FORTE Special: Auf Atelierbesuch bei Pirmin Breu

Pirmin Breu war einer der ersten Streetart-Künstler der Schweiz, der seine Leidenschaft zum Beruf machen konnte. Zu seiner Kundschaft gehörte schon die britische Rockband Pink Floyd. Heute verfügt der 50-Jährige über ein grosses Atelier im aargauischen Wohlen, wo er Streetart-Workshops gibt – auch für MS-Betroffene. 

Herr Breu, wie wird man Streetart-Künstler?
Als Teenager war ich viel in Zürich unterwegs und habe am Hauptbahnhof die ersten Graffiti entdeckt. Ich war sofort begeistert und fing an, wilde Schriften und Figuren zu zeichnen. Im jugendlichen Leichtsinn zog ich nachts mit meinen Freunden los und sprayte meine ersten Graffitis in meinem Wohnort Muri. Die Polizei kam mir aber auf die Schliche und ich musste mich bei allen Geschädigten persönlich entschuldigen. Nachdem alle Fälle vom Tisch waren und die Anzeigen zurückgezogen wurden, ging ich zu meiner Gemeinde und bat um eine legale Fläche, die ich in einer Unterführung tatsächlich erhielt. Als auch noch das SRF über meinen Fall und meine Kunst berichtete, erhielt ich meine ersten bezahlten Aufträge und rutschte quasi in die Legalität.

Sie haben einen Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko besprüht, ein Protestschwein von Pink Floyd oder auch einen Tunnel, der St. Gallen mit dem Appenzellerland verbindet. Wie kommen Sie an solche Projekte?
Ich war einer der ersten «Legalsprayer» der Schweiz und erhielt dadurch Möglichkeiten, die sich mir als illegaler Sprayer nie eröffnet hätten. Als Roger Waters von Pink Floyd seine Europatournee 2007 in Zürich starten wollte, stellte sein Team fest, dass ihr riesiges aufblasbares Protestschwein «Algie» fälschlicherweise nicht beschriftet war. Da ich schon vorher grosse, anspruchsvolle Projekte gemacht hatte, kamen sie spontan auf mich zu. Ich erhielt den Auftrag, das Schwein mit politischen Statements zu besprühen. Nach einer Besprechung mit Roger Waters ging ich direkt ins Hallenstadion und machte mich an die Arbeit. Kurz bevor die Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion strömten, war ich fertig. Dieser Auftrag öffnete wieder Türen für weitere unmöglich erscheinende Projekte.

Streetart ist oft politisch. Wie wichtig ist es Ihnen, mit Ihrer Kunst eine Botschaft zu vermitteln?
Sehr wichtig. Kunst kann eine extreme Kraft und Energie haben, wenn man sie richtig einsetzt. Das Schöne an der Streetart ist doch, dass die Menschen nicht in eine Galerie müssen, um Kunst zu erleben, sondern sie einfach auf der Strasse vorfinden. Wenn ich etwas besprühe, dann muss es Sinn ergeben und den Passantinnen und Passanten etwas zum Nachdenken auf den Weg geben.

Mit Workshops lehren Sie die Streetart verschiedensten Personen: Von Schulkindern bis zu Altersheim-Bewohnenden. Wie sind die Kurse entstanden, und was ist Ihre Motivation dazu?
Ich habe schon früh begonnen, Graffiti und Streetart in Workshops weiterzugeben. Seit 12 Jahren gebe ich Unterrichtsstunden an Aargauer Schulen, unter anderem angestellt vom Kanton, in denen ich auch über die Konsequenzen von illegalem Sprayen aufkläre. Grundsätzlich habe ich einfach immer Ja gesagt, egal wer nach einem Kurs fragte. So kamen immer mehr Anfragen rein – zuletzt auch von eurer Regionalgruppe Lenzburg/Freiamt. Ich habe immer wieder festgestellt: Die Menschen, die es im Leben schwerer haben – seien es Jugendliche mit einer Lernschwäche, Bewohner eines Pflegeheims, Menschen mit einer Beeinträchtigung – sind extrem offen, kreativ und begeisterungsfähig. Kurse mit ihnen sind auch für mich ein Geschenk. Wir können so viel von Menschen mit einer Beeinträchtigung lernen.

Was haben Sie mit der Regionalgruppe Lenzburg/ Freiamt im Workshop gemacht?
Ich beginne immer damit, die Geschichte des Graffitis und der Streetart nachzuzeichnen. Nach einigen Sprayübungen haben wir uns an die Leinwand gewagt. Mit Schablonen von Vögeln, Herzen oder Schmetterlingen haben sie eigene Kunstwerke geschaffen, die sie als Erinnerung mitnehmen konnten. Es geht nicht darum, perfekt zu sprayen. Fehler machen ein Bild erst richtig interessant.


FORTE Special

Dieser Artikel erschien im Magazin Forte 1/2023 mit Schwerpunktthema «Forschung». Die ganze Ausgabe des FORTE gibt es hier zum Lesen. Sie können sie aber auch per Post nach Hause bestellen.