MS und Schwangerschaft

Fachartikel

Das Thema Schwangerschaft bei Frauen mit MS war ein wichtiger Programmpunkt des «MS State of the Art Symposium» 2024. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, eine Schwangerschaft im Voraus zu planen, damit frühzeitig eine angemessene Basismedikation ausgewählt oder angepasst werden kann, wie Prof. Dr. med. Caroline Pot erklärte.

Frauen mit MS erkranken oft in einem Alter, in dem sie eine Familie gründen könnten. Früher wurde betroffenen Frauen noch davon abgeraten, schwanger zu werden. Einerseits hatte man die Befürchtung, dass die MS-Medikamente dem ungeborenen Kind schaden könnten, andererseits wollte man die Behandlung nicht absetzen und damit riskieren, dass sich die Krankheit der Mutter verschlimmert. Heute weiss man, dass eine Schwangerschaft nicht zu einer Verschlimmerung der MS führt. Im Gegenteil: Vor allem in den letzten drei Schwangerschaftsmonaten nimmt die Schubrate ab. «Allerdings können die Schübe nach der Geburt häufiger auftreten», erklärte Prof. Pot (Universitätsspital Lausanne) in ihrem Referat. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass das Risiko für ein Fortschreiten der Krankheit sinkt, wenn man mehrere Kinder hat. «Es gibt also heute keinen Grund mehr, Frauen mit MS vom Kinderkriegen abzuraten», betonte sie.

Frühzeitige Behandlungswahl

Wie Prof. Pot weiter erläuterte, ist es am besten, das Thema Familienplanung bei Frauen mit MS bereits bei der Wahl der ersten Verlaufstherapie anzusprechen. «Wenn eine Schwangerschaft erst in einigen Jahren geplant ist, kann eine Induktionstherapie wie beispielsweise eine Behandlung mit Cladribin in Betracht gezogen werden, da diese Therapie nach zwei Jahren abgeschlossen ist. Auch Behandlungen mit monoklonalen Antikörpern sind möglich. Gemäss den Empfehlungen internationaler Expertinnen und Experten kann Natalizumab während der Schwangerschaft mit einem verlängerten Dosierungsintervall von 6 bis 8 Wochen verabreicht werden, wobei die letzte Infusion zwischen der 30. und 34. Schwangerschaftswoche erfolgt. Bei Ocrelizumab wird empfohlen, zwischen der letzten Infusion und dem Empfängniszeitpunkt einen Abstand von zwei Monaten einzuhalten», erklärte Prof. Pot. Einige orale Behandlungen wie Dimethylfumarat können bis zum positiven Schwangerschaftstest fortgesetzt werden.
Hingegen dürfen Substanzen wie Teriflunomid oder S1P-Modulatoren (Fingolimod, Siponimod, Ozanimod, Ponesimod) während der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden und müssen vor einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden. «Wenn jedoch bestimmte Behandlungen wegen einer geplanten Schwangerschaft abgebrochen werden, insbesondere die S1P-Modulatoren, besteht die Gefahr eines «Rebound-Schubs», also eines Schubs nach dem Therapieabbruch», erklärte die Referentin weiter. Aus diesem Grund ist es ratsam, auf eine andere Behandlung umzusteigen, wenn in den nächsten Monaten eine Schwangerschaft geplant ist, zum Beispiel auf monoklonale Antikörper (Ocrelizumab oder Natalizumab).

Empfehlungen der Expertinnen und Experten

Derzeit hat sich eine Gruppe von Schweizer Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen, darunter Prof. Pot, intensiv mit der Behandlung von MS in der Schwangerschaft und Stillzeit auseinandergesetzt. Die Gruppe hat gemeinsam Behandlungsempfehlungen erarbeitet, die demnächst in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden. 
Einige Mitglieder dieser Gruppe nahmen nach der Präsentation von Professor Pot an einer Podiumsdiskussion teil. Dazu gehörten die beiden Neurologen Prof. Dr. med. Andrew Chan und Dr. med. Michael Graber (Inselspital Bern), die Pharmakologin Prof. Dr. phil. Alice Panchaud (Universitätsspital Lausanne und Universität Bern) und der Gynäkologe Prof. Dr. med. Daniel Surbek (Inselspital Bern). Letzterer wies darauf hin, dass die Risiken während Schwangerschaft und Geburt bei Frauen mit MS zwar höher sind als bei der Allgemeinbevölkerung, aber dennoch auf einem tiefen Niveau liegen. Angesichts der Tatsache, dass zwischen 2015 und 2019 von 115’000 Schwangerschaften in der Schweiz 39’100 nicht geplant waren, wies er darauf hin, dass Frauen mit MS seiner Meinung nach sehr zuverlässig in Sachen Empfängnisverhütung sind. 
Die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion forderten, dass alle Beteiligten, auch die Pharmaindustrie, weiterhin intensiv Daten über die Auswirkungen verschiedener MS-Therapien auf den Schwangerschaftsverlauf sammeln und für Auswertungen zugänglich machen. Auch sehr wichtig ist es, die Auswirkungen verschiedener MS-Therapien auf die langfristige psychische und körperliche Entwicklung von Kindern von Frauen mit MS zu überwachen und zu ermitteln.

«MS State of the Art Symposium»

Das «MS State of the Art Symposium» ist der schweizweit grösste Fachkongress zum Thema Multiple Sklerose, organisiert von der Schweizerischen MS-Gesellschaft und ihrem Medizinisch-wissenschaftlichen Beirat. Im Jahr 2024 fand der Kongress am 27. Januar im KKL Luzern statt.

MS State of the Art Symposium 2024