7 Fragen an «Shining Phoenix»

MS-Geschichten

«Einfach kann jede/r», könnte der Wahlspruch der MS-Betroffenen Laura Vischer sein - und das schliesst ganz bewusst intensivste Aufs und Abs in Ihrem Leben mit ein. Ganz tief drinnen, im Kern, geht es darum, ein Mal mehr aufzustehen, als man hingefallen ist. Wieder aufzustehen, besser, wilder, lebendiger denn je: Wie ein Phönix aus der Asche.  

 

 

 

In einem Interview mit Ihnen von 2012 ist zu lesen: «Deshalb entschloss sie sich nach der Matura für eine dreijährige Musicalausbildung in Hamburg. Doch da holte sie bald die Realität ein. Nichts war so schön, wie sie es sich vorgestellt hatte. Missgunst und Konkurrenzkampf waren an der Tagesordnung, Freunde und Familie weit weg, und Privates ging verloren. Ernüchtert musste sie zudem schliesslich feststellen, dass sie nicht zu dem Star wurde, von dem sie geträumt hatte.» 

Was ist 2023 anders? Hat sich die Welt verändert? Oder Laura Vischer (Künstlerinnen-Name «Shining Phoenix»)?
Die Welt verändert sich stetig, positiv wie negativ. Im Jahr 2023 ist die Situation für mich im Gegensatz zu 2012 eher schwieriger. Ganz nach dem Motto: «Schlimmer geht immer!». Ich habe mich sicherlich weiterentwickelt, auch wenn man das selber oft gar nicht so merkt. Der Spruch «Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?», trifft eigentlich sehr gut auf mein bisheriges Leben zu. Klar, manchmal ist es zum Verzweifeln und ich bin versucht aufzugeben. Aber wenn ich darüber nachdenke, dann muss ich gestehen, dass der kompliziertere Weg sehr wahrscheinlich der interessantere, lehrreichere und schlussendlich erfüllendere ist. Ich bin dafür dankbar, dass ich ein kompliziertes Leben führen darf, mit der Hoffnung, daraus zu lernen, wie ich es mir zukünftig leichter und schöner machen kann.

Ihr sehr professionelles Video zu Ihrer ersten Single deutet an, dass Ihnen der Dreh viel körperliche Präsenz und Arbeit abverlangt hat. Welche MS-Symptome machten da ggf. Schwierigkeiten?  Welche Symptome haben Sie generell?
Bei mir wurde 2016, wie bei meinem Vater sieben Jahre zuvor, eine primär progrediente MS (PPMS) diagnostiziert. Betroffen sind vor allem die Beine, das Vorwärtskommen in Verbindung mit der Fatigue. Ich fühle mich oft wie ein Ferrari-Motor in einem alten VW-Käfer. Der Geist ist einfach Meilen voraus und der Körper kommt nicht hinterher. Den Ausdruck «Vorwärtskommen» habe ich jetzt nicht zufällig gewählt.

Im Musikvideo sieht man das natürlich nicht, aber darauf habe ich auch sehr viel Wert gelegt. Ich habe die ganze Crew zum Vornherein über meine MS informiert. Sie haben sich wirklich alle sehr rührend um mich gekümmert. Ich hatte immer einen Stuhl für die stundenlangen Pausen. Es gab Jacken, Decken und Kissen, weil es an diesem Drehort schweinekalt und ungemütlich war, während ich in knappen Outfits vor der Kamera stand. Mein bester Freund kam ebenfalls mit zum Dreh und hat mich jeweils gestützt, wenn wir den Ort wechseln mussten. Stellen, bei denen mein Gang wackelig war, wurden herausgeschnitten. Die Szenen am Boden haben wir erst gedreht, als ich sicher auf dem Boden sass. Man sieht mich auch nicht ungelenkig aufstehen.

Lustig war, dass der Stylist für mein Outfit hohe Plateau High Heels mit dünnem Absatz mitgebracht hatte. Ich dachte, wenn ich mich am Mikrofon halten kann, dann könnte das vielleicht funktionieren. Aber ich konnte nicht einmal stehen in diesen Schuhen. Früher habe ich in High Heels getanzt. Als Folge davon habe ich meine nicht zum Outfit passenden Sneakers angezogen und dem Regisseur gesagt, dass er meine Füsse als Rocksängerin nicht zeigen darf. Das wäre ein krasser Stilbruch gewesen. Film ist nicht Realität, das vergessen die Leute immer wieder!

Ihr Künstlername als Sängerin ist «Shining Phoenix». Worauf muss ein «Phönix aus der Asche mit MS» achten, damit er nicht wie Ikarus in Gefahr gerät?
Ich nenne mich tatsächlich «Shining Phoenix» und mein jetziger Song heisst «Rise from the Ashes». Es gefällt mir sehr gut, dass Sie hier mit einer Geschichte aus den Klassischen Sagen des Griechischen Altertums kommen, denn ich liebe diese Sagen und Mythologien. Der Phönix ist bekanntlich ein erstaunliches Tier, auch wenn es sich um ein mythologisches Wesen handelt. Der Phönix symbolisiert die Auferstehung und Wiedergeburt. Er kann sich somit also selbst heilen. Das Interessante daran ist ja, dass er zuerst abstürzen bzw. verbrennen muss, um anschliessend wieder zu neuem und einem noch besseren Leben erweckt zu werden. Das bedeutet, wer hoch hinaus will, muss erst einmal tief auf den Grund abtauchen. Erfolgreiche Leute hatten in ihrer Vergangenheit oft zuvor viele Misserfolge. Von denen wird aber bekanntlich fast nie gesprochen. Was einen erfolgreichen Menschen jedoch von einem weniger erfolgreichen Menschen unterscheidet, sind sein unerschütterlicher Glaube, ein Ziel zu erreichen sowie sein Durchhaltevermögen.

Mit welchem Künstler oder mit welcher Sängerin würden Sie gerne ein Duett singen? Was wäre der Song? Und warum?
Hm, gute Frage. Sicherlich mit einer charakterstarken Persönlichkeit, die genauso wie ich eine starke und wichtige Botschaft in die Welt hinaustragen möchte. Mich fasziniert die Kunst, die über die reine Unterhaltung hinaus geht und eine Weisheit beinhaltet. Für mich ist es dann doppelt erfüllend, wenn der Spass auch noch Sinn macht. Um ein Beispiel zu nennen: Ich würde wirklich sehr gerne mit Eminem einen Track aufnehmen. Erstens fasziniert er mich, weil er auf den ersten Blick so komplett anders ist als ich. Zweitens halte ich ihn für einen unglaublich begabten Künstler und für mich ist er der beste Rapper. Drittens erfüllt er meine Bedingung einer charakterstarken Persönlichkeit. Auch er musste erst einmal auf den Grund tauchen, bevor er aufsteigen konnte. Und viertens sind wir beide Sternzeichen Waage und ich denke, wir würden uns super verstehen.

Bei welcher Musik schalten Sie das Radio aus? Warum?
Ehrlich gesagt schalte ich am ehesten dann aus, wenn die Moderatoren zu viel quatschen. Was die Musik betrifft, gibt es in jedem Genre Stücke, die mir gefallen und solche die mir weniger gefallen. Das kommt aber auch auf meine Stimmung an.

Ich selbst bin eine genre-übergreifende Sängerin. «Rise from the Ashes» ist die erste Singleauskoppelung meines Albums «Inside Us». Dabei handelt es sich um ein Konzeptalbum, das uns auf eine Reise durch unsere Gefühlswelt mitnimmt. Ich habe jeweils einen Song zu den acht sogenannten Grundgefühlen geschrieben. Die acht Grundgefühle sind: Angst, Ekel, Freude, Liebe, Scham, Trauer, Überraschung und Wut.  Da sich Freude ganz anders als Wut, Ekel oder Trauer anfühlt, war für mich von Anfang an klar, dass ich nicht bei einem Genre bleiben kann. Das Gefühl hat schlussendlich das Genre und die Instrumente bestimmt. Daraus ist ein sehr abwechslungsreiches Album mit acht Songs entstanden, die jeweils ein Grundgefühl ausdrücken und einem Transformationssong, der jetzigen Single «Rise from the Ashes».

Wenn Sie in den Spiegel schauen, was sehen Sie?
Zwei Augen, eine Nase, einen Mund. Hach, diese Frage ist anspruchsvoll.

Ich sehe einen Menschen, der vieles erlebt hat und gelernt hat, aber auch einen Menschen, der noch viel mehr erleben und lernen möchte. Ausserdem erblicke ich einen sehr lieben und zarten Menschen, der andererseits einen harten Kern besitzt. Demnach bin ich eine Aprikose oder sowas, auf jeden Fall das Gegenteil von harter Schale mit weichem Kern.

Beim Kennenlernen oder einem Date: Sind Sie als MS-Betroffene zurückhaltender? Gibt es für Sie einen «guten» Moment, die MS-Erkrankung zu outen?
Nein, ich glaube nicht, dass ich zurückhaltender geworden bin. Ich flirte gerne. Als Waage bin ich stets charmant und mag es, wenn sich die Leute um mich herum wohlfühlen. Aber ehrlich gesagt, von Dates, also Blind-Dates, Dating-Apps etc. halte ich gar nichts. Schon vor meiner MS habe ich all diese Sachen ausprobiert, aber es ist einfach gar nicht mein Ding. Dafür bin ich viel zu romantisch. Am besten ist es meiner Meinung nach, jemanden im Alltag kennenzulernen, während der Arbeit, bei künstlerischen Projekten, bei einer Veranstaltung, im erweiterten Freundeskreis usw.

Dann fällt es wahrscheinlich auch ziemlich bald auf, dass ich unsicher gehe und es wird dann auf natürliche Art und Weise zum Thema. Aber ja, ich kann schon nachvollziehen, wenn die MS für jemanden ein Grund ist, sich nicht auf eine Beziehung mit mir einzulassen. Generell bin ich nicht der easy-going Typ. Aber die Erfahrung hat mir gezeigt, dass es keinen Menschen gibt, der nicht irgendwo ein Problem hat und meistens sind die Menschen am anstrengendsten, die von sich denken, dass sie keine Probleme haben.

SHINING PHOENIX - Rise From The Ashes (Official Music Video)