«NEDA», was heisst das für MS-Betroffene?

Fachartikel

Wenn ein Patient über einen bestimmten Zeitraum hinweg keine MS-Schübe hat, der Behinderungsgrad stabil bleibt und die MRT-Untersuchungen keine neuen oder vergrösserten Läsionen im Gehirn zeigen, so hat dieser Patient «NEDA» erreicht. 

NEDA ist ein Kurzwort für «No Evidence of Disease Activity» (keine Evidenz für eine Krankheitsaktivität). Es dient als einfacher «Ja/Nein»-Endpunkt in klinischen Studien, die untersuchen, ob ein neues Medikament den Anteil der Patienten mit NEDA im Vergleich zu einem bereits verfügbaren Medikament erhöht.

In der Vergangenheit konzentrierte sich die Behandlung von Menschen mit schubförmiger MS ausschließlich auf die Verringerung der Anzahl Rückfälle. Heute verwenden Neurologen drei Hauptmessgrössen zur Beurteilung des Krankheitsverlaufs bei MS: Häufigkeit der Schübe, körperliche Behinderung und Biomarker (unter anderem aus MRT-Untersuchungen des Gehirns). Diese Messgrössen werden in allen klinischen Studien bei MS als spezifische Endpunkte verwendet, die statistisch ausgewertet werden.

Krankheitsschübe

Die Häufigkeit der Krankheitsschübe ist ein wichtiger Endpunkt, denn sie sagt etwas darüber aus, wie die Betroffenen die Symptomschwankungen erleben, die für schubförmige MS charakteristisch sind. In vielen klinischen Studien ist die Schubhäufigkeit, die als «annualisierte» Schubrate gemessen wird, ein primärer Endpunkt. Bei progredienter MS, die nicht durch häufige Schübe gekennzeichnet ist, werden andere Endpunkte verwendet.

Körperliche Behinderung

Die körperliche Behinderung ist eine wichtige Messgrösse, weil bei MS funktionelle Behinderungen mit der Zeit zunehmen. Die körperliche Untersuchung durch einen Neurologen ist nach wie vor der Standard zur Messung der Behinderung und liegt in der Fachkompetenz der Neurologie. Mit visuellen, akustischen und haptischen Tests wird geprüft, welche Defizite die MS-Betroffenen in den Bereichen Kognition, Sehvermögen, Muskelkraft, Koordination, Empfindlichkeit, Gehvermögen und Beweglichkeit aufweisen. Um MS-Betroffene miteinander (oder mit sich selbst zu verschiedenen Zeitpunkten) zu vergleichen, wurden Methoden entwickelt, bei denen Symptome in einem Zahlensystem erfasst und dann zu einem einzigen Score zusammengefasst werden. Am häufigsten wird die neurologische Untersuchung «Expanded Disability Status Scale» (EDSS)als Endpunkt in klinischen Studien zu MS eingesetzt. Letztlich soll dies dazu führen, dass neue Medikamente entwickelt werden, die den Grad der Behinderung stabilisieren oder sogar verringern.

Biomarker

Anfang der 1980er Jahre kam ein neues diagnostisches Verfahren auf: MRT-Untersuchungen des Gehirns (Magnetresonanztomographie). Zum ersten Mal konnten Entzündungsherde im Hirn erkannt und durch Vergleiche mit älteren Aufnahmen festgestellt werden, ob neue Läsionen aufgetreten waren. Arzneimittelzulassungsbehörden bevorzugen bei der Beurteilung neuer Medikamente jedoch klinische Messgrössen, die sich eher auf die Symptome der MS-Betroffenen beziehen, wie MS-Schübe und Grad der Behinderung. Dennoch ist die MRT ein wertvolles Werkzeug sowohl in klinischen Studien als auch in der täglichen Praxis. Die MRT kann die MS-Krankheitsaktivität im Gehirn nachweisen, unabhängig davon, ob diese Aktivität unmittelbar zu körperlichen, kognitiven oder visuellen Symptomen bei der betroffenen Person führt.

Kombinierte Messgrössen

Es gibt keine einzelne Messgrösse, die das gesamte Krankheitsbild von MS erfasst, wohl aber zahlreiche Tests und Messgrössen, die einzelne Symptome messen oder auch als Kombination eingesetzt werden können. Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse über die biologischen Ursachen der Erkrankung und ihrer Therapie entwickeln Forscher neue Verfahren, die Schubraten, Behinderungsgrad und Biomarker gleichermassen einschliessen, neuerdings auch mittels der sogenannten «PRO» (Patient Reported Outcomes). Ein Beispiel für die Kombination von Messgrössen bei MS ist die eingangs aufgeführte NEDA.

Kriterien für NEDA?

Obwohl NEDA als Konzept bis heute noch keinen Eingang in die offiziellen Behandlungsleitlinien von ECTRIMS & EAN gefunden hat, scheinen sich die Befürworter auf folgende fünf Kriterien geeinigt zu haben, die alle erfüllt sein müssen, um einer MS-betroffenen Person Freiheit von messbarer Krankheitsaktivität zu attestieren:

  1. Schubfreiheit
  2. Keine neuen Herde in der konventionellen MRT
  3. Keine Behinderungsprogression
  4. Keine Zunahme der Hirnatrophie
  5. Keine Zunahme kognitiver Leistungseinbussen

Praktische Konsequenzen für Betroffene bei Ausrichtung der Therapie an NEDA

NEDA als Therapieziel führt für Betroffene dazu, dass jedes Mal, wenn eines der oben genannten Kriterien nicht erfüllt ist, ein Therapiewechsel ansteht, und zwar möglichst frühzeitig auf eine höhere Eskalationsstufe. In Zusammenschau mit der gegenwärtig ebenfalls als Standard präsentierten Frühtherapie resultiert aus diesem Vorgehen für jeden MS-Betroffenen mit schubförmig-remittierendem Verlauf eine Dauerimmuntherapie direkt ab der Erstmanifestation der Erkrankung, mit sofortiger Eskalation beim nächsten messbaren Krankheitsereignis, und von da an gegebenenfalls häufigen Therapiewechseln zu anderen Medikamenten für den (hoch-)aktiven Verlauf.

Da auch stumme Herde in der MRT unter «messbare Krankheitsaktivität» fallen, kann es durchaus passieren, dass Betroffenen, die sich klinisch vollkommen wohl fühlen, aber zur Bildung stummer MRT-Herde neigen, ein aktiver Krankheitsverlauf attestiert wird. Daraufhin bekommen sie hintereinander verschiedene Medikamente verordnet, müssen sich häufigen MRT- und Laborkontrollen unterziehen, erhalten möglicherweise weitere Therapien zur Vermeidung oder Behandlung von Nebenwirkungen der Dauerimmuntherapien.

Natürlich müssten jetzt auch die gestiegene Wirksamkeit der neuesten Therapien in eine aktuelle Bewertung des NEDA Konzepts einfliessen, um Wissenschaft und Betroffenensicht zu einem sinnvollen und aktuellen Gesamtbild zusammenzubringen.

Diverse Quellen:
Publikationsdaten Originale: 2012- 2018