Impfungen und Multiple Sklerose

Fachartikel

Impfungen sind die wirksamsten vorbeugenden Massnahmen der Medizin. Es besteht jedoch immer wieder Verunsicherung darüber, ob die Stimulation des Immunsystems im Rahmen von Impfungen Schübe oder eine Verschlechterung bestehender Symptome auslösen kann. Einige Impfungen wurden daher speziell auf ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit bei MS untersucht.

Standardimpfungen zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten sind prinzipiell auch bei Multipler Sklerose (MS) zu empfehlen. Es gilt jedoch, einige Besonderheiten zu beachten. Daher sollte die Entscheidung für oder gegen eine Impfung in Absprache mit der ärztlichen Fachperson getroffen werden. Als Richtlinie gelten die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen. Bei Reiseimpfungen sind zudem die Empfehlungen des Tropeninstituts zu beachten. Impfungen mit Totimpfstoffen (inaktivierte Krankheitserreger) werden als sicher eingestuft und sind auch unter immunodulatorischer Therapie wirksam. Impfungen mit Lebendimpfstoffen (geringste Mengen aktiver Krankheitserreger) sind bei Patienten unter immunsuppressiver Therapie potenziell gefährlich, da infolge der eingeschränkten Immunabwehr eine Infektionskrankheit ausgelöst werden kann. Es ist unbestritten, dass nach einer Infektion das Risiko für einen MS-Schub erhöht ist, und es gibt Hinweise, dass ein derart ausgelöster Schub zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen kann.

Die Impfungen im Überblick

Der Tetanusimpfstoff («Wundstarrkrampf ») wird in der Regel kombiniert mit Impfstoffen gegen Diphtherie, Kinderlähmung oder Keuchhusten verabreicht. In Studien zeigte sich kein erhöhtes Risiko für einen MS-Schub nach einer Tetanusimpfung. Die Auswertung einer europäischen Datenbank mit 623 erfassten Menschen mit MS zeigte, dass das Risiko, einen Schub innerhalb von 12 Monaten zu erleiden, sogar geringer war als bei den nicht Geimpften, sofern Kombinationsimpfstoffe (Tetanus und Diphtherie) verwendet wurden.

Die Grippeschutzimpfung zur Vorbeugung der saisonalen Grippe wird MS-Betroffenen generell empfohlen, da die Ansteckungsgefahr hoch ist und da eine Grippe MS-Schübe auslösen kann. Die Verträglichkeit der Impfung bei MS ist gut und das Risiko, nach der Impfung einen Schub zu erleiden, ist nicht er - höht.

Die Hepatitis-B-Impfung verhindert schwerwiegende Lebererkrankungen. Nach widersprüchlichen Daten aus kleineren Studien konnte in neueren grösseren Studien kein erhöhtes Schubrisiko nachgewiesen werden. Zudem gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Hepatitis-BImpfung die Erkrankung auslösen könnte.

Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln werden mit einem abgeschwächten Lebendimpfstoff durchgeführt und im Allgemeinen in der Kindheit verabreicht. Das Risiko, an MS zu erkranken, ist nach der Impfung nicht erhöht. Untersuchungen zum Einfluss auf den Krankheitsverlauf liegen nicht vor. Bei immunsupprimierten Betroffenen sollte die Impfung vermieden werden. Betroffene unter immunmodulatorischer Behandlung sollten bei dieser Impfung zur Unterstützung des Immunsystems auch mit so genannten Immunglobulinen behandelt werden.

Nach einer Gelbfieber-Impfung wurde in einer kleinen Studie ein erhöhtes Schubrisiko gefunden. Da es sich um einen Lebendimpfstoff handelt, gilt es die Nutzen- Risiko-Abwägung dieser Reiseimpfung prinzipiell sehr sorgfältig zu treffen.

Die Impfung gegen Varizellen wird bei Erwachsenen mit MS, die keine Abwehrstoffe gegen die Krankheit in sich tragen, vor geplanter immunsuppressiver Behandlung empfohlen.

Weitere Impfstoffe, z.B. gegen Pneumokokken, Meningokokken, Hämophilus influenzae und Humane Papilloma-Viren, wurden bei MS bisher nicht systematisch untersucht.

Text: Dr. Carmen Lienert, Leitende Ärztin, Neurologie, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Baselland, Standort Bruderholz