Mehr Lebensqualität mit Yoga

Fachartikel

Die Yogapraxis wurde vor Tausenden von Jahren als ein Verfahren für ein gesundes, glückliches Leben beschrieben. Das Wort «Yoga» bedeutet «zusammenjochen» oder «zusammenfügen» – Körper, Geist und Seele vereinen. Auch MS-Betroffene können mit Yoga zu mehr Lebensqualität finden.

Die Verbindung von Körperhaltungen mit Atem, von Handlung mit Gedanken und von Bewusstsein mit Absicht, kann dem Körper, dem Geist und der Seele Frieden bringen. Yoga enthält Elemente der Entspannung und Achtsamkeit, sowie sanfte Dehnungen und Kräftigung der Muskeln.

Jede Yogastellung ist so angelegt, dass sie die Gelenke, Muskeln, Struktur und Funktion des Körpers unterstützt. Jede Stellung kann in ihrer einfachsten Form abgeändert und in einer Vielzahl von Varianten geübt werden. Ob stehend, auf einem Stuhl oder im Rollstuhl sitzend oder sogar auf dem Boden oder im Bett liegend – Yoga kann überall dort ausgeführt werden, wo man sich zu diesem Zeitpunkt am wohlsten fühlt.

Auch die Visualisierung, bei der man sich die Ausführung der Übungen bildlich vorstellt, während man gleichzeitig bewusst atmet, kann für Menschen mit eingeschränkter Mobilität von Vorteil sein.

Yoga und Multiple Sklerose

Auch bei MS-Betroffenen, für die selbst die einfachsten täglichen Aktivitäten wie Gleichgewicht halten und Gehen schwierig sein können, trägt Yoga dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern. Müdigkeit, Schwäche, Schmerzen und Stimmungsschwankungen sind allesamt Symptome, die durch Yoga verbessert werden können. Es hat sich gezeigt, dass eine regelmässige Yogapraxis bei der Linderung dieser Symptome genauso wirksam ist wie herkömmliche Dehnungs- oder Kräftigungsübungen.

Zusätzlich kann sich diese Praxis nicht nur auf die körperliche, sondern auch auf die emotionale und psychologische Ebene positiv auswirken. Die Steuerung der Atmung, und damit die geistige und körperliche Entspannung, kann auch im Alltag von Menschen mit MS hilfreich sein, zum Beispiel bei MRT-Untersuchungen oder Medikamenteninfusionen.

Studien und wissenschaftliche Belege

Obwohl es keine zahlenmässig grossen Studien zu Yoga und MS gibt, wurden in den letzten Jahren zahlreiche kleinere Studien durchgeführt, die die positive Wirkung dieser Praxis auf bestimmte Symptome belegen.

Forschungen auf der ganzen Welt, von Asien bis Südamerika, über die Vereinigten Staaten und Europa, bestätigen, was Menschen mit MS, die Yoga praktizieren, bezeugen: Yoga verleiht mehr Vitalität, Energie und sowohl körperliche als auch geistige Kraft. So sehr, dass bereits 2014 ein Leitartikel in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Lancet Neurology» zum Schluss kam, dass es für Neurologen definitiv keinen Grund gibt, ihren Patienten, einschliesslich Menschen mit MS, von Yoga abzuraten.

Angehörige profitieren

Auch für Angehörige ist es von grossem Nutzen, Yoga zu praktizieren. Sich Zeit für den eigenen Körper zu nehmen und Strategien für den Stressabbau und für die Entspannung zu üben, ist auch für Angehörige oder den Partner sehr wichtig. Kräftigung und das Erlernen einer korrekten Körperhaltung können bei der Unterstützung von MS-Betroffenen hilfreich sein, unabhängig davon, ob es sich dabei um praktische Tätigkeiten in der Pflege oder um Hausarbeiten handelt.

Gemeinsames Üben kann Spass machen und gibt den Beteiligten ein besseres Bewusstsein für die Bedürfnisse und Fähigkeiten des anderen. Ausserdem lassen sich mit der Unterstützung eines Partners mehr Yogastellungen üben.

Welchen Yogastil soll ich wählen?

Es gibt viele Yogastile: Die einen sind eher kraftvoll, andere wiederum dynamisch oder eher ruhig und meditativ. Es ist daher wichtig, den Stil zu finden, der am besten zu den eigenen Bedürfnissen passt. Idealerweise erkundigt man sich direkt bei Yogalehrerinnen und -lehrern nach dem von ihnen unterrichteten Yogastil und probiert Verschiedenes aus.

Jeder Körper ist anders – in Form, Kraft, Flexibilität, Beweglichkeit, Grösse, Gewicht, Spannung, Energieniveau und Fähigkeit. Yoga ist eine flexible Praxis, die zu jedem Zeitpunkt an all diese Variablen angepasst werden kann. Sie erfordert wenig Ausrüstung und minimalen Platz.

Yoga kann für jeden zugänglich sein, unabhängig davon, wie es um den eigenen Körper bestellt ist. Adaptives Yoga passt die Yogapraxis auf eine sichere, bequeme und sinnvolle Weise an den jeweiligen Körper an. Wenn man beispielsweise die Zehen oder den Arm gerade nicht heben kann, kann man die Yogastellung an die Bedürfnisse und Fähigkeiten dieser Situation anpassen.

Die Fähigkeiten können sich, je nach körperlicher oder mentaler Verfassung, von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde ändern. Wenn man sich dieser Veränderungen bewusst ist, kann man die Stellung immer an den aktuellen Stand anpassen. Eine Übung sollte beendet werden, wenn sie nicht zum Körper und den eigenen Bedürfnissen passt.

Das Ziel der Yogapraxis besteht nicht darin, bestimmte Stellungen einzunehmen, sondern vielmehr darin, Atmung, Haltung, Bewegung und Bewusstsein zu kombinieren, um Entspannung, Körperbewusstsein und weitere Vorteile zu erzielen.

Die passende Lehrperson finden

Es ist wichtig, sich auf zertifizierte Yogalehrpersonen zu verlassen, die in Fitnessstudios, Yogastudios oder privat zu Hause unterrichten. Einen guten Anhaltspunkt, wer qualitative Standards erfüllt, gibt die Website «Yoga Schweiz». Auch Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis können hilfreich sein. Es ist ratsam, immer eine Probelektion zu besuchen, bevor man ein Abo abschliesst.

Hat man eine Entscheidung getroffen, sollte man der Lehrperson erklären, wie man sich fühlt und welche Bedürfnisse man aktuell hat.

Und wenn man das Haus aus gesundheitlichen Gründen nicht verlassen kann, um in eine Yogastunde zu gehen, gibt es Bücher, Videos und Yoga-Streaming-Kurse, um Yoga für sich zuhause zu praktizieren.

Kurse aus dem Angebot der Schweiz. MS-Gesellschaft

Wichtige Tipps:

  • Häufig und über einen längeren Zeitraum üben: Dran bleiben lohnt sich – je öfter man Yoga praktiziert, desto besser wird es sich anfühlen.
  • Mit einfachen Stellungen beginnen und sich langsam an anspruchsvolleren versuchen.
  • Die Übungen können auch im Rollstuhl oder auf einem festen Stuhl mit fester Lehne ausgeführt werden. Um Hilfe bitten, wenn man nicht in der Lage ist, eine Yogastellung allein zu bewältigen, ist selbstverständlich.
  • Eine erste Übung, um anzufangen: Spüren, wo die Schulterblätter auf dem Rücken liegen. Nun die unteren Punkte der Schulterblätter nach unten in Richtung Taille schieben. Spüren, wie sich die Schultern senken und der Brustkorb sich öffnet.
Text: Dr. med. Lutz Achtnichts, Oberarzt Neurologie, Kantonsspital Aarau / Dr. Sportwiss. Jens Bansi (PhD), Leiter Forschung & Entwicklung, Rehazentrum Valens / Dr. med. Lara Diem, Oberärztin mbF, Luzerner Kantonsspital / Dr. med. Dr. sc. nat. Roman Gonzenbach, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Klinik für Neurologie und Neurorehabilitation, Rehazentrum Valens