Mehr Lebensqualität mit Radsport

Fachartikel

Ausdauersportarten wie Velofahren können für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) in vielerlei Hinsicht von Vorteil sein. Die Forschung hat gezeigt, dass regelmässige Bewegung helfen kann, MS-Symptome wie Fatigue, Depressionen und kognitive Beeinträchtigungen zu bewältigen und die allgemeine Fitness und Lebensqualität zu steigern.

Die Verbesserung der Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems, die Erhöhung der Ausdauer und die Stärkung der Muskeln – Ausdauersportarten wie Velofahren können für Menschen mit MS besonders vorteilhaft sein. Zudem kann regelmässiger Ausdauersport dazu beitragen, die Knochendichte zu erhalten, was für MS-Betroffene, die einem Risiko für Osteoporose ausgesetzt sind, von Bedeutung sein kann.

Schonende und erfüllende Art der Bewegung

Velofahren kann für Menschen mit MS eine erfüllende Form der Bewegung sein, da es sich nicht immer wie Sport anfühlen muss – oder anders gesagt, von der Plauschfahrt bis zu sportlichen Herausforderungen wie einer Passfahrt ist alles möglich. Die sportliche Betätigung im Velosattel ist zudem eine schonende Form der Bewegung, die an die Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Einzelnen angepasst werden kann.

Studien haben gezeigt, dass Velofahren die kardiovaskuläre (Herz-/Kreislauf-) Fitness, die Muskelkraft, Ausdauer, das Gleichgewicht und die allgemeine Lebensqualität von Menschen mit MS verbessern kann. Ausdauer und die kardiovaskuläre Fitness sind für Menschen mit MS, die unter Fatigue und/oder eingeschränkter körperlicher Funktion leiden, wichtig. Muskelkraft und ein gutes Gleichgewicht tragen dazu bei, das Sturzrisiko zu verringern und die allgemeine Mobilität zu steigern. Radsport kann auch Spassfaktor und soziale Aktivität sein, die die Stimmung und die allgemeine Lebensqualität verbessert.

Bevor Menschen mit MS mit dem Training auf dem Velo beginnen, ist es wichtig, dass sie ihren behandelnden Arzt oder qualifizierte Physio- oder Sporttherapeutin konsultieren, um ein Programm zu erstellen, das speziell auf ihre individuellen Bedürfnisse, Vorlieben und Herausforderungen zugeschnitten ist.

Mögliche Herausforderungen und Lösungen

Velofahrerinnen und -fahrer mit MS stossen allenfalls auf verschiedene Schwierigkeiten, die sich auf die Leistung und Freude an der Aktivität insgesamt auswirken können. Für solche Einschränkungen gibt es jedoch technische Lösungen in Form von Anpassungen und Spezialvelos. Hier einige Beispiele:

Fatigue

Fatigue kann es schwierig machen, die für das Radfahren erforderliche Energie und Ausdauer aufrechtzuerhalten.
-> Eine Motorunterstützung kann bei motorischer Fatigue oder fehlender Muskelkraft helfen.

Gleichgewichtsprobleme

MS kann das Gleichgewicht und die Koordination beeinträchtigen, die nötig sind, um beim Radfahren die richtige Form und Technik beizubehalten und Stürzen vorzubeugen.
-> Ein Dreirad oder ein Trike (Liegerad) kann Abhilfe schaffen. Diese gibt es in Trekking-, Mountainbike- oder sogar rennveloartigen Ausführungen.

Muskelschwäche

MS kann zu Muskelschwäche führen, insbesondere in den Beinen, weshalb es herausfordernd sein kann, beim Radfahren die nötige Kraft und Geschwindigkeit aufzubringen.
-> Eine gute Option bei Muskelschwäche in den Beinen sind Handbikes, also Fahrräder, bei denen mit den Armen, anstatt mit den Beinen, in die Pedale getreten wird.

Taubheitsgefühl und Kribbeln

MS kann Taubheitsgefühle und Kribbeln in verschiedenen Körperteilen verursachen, auch in den Händen und Füssen. Dies kann es schwierig machen, den Lenker oder die Pedale bequem zu halten.
-> Handbikes (siehe oben) sind auch bei Taubheit in den Füssen optimal. Bei Schwierigkeiten, die Füsse beim Treten in Position zu halten, können magnetische Pedale helfen. Auch für Taubheitsgefühle oder verminderte Kraft in den Händen gibt es technische Möglichkeiten.

Hitzeempfindlichkeit

MS kann zu einer erhöhten Wärmeempfindlichkeit führen, was bei warmem Wetter beim Radfahren im Freien problematisch sein kann.
-> Hier empfiehlt sich das Ausweichen auf die frühen Morgenstunden oder das Tragen einer Sportkühlweste, wie sie sogar von einigen Profiveloteams benutzt wird.

Sehstörungen

MS kann das Sehvermögen beeinträchtigen, einschliesslich verschwommenem oder doppeltem Sehen, was das Navigieren beim Radfahren erschweren kann.
-> Bei Sehstörungen lässt sich die Ausfahrt im Team auf einem Tandem oder einem Tandemdreirad geniessen. Das Tandemdreirad ist auch eine gute technische Lösung, wenn Kombinationen von Beeinträchtigungen vorliegen. Sollte man keinen Partner haben, kann man sich bei Verbänden für Blinde und Sehbehinderte nach solchen Sportangeboten erkundigen.

Ganz egal, ob man ein herkömmliches Velo oder ein Spezialvelo benutzt, wichtig für unbeschwerte Ausfahrten ist es, das Velo individuell anzupassen und ein Bike-Fitting durchzuführen. Bei einem Bike-Fitting werden Sitzhöhe, Lenker und der Sattel individuell angepasst. Die meisten grösseren Velohändler bieten einen solchen Service.

Tipps für die Freude am Radsport

Wer mit Radsport anfangen möchte, sollte darauf achten, wie der Körper auf das Radtraining reagiert, und das Programm bei Bedarf anpassen. Wenn man zunehmende Müdigkeit, Gleichgewichtsstörungen oder andere Symptome verspürt, sollten die Intensität oder Dauer der Fahrten reduziert werden.

Egal ob man hohe Ziele anpeilt – wie zum Beispiel Andreas Beseler, der 1992 die MS-Diagnose erhielt, 1996 mit dem Rennvelotraining begann und dann erfolgreich an mehreren Velomarathons und Veloultramarathons teilnahm – oder als Hobbysportler die Freiheit auf dem Velo geniessen möchte, sollte man ein paar Tipps beherzigen:

  • Vor Beginn mit einem Trainingsprogramm mit Ihrem behandelnden Arzt über mögliche Einschränkungen und Empfehlungen sprechen.
  • Darauf achten, regelmässig Pausen einzulegen und die Energie zu managen, um Überanstrengung zu vermeiden.
  • Aktivitäten an die Symptome anpassen und gegebenenfalls professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen.
  • Fortschritte verfolgen und das Trainingsprogramm entsprechend anpassen.

Diese Empfehlungen sollen MS-Betroffenen dabei helfen, ein sicheres und effektives Trainingsprogramm zu entwickeln und umzusetzen.

Praxistipps für Freude am Radsport

Aller Anfang ist schwer! Es kann herausfordernd sein, Sport und Bewegung in den Alltag einzubauen und auch dabei zu bleiben. Hier sind konkrete Praxistipps, die helfen können, sich selbst zu motivieren und dranzubleiben:

  • Sich klare, erreichbare Ziele setzen, die realistisch sind und den Lebensstil und die eigenen Fähigkeiten berücksichtigen. Zum Beispiel dreimal pro Woche für 30 Minuten Velo zu fahren.
  • Festlegen, welche körperlichen Aktivitäten man in der kommenden Woche durchführen möchte und dies im Kalender einplanen. Wenn man sich auf eine bestimmte Aktivität vorbereitet und darauf hinarbeitet, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass man dranbleibt.
  • Jemanden finden, mit dem man zusammen trainieren kann. Ein Trainingspartner kann für soziale Interaktion sorgen und helfen, motiviert zu bleiben. Wenn man keine Trainingspartnerin oder keinen Trainingspartner hat, kann man sich einem Fitness- oder Sportkurs anschliessen.
  • Sport und Bewegung in den Alltag integrieren, indem man dies zu einem Teil der Routine macht, zum Beispiel den Weg zur Arbeit mit dem Velo zu fahren.
  • Sich selbst belohnen, wenn man seine Ziele erreicht hat. Dies kann dazu beitragen, die Motivation aufrechtzuerhalten. Nach einem erfolgreichen Training kann man sich beispielsweise eine Massage oder einen gesunden Smoothie gönnen.

Durch die Umsetzung dieser Tipps kann man sich selbst motivieren und sicherstellen, dass Sport und Bewegung ein fester Bestandteil des eigenen Alltags werden.

Text: Dr. med. Lutz Achtnichts, Oberarzt Neurologie, Kantonsspital Aarau / Dr. Sportwiss. Jens Bansi (PhD), Leiter Forschung & Entwicklung, Rehazentrum Valens / Dr. med. Lara Diem, Oberärztin mbF, Luzerner Kantonsspital / Dr. med. Dr. sc. nat. Roman Gonzenbach, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Klinik für Neurologie und Neurorehabilitation, Rehazentrum Valens