen dir am meisten zu schaffen? Wo behindern dich die Symptome im Alltag, wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Zum Glück konnte ich mich von allen MS-Schüben auch dank meiner positiven Einstellung und meinem Willen sehr gut erholen. Eigentlich haben die Symptome, die meine Lebensqualität beeinflussen, bei mir keinen Raum, doch ertappe ich mich immer wieder, dass ich sehr müde bin und einfach meine Auszeiten benötige.  
   
Hast du deine Diagnose kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Was waren Befürchtungen oder Gründe? Was würdest du anderen Menschen mit einer Neudiagnose heute empfehlen?
Ich mache kein Geheimnis um meine «Freundin», zwinge sie aber auch nicht jedem auf. Am liebsten ist mir, dass mein Umfeld meine Diagnose, so gut es geht, vergisst, oder nicht daran denkt. Ich bin eine äusserst positive Person, was ich nicht brauche, ist Mitleid. Sich für sich Zeit nehmen, finde ich bei einer Neudiagnose sehr passend. Es braucht am Anfang viel Raum für die Frage, wie mit MS gelebt werden kann. Viel darüber sprechen, mit den richtigen Personen, hilft dabei - und ganz fest auf seinen Körper zu hören. Den Körper wird man neu kennenlernen.    

Kennst du vielleicht MS-Betroffene, die sich bewusst «nicht outen». Weisst du , warum sie das nicht tun? Wie könnte die MS-Gesellschaft diese Menschen unterstützen? Wie, die Schweizerinnen und Schweizer?
Ich kenne ein oder zwei Personen - leider ist dort die Angst gross, dass sie ihren Job verlieren.  

Wie geht dein privates Umfeld, also Familie, Freunde, Partner, mit deiner Krankheit um?
Mein privates Umfeld macht das ganz gut - sie denken nicht an meine MS, oder geben mir auf jeden Fall das Gefühl, und das schätze ich sehr. 

Wie ist die Situation an deiner Arbeitsstelle?
Mein Arbeitgeber ist immer noch derselbe, wie bei der Diagnose. Im Anfangsstadium hat er mich unglaublich toll unterstützt. Ich hatte leider gerade am Anfang ein paar Schübe und fehlte viel. Auch bei der IV-Anmeldung und bei der Überbrückung war er eine tolle Hilfe. Auch trotz meiner MS konnte ich einen tollen Karriereweg machen - nicht ganz wie ich ihn mir vorgestellt hatte - aber ich bin zufrieden. Eines, was mich MS gelehrt hat, ist, das Beste aus jeder Situation zu machen.  

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Durch die sozialen Medien ist die Wahrnehmung von chronischen Krankheiten sicher grösser geworden. Es ist auch einfacher, über solche Krankheiten zu erfahren. Aber ganz ehrlich, ist der Platz in der Gesellschaft, für jemanden der krank, ist verschwindend klein. Schwäche zeigen, ist aus meiner Sicht immer noch sehr verpönt.   

Welches sind die grössten Vorurteile oder Irrtümer, mit denen du als MS-Betroffener konfrontiert wirst? Wie gehst du damit um, was erträgst du am wenigsten gut?
Schon vor fast zwanzig Jahren dachten die meisten bei MS gerade an den Rollstuhl - das ist manchmal immer noch so. In den Jahren habe ich so einige MS Betroffene kennengelernt - und den meisten sieht man die MS gar nicht an.  

Wo siehst du den Beitrag der Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Enttabuisierung der MS oder zur Stärkung der Solidarität?
Genau solche Aktionen wie diese hier, zeigen das persönliche Gesicht einer chronischen Krankheit und geben den Betroffenen und Angehörigen Mut und das Wissen, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine sind.   

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich habe das grosse Glück ein Pferd zu haben. Die Stunden mit ihm geben mir die nötige Kraft, meinen Alltag zu meistern und meine Batterien neu zu laden. Die Natur gibt einem viel zurück - auch macht es Sinn mal öfters eine Pause einzulegen.  

Was macht dir in Bezug auf deine MS Angst?
Natürlich mache ich mir Gedanken, wie mein Körper in Zukunft reagiert. Am meisten beschäftigt mich aber die Frage, wie mein Körper mit der jahrelangen Medikation umgehen wird.  

Was gibt dir in Bezug auf deine MS Hoffnung?
Hoffnung habe ich in die Forschung - sie wird immer nach neuen Möglichkeiten suchen. 

Wenn Du morgen zum «Minister für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Da bin ich total überfragt. 

Welche positiven Gedanken verbindest du mit den Begriffen Forschung und MS?
Forschung, um Heilung möglich zu machen. Und danke, dass ihr in den letzten Jahren so viele neue Medikamente an den Markt gebracht habt. Die Umstellung von Spritzen und Infusionen auf Tabletten, erleichtert einem einiges.

Welche Gefahren siehst du für den Bereich Forschung und MS?
Manchmal denke ich mir, dass niemand so richtig will, dass MS geheilt werden kann, oder die Ursachen für die Erkrankung herausgefunden werden sollten.

Verfolgst du Informationen zu Entwicklungen in der Forschung? Aus welchen Quellen? An welchen Forschungsthemen bist du besonders interessiert?
Hin und wieder stosse ich auf Berichte zur MS Forschung die mich interessieren. Vor allem wenn es um etwas geht, das mich betrifft. Zum Beispiel Fatigue oder «MS und Sport». 

Welche Frage(n) wolltest du einem MS-Forscher schon immer mal ganz direkt stellen? Raus damit.    
Wie schon erwähnt...: Wollt ihr MS wirklich heilen können? 

Wo in deinem Alltag sollte die MS-Forschung ganz speziell positive Veränderungen ermöglichen?
Ich würde sagen, in der Lebensqualität (die sich ja mit den Medikamenten schon stark verbessert hat).  

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
Als es noch Akquisitions-Anrufe am Telefon von Versicherungen gab, musste ich nur erwähnen dass ich MS habe - sofort war das Gespräch zu Ende :-)  

Welchen Satz über MS kannst du nicht mehr hören?
«Jesses,  du Armi, da gseht mer der gar ned a. Ich ha au mol öpper kännt, wo MS gha het u
de esch dra gstorbe.» Und dann schauen sie mich noch so bemitleidend an... 

An was hängt dein Herz?
An meinen Lieben, meinem Pferd und meinen Katzen.   

Ein Satz für deine Liebsten?
Danke, dass ihr mich durch mein Leben begleitet. 

Ein Satz für deine «Feinde»?
Neider muss man sich erarbeiten. 

Dein Lebens-Motto?
You'll never walk alone. 

Dein Lieblingsbuch? Lieblingsfilm? Lieblingsessen? Gegen den MS-Blues?
Ich lese leider nicht wahnsinnig viel, hin und wieder eine Liebesschnulze, vor allem in den Ferien. 
Lieblingsfilme, auch da gibt es viele - ich mag Daniel Craig - und ich mag alle guten Ärzte-Serien.
Essen ist was wahnsinnig Tolles und ich liebe es. Ich kann von fast nichts genug haben :-)  
Gegen den MS - Blues habe ich kein Rezept – ich ziehe mich eher zurück, wenn er mich 
mal einholt, da möchte ich alleine mit mir «durch». 

Wenn du 3 Wünsche an die gute Fee frei hättest – für dich, die Welt, für wen und was auch immer:  Welche wären das?
Für alle Menschen wünschte ich mir mehr Zufriedenheit und dass niemand hungern muss. Einen dritten Wunsch hätte ich noch zum Vergeuden, aber der bleibt mein Geheimnis. 

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Die Internet Seite der MS-Gesellschaft begleitet mich, seit ich die Diagnose erhalten habe. Ich lese mich auch gerne durch die News und konnte auch schon bei einer Studie mitmachen. 

Gesichter der MS 2021: Diese Serie ist anders. Nicht Dritte oder Unbeteiligte reden über MS und Menschen mit MS. Sondern MS-Betroffene selbst sprechen über ihr Leben mit einer unheilbaren Krankheit, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Wie die Krankheit sie fordert, aber auch, wie die MS sie vielleicht stärker gemacht hat. Wie eng gute und schlechte Erfahrungen beieinander liegen.

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und wir schicken dir zum Kennenlernen ganz unverbindlich den jeweils aktuellen Portrait-Fragebogen zu. Du kannst dann in aller Ruhe überlegen, ob du mitmachen möchtest.

Liebe Grüsse, deine Redaktion

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