Transparenz in der Pharmaindustrie: Barbara Züst im Interview

Transparenz in der Pharmaindustrie: Barbara Züst

Bisher war es für Patienten schwierig, herauszufinden, ob ihr Arzt oder ihre Ärztin Geld aus der Pharmaindustrie erhält. Um für mehr Transparenz zu sorgen, haben sich die Pharmafirmen freiwillig verpflichtet, sämtliche Zahlungen online zu veröffentlichen. Im Interview schätzt Patientenschützerin Barbara Züst diese Transparenzinitiative ein und klärt MS-Betroffene über Verbindungen zwischen Pharmaindustrie und Ärzten auf.

Mehr als 50 Pharmafirmen haben Anfang Juli ihre Zahlungen an Ärzte und Organisationen öffentlich gemacht. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn Transparenz schafft Vertrauen und das ist ein guter Anfang. Aber die Pharmafirmen veröffentlichen die Listen jeweils auf ihren eigenen Homepages, das heisst, Patienten müssen jede Website abklappern, wenn sie sich informieren möchten. In den USA gibt es eine landesweite Plattform, da kann man den Namen eines Arztes eingeben und erhält die Liste aller Zahlungen aus der Pharmaindustrie, die an diesen Arzt geflossen sind. Da gibt es also noch Verbesserungspotenzial und ich traue den Pharmafirmen zu, dass sie die Transparenz auf freiwilliger Basis noch verbessern werden.

Wie genau nehmen Pharmafirmen Einfluss auf Ärzte?

Früher war es üblich, einen Arzt einzuladen, zum Beispiel für ein schönes Wochenende in ein 5-Sterne-Hotel, teilweise mit der ganzen Familie. Es ist klar: Nach so einer Geste ist man viel positiver eingestellt und hinterfragt weniger kritisch, möchte sich vielleicht sogar revanchieren – das ist absolut menschlich. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das Entgegennehmen von geldwerten Leistungen die Verschreibungspraxis beeinflusst – man verschreibt bewusst oder unbewusst grosszügiger. Heute wird ein gewisser Unrechtsgehalt zwar besser erkannt, die Ärzte sind sensibilisierter. Doch noch immer gibt es Situationen, in denen Zahlungen nicht als bedenklich wahrgenommen oder als normaler Bestandteil des Einkommens gerechtfertigt werden.

Was sind die Gefahren bei Zahlungen der Pharma-Industrie an Ärzte?

Es ist immer die Frage: Was ist Marketing, was Information und wann geht es darum, das kritische Denken von Ärzten zu beeinflussen. Es ist grundsätzlich immer ein schwieriger Grat zwischen Korruption und Kooperation. Dass Pharmafirmen Geld verdienen wollen ist verständlich, denn es sind privatwirtschaftliche Unternehmen. Diese dürfen und sollen auch Gewinn machen, damit sie wieder investieren können. Man darf sich aber nicht wundern, wenn Informationen dann einseitig dargestellt werden. Am besten, man schaut die Lage realistisch an und denkt selber immer mit.

Gibt es auch Chancen oder Vorteile?

Ärzte und Pharmafirmen sollen auf jeden Fall zusammenarbeiten. Es ist doch so: Wenn ein neues Produkt auf den Markt kommt, dann muss es irgendwie den Weg zum Patienten finden. Ich habe in meinem Bekanntenkreis zum Beispiel ein junges Kind, das Diabetes hat. Da schaue ich mich auch um und wenn ich irgendwo ein neues Pflaster oder eine Hightech-Erfindung sehe, weise ich die Angehörigen darauf hin.

Ab welchem Betrag ist eine Unterstützung aus der Pharmabranche als kritisch zu betrachten?

Sobald teure Aufmerksamkeiten und Geschenke im Spiel sind, zum Beispiel Hotelaufenthalte oder eine teure Flasche Wein und dabei vordergründig überhaupt keine Gegenleistung erbracht werden muss, wird es problematisch. Es gibt keinen fixen Betrag, aber wenn ich etwas einfach so bekomme, dann fängt die Beeinflussung an.

Arbeitet ein Arzt, der keine Zahlungen erhält, besser und eher im Interesse der Patienten?

Jeder Patient ist anders und zwischen Arzt und Patient besteht ein Vertrauensverhältnis. Deshalb kann ich diese Frage nicht so absolut beantworten. Ich glaube aber schon, dass bei jemandem, der sich völlig frei fühlt, die Wahrscheinlichkeit grösser ist, dass er im Interesse des Patienten aufklärt und Therapien empfiehlt. Das heisst aber nicht, dass ein anderer Arzt das überhaupt nicht macht.

Patienten mit chronischen Krankheiten sind ganz besonders auf ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Arzt angewiesen. Müssen MS-Betroffene jetzt besorgt sein, dass ihr behandelnder Arzt ihnen möglicherweise nicht das für sie beste Medikament verschreibt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade chronisch Kranke extrem versiert sind, die kennen sich sehr gut aus und werden relativ schnell zu Experten. Wenn sie merken, dass ein Medikament ihnen nicht hilft oder wenn sie von Bekannten von einem vielleicht besseren Präparat hören, dann recherchieren sie selbständig. Dank ihrer Kompetenz ist die Informationsasymmetrie zum Arzt nicht so gross. Hingegen ist die Gefahr bei denen grösser, die auf dem Gesundheitsmarkt nicht erfahren sind oder im akuten Geschehen keine Zeit haben, um sich mit den Fakten auseinanderzusetzen.

Was würden Sie Betroffenen raten?

Egal, ob man gut informiert oder noch unerfahren ist: Mitdenken lohnt sich immer. Erstens ist es wichtig, Fakten genau nachzulesen oder beim Arzt nachzuhaken, woher beispielsweise eine Information stammt und ob eine bestimmte Studie vertrauenswürdig ist. Dann kann man bewerten: Ist das wirklich etwas für mich? Ausserdem sollte man immer nach Alternativen fragen. Wenn man seinem Arzt vertraut und seine Erklärungen überzeugend sind, dann muss man nicht auf Biegen und Brechen alles hinterfragen und andere Neurologen anfragen. Aber wenn man spürt, dass der Arzt nicht zuhört oder dass seine Ausführungen nicht überzeugend oder vertrauenswürdig sind, dann ist es empfehlenswert, eine Zweitmeinung einzuholen. Wenn man selbst betroffen ist und nicht die Kraft oder die Motivation hat, um sich damit auseinanderzusetzen, ist es hilfreich, wenn man Angehörige einbezieht. Der Partner, die Mutter oder andere Bezugspersonen können dann aufmerksam hinsehen oder hinhören.

Was können Ärzte tun, um der ungünstigen Beeinflussung zu entgehen?

Ärzte werden im Tagesgeschäft oftmals bombardiert und sehr vielen Informationen ausgesetzt. Es ist zum Teil eine Zumutung, sich durch alle Informationen zu wühlen, die zur Verfügung stehen. Aber manchmal lohnt es sich, genauer nachzufragen: Was ist das genau? Woher stammt die Information? Worauf gründet die Empfehlung? Gerade bei einem Standardprodukt ist es wichtig, dass Ärzte genauer hinschauen und sich nicht blenden lassen, auch nicht von Statistiken. Eine Hilfe kann die Cochrane Collaboration sein. Das ist DIE europäische Institution von unabhängigen Forschern. In der Schweiz gibt es ausserdem «pharmakritik» von Infomed. In diese Plattformen setze auch ich mein Vertrauen, weil die Macher nicht selber an den Produkten verdienen.


Barbara Züst ist ausgebildete Pflegefachfrau und Juristin. Sie setzt sich als Co-Geschäftsleiterin der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz für die Rechte der Patientinnen und Patienten und für Qualität im Gesundheitswesen.