Mundgesund

Fachartikel

Wird die Diagnose Multiple Sklerose gestellt, steht in der Regel ein Zahnarztbesuch nicht zu oberst auf der Prioritätenliste. Andere wichtige Abklärungen und Arzttermine stehen an. Doch gerade dies ist der Zeitpunkt, auch an die Mundgesundheit zu denken und vorzusorgen.

Erkrankungen in der Mundhöhle – was gilt es zu vermeiden?

Die häufigsten Erkrankungen der Mundhöhle sind Karies, das sogenannte «Loch» im Zahn, Zahnfleischerkrankungen wie Parodontitis und Mundschleimhauterkrankungen. Zu Letzteren zählen die klassische «Druckstelle», Pilzinfektionen oder bösartige Tumore.

Karies wird durch Bakterien der Mundhöhle verursacht und entsteht, wenn Bakterien vergärbare Kohlenhydrate, also Zucker aus Nahrung und Getränken, abbauen. Die dabei entstehende organische Säure greift den Zahnschmelz als äusserste Schicht des Zahnes an und löst Mineralien aus dem Fasergerüst im Schmelzgefüge heraus. Die verbleibenden Fasern fallen in sich zusammen und es bildet sich ein «Loch» im Zahn. Je weiter dieser Prozess in das Zahninnere fortschreitet, desto eher wird das Dentin betroffen. Dabei handelt es sich um Zahngewebe, das Nervenausläufer enthält: Schmerzen oder ein «Ziehen» beim Essen von Süssigkeiten, kalten oder warmen Speisen können erste Warnzeichen sein.

Unbehandelt kann es zu einer Mitbeteiligung der Pulpa und schliesslich zu einem Absterben des darin enthaltenen Pulpagewebes kommen. Bei der Pulpa handelt es sich um den Hohlraum im Zahninneren mit Nerven, Blutgefässen und Bindegewebe. In der Regel sind dabei starke Zahnschmerzen zu spüren. Eine entzündete Pulpa kann sich über die Öffnung an der Wurzelspitze in den umliegenden Knochen ausbreiten. In diesem Fall spricht man von einer apikalen Parodontitis. Erfolgt dieser Prozess sehr schnell, breitet sich der Eiter entlang des geringsten Widerstandes bis in die Weichteile aus. Eine Schwellung im Mund an den äusseren Weichteilen wird sichtbar (Abszess). Ein solches Krankheitsbild bedarf sofortiger zahnärztlicher Behandlung. Breitet sich die Entzündung hingegen langsam aus, kann sich ein Fistelgang durch den Knochen bilden, welcher ein periodisches Entleeren des Eiters ermöglicht. Sichtbar wird dies beispielsweise durch einen wiederkehrenden Eitersack. Fisteln oder chronische Entzündungen können auch symptomlos vorhanden sein. Bei reduzierter Abwehrlage ist ein (Wieder-) Aufflammen möglich. Dies stellt einen chronischen Reiz für die körpereigene Abwehr dar.

Gingivitis und Parodontitis

Die häufigsten Entzündungen an Zahnfleisch und Zahnhalteapparat sind die Gingivitis und die Parodontitis. Beide Krankheitsbilder werden durch Anlagerung von Bakterien, sprich durch Bakterienbeläge/Plaque hervorgerufen. Bei der Gingivitis ist die entzündliche Reaktion auf den Zahnfleischrand begrenzt und der Zustand ist innert kürzester Zeit bei Wiederaufnahme einer sorgfältigen Zahnreinigung reversibel. Ein Symptom ist vermehrtes Zahnfleischbluten bei der Zahnreinigung. Unbehandelt kann die lokale Entzündung tieferliegende Strukturen miteinbeziehen: Es kommt zu einem entzündlichen Abbau von Knochen und des zahnhaltenden Faserapparates – im schlimmsten Fall bis zur Wurzelspitze oder darüber hinaus. Anzeichen für eine Parodontitis können «bewegliche Zähne» (Zahnlockerung/-wanderung), Zahnlückenbildung oder Zahnverlust, aber auch Mundgeruch sein. Schmerzen sind nur selten vorhanden, daher wird die Erkrankung meist spät erkannt.

Erkrankungen oder Medikamente mit Einfluss auf das Immunsystem oder die Kapillardurchblutung sind Cofaktoren, die zum Beispiel den parodontalen Abbau bei Diabetes beschleunigen. Die Meinung, dass Parodontitis durch eine Erkrankung wie zum Beispiel MS oder durch das Älterwerden entstehen kann, ist somit falsch. Die dritte Gruppe oraler Erkrankungen, die Mundschleimhauterkrankungen, können ein ganzes Leben lang entstehen. Das Erscheinungsbild ist sehr unterschiedlich. Es kann rötlich oder weisslich sein und ist meist schmerzlos. Eine Diagnostik durch den Laien ist daher schwierig. Aufgrund des gehäuften Auftretens von Schleimhautveränderungen bei Abwehrschwäche und Immunsuppression (z. B. präkanzeröse Veränderungen, Pilzerkrankungen) ist auf die regelmässige Kontrolle der Mundschleimhäute zu achten.

Frühzeitige Abklärung – was kann ich tun?

Um Karies und Parodontitis zu vermeiden, ist vor allem auf die Reduktion der Bakterien zu achten. Dafür empfehlen sich insbesondere sorgfältiges Zähneputzen und professionelle Zahnreinigungen. Andererseits sollte man zur Kariesvermeidung vor allem die Verfügbarkeit von Zucker reduzieren und beispielsweise auf die Snacks «zwischendurch» verzichten. Hingegen ist der Verzehr zahnfreundlicher Lebensmittel wie zuckerfreie Bonbons und zahnschützender Präparate zu empfehlen.

Höherdosierte Fluoridpräparate dienen der Fluoridierung der Zähne. Ist einer dieser Faktoren nicht anwendbar oder beeinflussbar, muss mindestens ein anderer Faktor besser berücksichtigt werden. Idealerweise steht spätestens bei der Diagnosestellung «Multiple Sklerose» der Besuch bei einem Zahnarzt an. Ein Befund und ergänzende Röntgenbilder wie beispielsweise ein Übersichtsröntgenbild beschreiben den Ist-Zustand. Zu diesem Zeitpunkt ist die Belastbarkeit für eine zahnmedizinische Behandlung noch gegeben: Eine Behandlung kann in der Regel ohne grösseren Aufwand und mit aktiver Mitarbeit der Patienten durchgeführt werden.

Nach dieser ersten Wiederherstellung der Mundgesundheit wird das Resultat im Rahmen von regelmässigen Nachsorgeuntersuchungen und individuellen Prophylaxesitzungen erhalten. Während der Sitzungen wird ein individueller Mundpflegeplan erstellt und die Mund- sowie Prothesenpflegehilfsmittel werden erläutert. Im weiteren Verlauf der Erkrankung ist die rechtzeitige Übergabe der Mund- und Prothesenpflege an sogenannte «Drittputzer» nicht zu verpassen. Wenn die selbständige Mundpflege nicht mehr eine sichere Bakterienreduktion ermöglicht, ist es an der Zeit, die Pflegehilfsmittel an das erhöhte Erkrankungsrisiko anzupassen, die Fremdputzer über die Mundpflege zu instruieren und häufigere Zahnreinigungen einzuplanen.

Was kann mein Umfeld tun?

Um die Mundpflege so lange wie möglich selbständig durchzuführen, stehen zusätzlich zu einer Schallzahnbürste und einer Zahnpasta mit niedrigem Abrasionswert weitere Hilfsmittel zur Verfügung: Je nach Bedarf können sogenannte Dreikopfzahnbürsten, individuell angepasste Zahnbürsten (Entwicklung zusammen mit der Physio- oder Ergotherapie), Interdentalraumbürsten mit speziell geformten Griffen, Zahnpasten oder Fluoridgels zur Intensiv-Kariesprophylaxe oder antiseptische Produkte (z. B. Chlorhexidin als Gel oder Spülung) angewen det werden. Aber auch spezielle Mundstützen zur Erleichterung der Mundöffnung bei der Mundpflege oder Pumpfläschchen zur Produkteapplikation werden eingesetzt.

Immer mehr Zahnarztpraxen sind barrierefrei ausgestaltet und deshalb gut zugänglich. Dieser Aspekt ist bei der Wahl des Zahnarztes nicht zu unterschätzen, denn Unterbrüche in der zahnärztlichen Versorgung (z. B. bei abnehmender Mobilität) sind möglichst zu vermeiden. So empfiehlt sich auch bei der Organisation der Praxisbesuche möglichst frühzeitig das Umfeld miteinzubeziehen. Besonders Pflegeeinrichtungen arbeiten zunehmend mit mobilen Zahnärzten zusammen und ermöglichen es, die Prophylaxe und anstehende Behandlungen im Rollstuhl oder zuhause am Bett durchzuführen. Es lohnt sich, bei der Pflegeeinrichtung nach einem mobilen Zahnarzt zu fragen.

Text: Dr. Angela Stillhart, Zahnärztin und Einsatzleiterin der mobilen Zahnklinik mobiDent™ an der Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin, Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich.