Gesichter der MS 2021: Coni Leuenberger

Gesichter der MS

Mein Name ist Cornelia, Coni Leuenberger, bin 32 Jahre alt und wohne im Emmental. Ich arbeite in der schönsten Käserei der Schweiz ;-)

Was bedeutet MS für dich?
MS war für mich am Anfang sehr schwierig zu verstehen, da ich diese Krankheit nicht wirklich kannte. Mittlerweile bedeutet es für mich, mit der einen oder anderen Einschränkung zu leben.

Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Da ich nur einen bemerkbaren Schub im Mai 2019 in Irland verspürte, ging ich nach der Heimreise direkt ins Spital und wurde dann zum Spezialisten geschickt. Es vergingen also in etwa 4 Tage.

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
Nach meinem 30ten Geburtstag. Der Neurologe sass neben mir auf dem Stuhl, als ich an einer Infusion hing und meinte ziemlich trocken: «Sie haben MS». Damals war das für mich ein riesen Schock und ich wurde überrumpelt, aber zum heutigen Zeitpunkt hätte er es nicht besser machen können. Ich mag seine Direktheit. Ausserdem dachte ich danach, es gäbe Schlimmeres und ich hatte einen richtigen Lachflash und der Arzt sah mich nur ganz verdutzt an, als ich sagte, «zum Glück kein Tumor».

Was war dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
Ohh…  ich dachte nur an Rollstuhl und dass mein Leben vorbei wäre... heute finde ich, ich war damals ziemlich dramatisch.

Welche Symptome machen dir am meisten zu schaffen? Wo behindern dich die Symptome im Alltag, wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Die Symptome halten sich bei mir bis jetzt sehr in Grenzen, darüber bin ich sehr froh. Ich habe mit Schmerzen in den Beinen ab und an zu kämpfen... Am meisten behindert mich die Fatigue bei der Arbeit, da ich im Service arbeite und oft am Gähnen bin... Und wenn ich gestresst oder überfordert bin, werde ich manchmal emotional. Ansonsten konnte ich mich bis jetzt gut mit meiner MS arrangieren und mir privat öfters Pausen gönnen.

Hast du deine Diagnose kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Was waren Befürchtungen oder Gründe? Was würdest du anderen Menschen mit einer Neudiagnose heute empfehlen?
Na ja, ich bin da etwas speziell ;-). Von Anfang an habe ich sehr offen mit meiner Familie, meinem Opa, meiner Oma, Freunden und meinem Arbeitgeber darüber gesprochen. Auch wenn ich auf der Arbeit angesprochen werde, mache ich kein Geheimnis daraus. Wenn jemand also fragt warum ich heute wieder komisch gehe, oder mir Dinge aus den Händen fallen, begründe ich es immer mit, «ich habe MS», dann wird man auch nicht mehr so komisch angeschaut, oder nur kurz.

Ich mag keine Heimlichtuerei, aber das muss natürlich jeder für sich entscheiden. Ich habe bis jetzt sehr, sehr wenig negative Erfahrungen gemacht, als ich mich mitteilte. Ich versuche das Leben positiv zu sehen und lasse mich nicht unterkriegen. Ich war vor meiner MS da, und so soll SIE mit MIR leben. 

Kennst du vielleicht MS-Betroffene, die sich bewusst «nicht outen». Weisst du , warum sie das nicht tun? Wie könnte die MS-Gesellschaft diese Menschen unterstützen? Wie, die Schweizerinnen und Schweizer?
Die Menschen die ich kennen gelernt habe, welche die gleiche Diagnose haben, machten bis jetzt kein Geheimnis daraus. Ich bin eher überrascht, wie viele eigentlich das ähnliche Schicksal tragen.

Was ist für dich tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mir deinen engsten Menschen sprechen möchtest? Gibt es umgekehrt Dinge, die dein Umfeld gar nicht wissen möchte?
Ich spreche sehr offen über meine MS, wenn enge Freunde etwas wissen wollen gebe ich Antwort. Mein Umfeld reagiert super darauf, manchmal wenn ich am Witzeln bin, finden sie dies nicht ganz so lustig wie ich, aber für mich ist dies kein Problem. Die Probleme entstehen erst, wenn mich jemand nicht anspricht und ich genau spüre, dass sie über mich reden. Da werde ich lieber direkt angesprochen.

Wie geht dein privates Umfeld, also Familie, Freunde, Partner, mit deiner Krankheit um? Hast du Kinder? Wie gehen sie damit um? Wie bekommst du/mit deinem Partner Kinder und Beruf unter einen Hut?
Ich habe keine Kinder, und nein, nicht weil ich MS habe, ich wollte auch davor nie welche. Meine engen Verwandten unterstützen mich super und bringen mir das nötige Verständnis entgegen. Wenn ich Unterstützung brauche, weiss ich, bei wem ich wann anrufen und um Hilfe bitten darf. Einen Partner habe ich nicht, dass hat sich seit der Diagnose auch eher zum Negativen verändert. 

Wie ist die Situation an deiner Arbeitsstelle?
Ich werde super unterstützt von meinem Arbeitgeber. Das gegenseitige Vertrauen ist da, wenn ich etwas benötige, darf ich ungeniert nachfragen und bekomme auch die nötige Unterstützung von meinen Arbeitskollegen, da könnten sich viele Firmen bestimmt eine Scheibe abschneiden.

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Ich befasse mich leider viel zu wenig mit der Politik, ich bin schon froh, wenn ich die Abstimmung nicht verpasse.

Welches sind die grössten Vorurteile oder Irrtümer, mit denen du als MS-Betroffener konfrontiert wirst? Wie gehst du damit um, was erträgst du am wenigsten gut?
Ich höre des Öfteren, dass MS die Abkürzung für Muskelschwund ist. Das irritiert mich manchmal ein wenig. Man schaut mich bemitleidend an und fragt, ob oder wo denn mein Rollstuhl wäre, … das beängstigt mich und trifft mich auch hart. Dass man bei der MS nichts sieht und man daher nur simuliert. Man wird nicht wirklich ernst genommen, auch von gewissen Ämtern nicht.

Wo siehst du den Beitrag der Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Enttabuisierung der MS oder zur Stärkung der Solidarität?
Ich finde es schwierig, diese Frage zu beantworten. Ich kannte die MSG auch erst, seit es mich traf. Ansonsten würde ich sagen, Aufklärungsvideos etc. veröffentlichen.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Zurzeit kann ich mich sehr gut im Garten beschäftigen, dies gibt mir Kraft. An weniger schönen Tagen ist die Handarbeit, das Basteln oder Musik hören und einfach auf der Couch rumliegen super. An heissen Tagen wird es auch mal zu einem Tag am/im Wasser. Anderen Betroffenen würde ich dazu raten, dass zu machen, was sie für sich das Beste finden.

Was macht dir in Bezug auf deine MS Angst?
Am meisten Angst habe ich davor, dass die Symptome schlimmer werden, da ich über zwanzig Läsionen habe - und dass ich irgendwann extrem auf fremde Hilfe angewiesen bin. Da ich sehr stur sein kann und alles erzwingen möchte, ist die Abhängigkeit ein grosses Problem für mich. Existenzängste begleiten mich auch des Öfteren, sind sehr unangenehm und können mich nächtelang wach halten.

Was gibt dir in Bezug auf deine MS Hoffnung?
Mein Neurologe, meine Hausärztin. Meine Freunde. Dass meine Einschränkungen sich bis jetzt sehr in Grenzen halten. Und ich hoffe, dass dies noch lange so bleiben wird.

Wenn Du morgen zum « Minister für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Die Forschung voran treiben. Warum bricht MS es aus? Wie kann man diese Krankheit heilbar machen? Für bessere finanzielle Unterstützung sorgen.

Welche positiven Gedanken verbindest du mit den Begriffen Forschung und MS?
Dass die Forschungen sehr voran gehen.

Welche Gefahren siehst du für den Bereich Forschung und MS?
Dass es vielleicht irgendwann nur noch um die Finanzen geht. 

Verfolgst du Informationen zur Entwicklung in der Forschung? Aus welchen Quellen? An welchen Forschungsthemen bist du besonders interessiert?
Die Infos bekomme ich von meinem Neurologen, der MS-Gesellschaft und von meinem Opa, der sich sehr für die Anatomie interessiert.

Welche Frage(n) wolltest du einem MS-Forscher schon immer mal ganz direkt stellen? Raus damit.
Warum ich? Wann wurde der erste Schub ausgelöst? Warum gibt es noch kein Heilmittel?

Wo in deinem Alltag sollte die MS-Forschung ganz speziell positive Veränderungen ermöglichen? 
Dass die Fatigue nicht mehr existiert und die Symptome soweit zurück gehen, dass man keine Einschränkungen hat.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
Ich habe eigentlich nur ein trauriges Erlebnis, dank oder wegen der MS gehabt. Partnerschaften einzugehen, da man ja «belastend» ist. Ansonsten nur lustige, ich kann auch sehr gut über mich selbst lachen.

Welchen Satz über MS kannst du nicht mehr hören?
«Wann sitzt du im Rollstuhl? Man sieht ja nichts». «Du nimmst ja Medikamente, dann jammere nicht. Du siehst ja nicht krank aus.»

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Keine Ahnung, ein Chamäleon? Oder was kommt und geht - und man merkt nicht gleich immer, ob es da war? ;-)

An was hängt dein Herz?
An allem was mich glücklich macht. Unabhängig zu sein.

Ein Satz für deine Liebsten?
Ich liebe jeden von euch und bin froh das ihr mich unterstützt und für mich da seid, wenn ich euch brauche. Und dass wir sehr, sehr viel lachen können.

Ein Satz für deine «Feinde»?
Die würdige ich keines Blickes, die sollen für sich selbst schauen ;-)

Dein Lebens-Motto?
«Sometimes you get to choose your battle and sometimes the battle chooses you». «Mein Leben ist ein Musical ;-)». Und ohne Musik wäre mein Leben sehr langweilig.

Dein Lieblingsbuch? Lieblingsfilm? Lieblingsessen? Gegen den MS-Blues?
«One More Kiss» von Vi Keeland. Ich habe viele Lieblingsfilme. Pizza, Burger, Salat.. fast alles. Gegen den MS-Blues, den ich zum Glück sehr, sehr selten habe, hilft mir meistens sentimentale Musik hören, in der Badewanne liegen, weinen, meine Katzen knuddeln mit meinen Besten reden oder etwas unternehmen und am nächsten Tag wieder nach vorne schauen.

Wenn du 3 Wünsche an die gute Fee frei hättest – für dich, die Welt, für wen und was auch immer: Welche wären das?
Das, was sich glaube ich, jeder wünschen würde. Gesund zu sein, Frieden und dass niemand hungern oder leiden müsste. Die Welt wieder zu einem besseren Ort zu machen. Einfach zu schätzen, was man hat und nicht alles zerstören...

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Bis jetzt eine gute. Fragen wurden beantwortet. Die Unterstützung und die Hilfe ist da.

Gesichter der MS 2021: Diese Serie ist anders. Nicht Dritte oder Unbeteiligte reden über MS und Menschen mit MS. Sondern MS-Betroffene selbst sprechen über ihr Leben mit einer unheilbaren Krankheit, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Wie die Krankheit sie fordert, aber auch, wie die MS sie vielleicht stärker gemacht hat. Wie eng gute und schlechte Erfahrungen beieinander liegen.

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