Therapie hoch zu Ross: Wie der Haflingerwallach «Silver» MS-Betroffenen hilft.

Die Hippotherapie K® – eine Art Physiotherapie mit Hilfe eines Pferdes – ist eine anerkannte medizinische Behandlungsmassnahme bei MS-Symptomen. Die Reittherapeutin Karin Scherzinger erzählt, wie die Therapiepferde auf ihre Aufgabe vorbereitet werden und gibt auch einige überraschende Eigenheiten über ihren Schützling, den Haflingerwallach Silver, preis, den die Schweiz. MS-Gesellschaft mit 15’000 Franken mitfinanziert hat.

Silver würde auch auf dem Laufsteg eine gute Falle machen. Mit seiner hellen Mähne und den seitlichen Fransen scheint er direkt vom Starcoiffeur zu kommen. Das hellbraune Fell schimmert warm, der stolze Wallach versprüht viel Kraft. Schon sein Anblick macht Lust auf Bewegung. Das isländische Kleinpferd wird seit zwei Jahren bei der Hippotherapie eingesetzt.

Eine Person, die Silver gut kennt, ist Karin Scherzinger. Sie ist im Hippotherapiezentrum Binningen als Reitpädagogin tätig und für die Betreuung sowie Ausbildung der Pferde verantwortlich. 2019 hat sie Silver gekauft. Die Schweiz. MS-Gesellschaft hat 15’000 Franken mitfinanziert. «Silver ist sensibel, höflich und überaus freundlich», beschreibt Karin den 13-Jährigen. Zudem bringt er mit seinem kräftigen, aber nicht zu grossen Körperbau die eng gesteckten physiologischen Merkmale eines Therapiepferdes mit. Täglich zwei Stunden unterstützt der friedvolle Wallach MS-Betroffene dabei, ihre Bewegungsfähigkeit zu trainieren und lässt dabei viel Nähe zu.

Im Viergespann unterwegs

Wie funktioniert eine Therapie auf dem Pferd? Die Methode nennt sich Hippotherapie K® und ist eine anerkannte medizinische Behandlungsmassnahme, die auch bei MS-Betroffenen eingesetzt wird. Eine Betroffene beschreibt es so: «Wir laufen, aber ohne unsere Beine, danach sind wir wieder eingemittet.» Die dreidimensionalen Bewegungen des Pferds werden auf das Becken der reitenden Person übertragen, was bei Spastik im Rumpf- und Beckenbereich einen positiven Effekt zeigt und auch bei Gleichgewichtsproblemen hilft. Während der von MS betroffene Mensch in der halbstündigen Therapie auf dem Pferd sitzt, führt eine Person das Pferd und eine Therapeutin geht nebenher, überwacht und optimiert mit kleinen Anpassungen die Bewegungsübertragung.

Für Silver war die Situation gewöhnungsbedürftig. Als er aus Deutschland ins Therapiezentrum Binningen emigrierte, musste er sich trotz stoischer Grunddisposition und seiner Erfahrung im Verkehr an den Trubel gewöhnen. «Hier gehen viele Menschen ein und aus, die Pferde sind immer wieder mit anderen Personen konfrontiert», schaut Karin auf die erste Zeit zurück. Auch waren ihm seine Artgenossen zu grob. Sich in der Herde durchzusetzen, empfand der Wallach mit feinem Gespür als stressig.

Mittlerweile hat Silver seinen Platz in der Gruppe gefunden. Auch weil man auf seine Bedürfnisse einging und dem Eigenbrötler einen eigenen offenen Stall im Stall gewährte. Ordnungsliebend und gut organisiert wie er ist, hält er sein stolzes, kleines Reich stets sauber und freut sich über jedes Lob, das man für ihn übrig hat.

Training für die Pferde

In der Ausbildung zum Therapiepferd müssen die Pferde erst lernen, an der Aufstiegsrampe stillzustehen, auf dem Platz ruhig zu gehen und auf Hilfen zu reagieren, ohne überzureagieren. «Wir werfen aber auch Bälle und Jacken hin und her, lassen Regenmäntel herumflattern und Dinge zu Boden fallen», beschreibt die Pferdetherapeutin den actiongeladenen Teil der Arbeit. Damit soll erreicht werden, dass die Pferde so viel Vertrauen erlangen, dass sie nicht ihrer Natur Folge leisten. Als Fluchttiere würden sie bei einem Schreck einen Satz nach vorne machen oder davonspringen. Und wie erlebt es die Gegenseite? Die MS-betroffene Franziska besucht einmal wöchentlich die Hippotherapie, die sie in ihrem Blogeintrag mit einer kleinen Auszeit im Alltag vergleicht. Die soziale Interaktion mit dem Tier und den anwesenden Personen schätzt sie sehr. Neben den funktionellen Verbesserungen betont sie vor allem den mentalen Aspekt. «Ich bin proaktiv, geniesse die Ruhe, die guten Gefühle und die Natur.»

Dieser holistische Ansatz erklärt wohl auch, warum selbst Geräte, welche die Pferdebewegungen inzwischen perfekt simulieren, nicht denselben Effekt haben. Auf dem Pferd die Seele zu durchlüften hat einen nicht direkt messbaren, aber unschätzbaren Wert.

Text: Esther Grosjean