Gesichter der MS 2021: Andreas Oetiker

Gesichter der MS

Mein Name ist Andreas, ich bin knapp 34 und wohne seit kurzem in Frauenfeld. MS bedeutet für mich, dass ich mit gewissen Einschränkungen leben muss.

Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Rückblickend könnte ich vielleicht die einen oder anderen Probleme auf MS zurückführen. Aber vom ersten richtigen Schub, bis zur Diagnose, ging es etwa drei Monate.

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
Nachdem der Neurologe verschiedene Tests durchgeführt und mich einem MRI unterzogen hatte, äusserte er die Vermutung MS. Vor der endgültigen Diagnose wollte er aber noch mein Gehirnwasser analysieren. Seine Vermutung hat sich bestätigt und er eröffnete mir sachlich, einen Tag vor meinem 24. Geburtstag, dass ich MS habe.

Was war dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
Da ich bereits darauf vorbereitet war, konnte ich meinen Neurologen direkt auf Behandlungsmöglichkeiten und den möglichen Verlauf ansprechen. Beim vorherigen Treffen, als er mir seine Vermutung mitgeteilt hat, hat mein Gehirn komplett ausgesetzt und ich kann mich nur noch sehr vage an den Tag erinnern.

Welche Symptome machen dir am meisten zu schaffen? Wo behindern dich die Symptome im Alltag, wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
Ich habe hauptsächlich Probleme mit der Taubheit in meinen Unterschenkeln und in der rechten Hand. Dies behindert mich hauptsächlich beim Ausdauersport, was ich als minimale Einschränkung ansehe. Diese Symptome zeigen sich auch bei sehr kalten oder sehr warmen Temperaturen, sowie bei starkem Stress. Zwischenzeitlich habe ich nach einem Schub sehr viel meines Sehvermögens eingebüsst, welches ich aber mit Cortison wieder zurückerhalten habe.

Hast du deine Diagnose kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Was waren Befürchtungen oder Gründe? Was würdest du anderen Menschen mit einer Neudiagnose heute empfehlen?
Im ersten Moment habe ich die Diagnose meiner Familie und auch meinem engen Umfeld kommuniziert – sie konnten ja sehen, dass ich nach meinem ersten grossen Schub starke Probleme beim Gehen hatte. Inzwischen spreche ich meine MS nicht gezielt an, wenn es sich aber aus dem Kontext ergibt, ich Unterstützung benötige oder gewisse Sachen aufgrund von MS nicht machen kann, dann gehe ich sehr offen damit um.

Eine Empfehlung abzugeben ist schwierig, da jede betroffene Person anders damit umgeht. Aus Erfahrung kann ich aber sagen, dass die Gesprächspartner eigentlich immer sehr grosses Verständnis zeigen und man so auch Missverständnisse aus der Welt schaffen kann.

Kennst du vielleicht MS-Betroffene, die sich bewusst «nicht outen». Weisst du , warum sie das nicht tun? Wie könnte die MS-Gesellschaft diese Menschen unterstützen? Wie, die Schweizerinnen und Schweizer?
Ich kenne niemanden, der MS hat und sich nicht «outet». Meiner Meinung nach ist dies auch nicht zielführend. Denn obwohl man sich nicht nur über MS definieren soll, nimmt die MS einen wesentlichen Bestandteil des Lebens von betroffenen Personen ein und gestaltet das Leben stark mit.

Was ist für dich Tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen  engsten Menschen sprechen möchtest? Gibt es umgekehrt Dinge, die dein Umfeld gar nicht wissen möchte?
Für mich gibt es kein Tabu bei meiner MS. Grundsätzlich habe ich nicht das Bedürfnis, viel darüber zu sprechen, da ich mich meiner Meinung nach ziemlich gut mit meiner MS arrangiert habe. Sollte ich aber einmal darüber sprechen wollen, weiss ich, dass meine Familie und mein Freundeskreis immer ein offenes Ohr haben.

Wie ist die Situation an deiner Arbeitsstelle?
Alle (ich arbeite in einem Kleinstunternehmen mit 6 Personen) wissen, dass ich MS habe. Da meine MS noch nie meine Arbeitsleistung beeinträchtigt hat, gibt es auch keinen Grund, dies in diesem Zusammenhang zu thematisieren.

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Das Verständnis für chronisch kranke Personen hat sich vielleicht ein wenig gebessert. Die Gesellschaft lässt mehr Individualität zu, was auch Menschen mit MS zugutekommt.

Welches sind die grössten Vorurteile oder Irrtümer, mit denen du als MS-Betroffener konfrontiert wirst? Wie gehst du damit um, was erträgst du am wenigsten gut?
Der Unterschied zwischen MS und Muskelschwund ist immer noch häufig unklar und auch die Tatsache, dass die Symptome nicht permanent sichtbar sind (Stichwort: «Dir sieht man das ja gar nicht an»). Diese Irrtümer liegen aber eigentlich meist an Unwissenheit und nicht böswilliger Absicht. Dementsprechend versuche ich aufzuklären und den Leuten MS näherzubringen.

Wo siehst du den Beitrag der Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Enttabuisierung der MS oder zur Stärkung der Solidarität?
Vor allem bei der Information und der Integration von MS-Betroffenen.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Unter anderem mit Sport, Musik und Netflix. Man soll einfach das machen, was einem Spass macht.

Was macht dir in Bezug auf deine MS Angst?
Den Krankheitsverlauf selbst kann ich nur marginal beeinflussen. Wohl aber meine positive Einstellung zu dem ganzen Thema. Meine grösste Angst ist es, irgendwann eventuell durch gesundheitliche Rückschläge diese Haltung zu verlieren und damit mich und mein Umfeld zu belasten.

Was gibt dir in Bezug auf deine MS Hoffnung?
Einerseits, dass ich im zweiten Anlauf gut auf die Medikamente (Gilenya) anspreche,  aber auch, wie ich mit den bisherigen starken Schüben umgegangen bin und wie ich mich zurückgekämpft habe. Sekundär, setze ich meine Hoffnung natürlich auch auf die Wissenschaft und die Forschung.

Welche positiven Gedanken verbindest du mit den Begriffen Forschung und MS?
Dass MS wichtig genug erachtet wird, um langfristig zu forschen. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich der MS-Forschung, gegenüber Forschungen bei unheilbaren Krankheiten mit tödlichem Verlauf, weniger Priorität einräume.

Welche Gefahren siehst du für den Bereich Forschung und MS?
Grundsätzlich sehe ich keine Gefahren. Natürlich kann eine Forschungstätigkeit grosse Hoffnungen bei den MS-Betroffenen wecken, welche dann eventuell enttäuscht werden könnten.

Verfolgst du Informationen zu Entwicklungen in der Forschung? Aus welchen Quellen? An welchen Forschungsthemen bist du besonders interessiert?
Ich verfolge die Forschungsentwicklung zu MS nur minimal. Sollte eine vielversprechende Therapiemöglichkeit entdeckt werden, vertraue ich darauf, dass mich mein Neurologe darüber aufklärt.

Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
Eher weniger. Natürlich ist es immer wieder frustrierend, wenn man einen neuen Schub hat oder etwas nicht mehr so gut wie früher geht. Zudem empfand ich die Fragen des Neurologen nach einer möglichen Inkontinenz oder sexuellen Funktionsstörungen mit meinen weniger als 30 Lebensjahren anfangs als stark befremdlich.

Welchen Satz über MS kannst du nicht mehr hören?
Nicht ernst gemeinte Standardfloskeln bzgl. MS.

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Ein Chamäleon - Mal unsichtbar, mal sichtbar und in verschiedenen Farben in Erscheinung tretend.

An was hängt dein Herz?
Definitiv an meiner Frau und meiner gesamten Familie.

Ein Satz für deine Liebsten?
Einfach nur: Danke!

Ein Satz für deine «Feinde»?
Ich versuche mein Leben so zu leben, dass ich keine «Feinde» habe, was mir bisher eigentlich ganz gut gelungen ist. 

Dein Lebens-Motto?
Hoffe auf das Beste, bereite dich auf das Schlimmste vor.

Dein Lieblingsbuch? Lieblingsfilm? Lieblingsessen? Gegen den MS-Blues?
1984 – immer wieder ein Klassiker - und natürlich das viel gerühmte brasilianische BBQ.

Wenn du 3 Wünsche an die gute Fee frei hättest – für dich, die Welt, für wen und was auch immer: Welche wären das?
Eigentlich bin ich mit meinem Leben ganz zufrieden, so wie es ist. Aber ich glaube, mehr Nächstenliebe würde der Welt doch ganz gut tun.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
Eigentlich eine sehr minimale Beziehung. Seit letztem Jahr treffe ich mich mit der Regionalgruppe Thurgau «Insieme», welche auch von der MS-Gesellschaft unterstützt wird. Leider konnte ich durch Corona erst einmal dabei sein, freue mich aber auf mögliche Treffen in diesem Jahr.

 

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