Die Schweizer MS Kohorte – eine Datensammlung mit enormem Potenzial

Fachartikel

Seit 2012 werden in ausgewählten Spitälern medizinische Daten von MS-Betroffenen in einer zentralen Datenbank festgehalten. Dieses als Schweizer MS Kohorte (SMSC) bezeichnete Projekt entwickelte sich mittlerweile zu einer der grössten und bestcharakterisierten MS-Forschungsdatenbanken weltweit. Sie bietet unzählige Möglichkeiten, um mehr über die Multiple Sklerose zu erfahren und die Betreuung der Betroffenen zu verbessern.

Wissenschaftliche Studien, wie sie auch auf dem Gebiet der MS durchgeführt werden, haben gewisse Nachteile: Unter anderem können an ihnen nur Betroffene teilnehmen, die bestimmte, vordefinierte Kriterien erfüllen. Zudem ist ihre Dauer meist begrenzt. Damit bilden sie die Realität, vor allem auch bei einer chronischen Erkrankung wie MS, nur in einem eingeschränkten Mass ab.

Eine Möglichkeit, solche Nachteile zu umgehen, stellt die Schweizer MS Kohorte (SMSC) dar, die 2012 initialisiert wurde und an der acht grosse Schweizer Spitäler beteiligt sind. In die SMSC wurden bisher die halbjährlich oder jährlich erhobenen Daten von 1'649 MS-Betroffenen aufgenommen (stand 31.12.22), die ihre Einwilligung dazu gegeben haben. Damit stellt sie eine der grössten klinischen MS-Forschungsdatenbanken ihrer Art dar. Das Projekt wird seit Beginn von der Schweiz. MS-Gesellschaft finanziell gefördert.

Gesammelte Daten verbessern Verständnis der MS

Prof. Dr. Cristina Granziera und Prof. Dr. Jens Kuhle (beide Universitätsspital Basel) präsentierten bei ihrem Vortrag am MS State of the Art Symposium 2023 einige Forschungsprojekte, die sie mithilfe der Daten der SMSC durchführen konnten. Wie Prof. Kuhle einleitend erläuterte, stellt eine systematische und langjährige Erfassung von Informationen, wie dem Krankheitsverlauf, den eingesetzten Medikamenten, den Befunden bildgebender Untersuchungen und den Resultaten von Blutproben-Analysen, ein ganz wichtiges Instrument dar, um MS besser zu verstehen und Betroffene wirksamer zu behandeln.

Erforschung von Biomarkern

Prof. Kuhle und sein Team befassen sich unter anderem mit sogenannten Biomarkern, d. h. bestimmten Molekülen, die im Blut oder Hirnwasser gemessen werden können. Zu diesen Biomarkern gehören bei MS-Betroffenen unter anderem die Neurofilament-Leichtketten. Sie sind ein Abbauprodukt von Nervenzellen und können mit besonders empfindlichen Messverfahren im Blut bestimmt werden. Die wiederholte Bestimmung der Neurofilament-Leichtketten, z. B. in den Blutproben der Teilnehmenden an der SMSC, kann Hinweise auf den zukünftigen Verlauf der Erkrankung liefern und auch aufzeigen, wie die Betroffenen auf ihre individuelle Therapie ansprechen. Mit ihrer Arbeit haben Prof. Kuhle und sein Team entscheidend dazu beigetragen, dass die Bedeutung der Neurofilament-Leichtketten mittlerweile erkannt und ihr Nachweis bereits zum Teil in der klinischen Anwendung etabliert wurde. Neue Befunde zum sauren Gliafaserprotein (GFAP) im Blut sprechen dafür, dass dieser Biomarker wichtig zur Erkennung von schleichender Krankheitsverschlechterung beitragen könnte. Auch hier spielt die SMSC eine essentielle Rolle zur weiteren Entwicklung solcher Masse mit direkter Relevanz für die Patientenbetreuung.

Auch Bildmaterial liefert wichtige Erkenntnisse

Anhand verschiedener Beispiele zeigte Prof. Dr. Cristina Granziera anschliessend auf, wie die Resultate von Magnetresonanztomografie (MRT)-Untersuchungen der SMSC-Teilnehmenden dazu eingesetzt werden können, neue Erkenntnisse zur MS zu gewinnen. Man weiss heute, dass es bei einer MS auch unabhängig von einem Schub zu einem Voranschreiten der Erkrankung kommen kann. Dies wird als PIRA (Progression Independent of Relapse Activity) bezeichnet, als Fortschreiten der Behinderung unabhängig von der Schubaktivität. PIRA kann sich z.B. durch ein zunehmend schlechteres Gehen oder auch durch allmählich auftretende Probleme mit der Aufmerksamkeit oder der Feinmotorik äussern. Anhand einer Analyse der in der SMSC gesammelten MRT-Daten konnte Prof. Granziera nun zeigen, dass MS-Betroffene mit PIRA im Vergleich zu klinisch stabilen Betroffenen einen beschleunigten Verlust an Hirnvolumen aufweisen, von dem insbesondere die Grosshirnrinde betroffen ist. Solche Erkenntnisse können dazu beitragen, Behandlungsansätze zu identifizieren, die diesen irreversiblen Verlust an Hirnvolumen verhindern können.

«MS State of the Art Symposium»

Das «MS State of the Art Symposium» ist der bedeutendste Fachkongress zum Thema Multiple Sklerose in der Schweiz und wird von der Schweiz. MS-Gesellschaft und ihrem Medizinisch-wissenschaftlichen Beirat organisiert. Dieses Jahr fand das Symposium am 28. Januar 2023 im KKL Luzern statt.

» State of the Art Symposium» 2023