Der Stoff gegen MS

Weniger Krämpfe, weniger Schmerzen, weniger Müdigkeit, besserer Schlaf. Cannabis wird mehr und mehr zu einer anerkannten Therapie bei Multipler Sklerose. 

In der Schweiz leben rund 15'000 Menschen mit der Krankheit Multiple Sklerose. Zu den am stärksten einschränkenden Beschwerden gehört die Spastik. Daten zeigen, dass mehr als die Hälfte der MS-Patienten unter Spastik leiden. Muskelsteifigkeit und Krämpfe, Einschränkungen der Beweglichkeit, Fatigue, Funktionsstörungen der Blase und Schmerzen sind typische Symptome. Bei einem Drittel der MS-Betroffenen kommt es trotz Therapie zu einer Spastik. Wie die übrigen Symptome einer MS nimmt auch der Schweregrad der Spastik im Verlauf der Erkrankung zu.

Mitverantwortlich für die Kontrolle des Muskeltonus ist das körpereigene Endocannabinoid-System mit seinen beiden Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2. An diesen beiden Rezeptoren setzen die Wirkstoffe der Cannabispflanze an. Wird Cannabis geraucht, führt dies zur bekannten psychoaktiven Wirkung. Bei der medizinischen Nutzung ist diese jedoch nicht erwünscht. Das Rauchen von Cannabis erhöht zudem das Risiko für Lungenkrebs und Herzerkrankungen. Daher eignet sich diese Form der Nutzung unabhängig von der rechtlichen Situation nicht für medizinische Zwecke.

Um die positiven Effekte der Cannabis- Wirkstoffe medizinisch nutzbar zu machen, wurde eine Darreichungsform entwickelt, die einen standardisierten Gehalt der Wirkstoffe enthält, die notwendigen Anforderungen an Reinheit und Stabilität erfüllt und als Arzneimittel registriert ist. Sie kommt in Frage für MS-Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik, die ungenügend auf eine andere antispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben.

Die Darreichungsform wurde in mehreren klinischen Studien untersucht. Bei rund drei Viertel der Patienten kam es zu einer erheblichen Verbesserung der Symptome. Sie hatten weniger Muskelkrämpfe, weniger Schmerzen, weniger Müdigkeit, einen besseren Schlaf, eine verbesserte Gehfähigkeit und weniger Blasenprobleme. Dabei zeigten sich keine Anzeichen für Abhängigkeit, Gewöhnung oder Missbrauch. 

Grosser Leidensdruck - Fragen an Prof. Adam Czaplinski vom Neurozentrum Bellevue

Was muss man sich unter Spastik vorstellen?
Spastik oder Spastizität ist eine krampfartige Erhöhung der Muskelspannung, die Schmerzen verursacht und die Muskelfunktion beeinträchtigt. Bei der Multiplen Sklerose ist die Schädigung des zentralen Nervensystems die Ursache. Die reizenden oder hemmenden Signale zur Muskulatur, die durch die Nervenzellen dorthin geleitet werden, sind gestört und im Ungleichgewicht.

Wie viele MS-Patienten sind davon betroffen?
Über die Hälfte aller MS-Betroffenen sind von einer mehr oder weniger ausgeprägten Spastik betroffen. Ohne geeignete Therapiemassnahmen wird die Motorik, also die Beweglichkeit der Muskulatur, immer schlechter. Folgen können Einschränkungen der Gehfähigkeit, chronische Schmerzen, Schlafstörungen oder Blasenfunktionsstörungen sein.

Wie schwerwiegend wirkt sich die Spastik aus?
Eine ausgeprägte Spastik wirkt sich negativ auf die Lebensqualität des Betroffenen aus. Die Mobilität ist gestört und damit die Selbstständigkeit, zusätzlich können Schlafstörungen auftreten. Spasmen in der Blase können ebenfalls einen grossen Leidensdruck hervorrufen, da erschwertes oder sehr häufiges Wasser lösen die Folge sein kann.

Weshalb hilft gerade Cannabis gegen die Spastik?
Die Wirkung der natürlich im Körper vorkommenden Cannabinoide wird durch Aktivierung der Rezeptoren imitiert. Cannabinoide wurden hauptsächlich in der Hanfpflanze gefunden und können medizinisch eingesetzt werden. Das im Cannabis enthaltene THC wirkt unter anderem muskelrelaxierend und analgetisch, was sich sehr lindernd auf die Spastik auswirkt.

Braucht es unbedingt ein Medikament auf Basis von Cannabis? Reicht es nicht, Cannabis einfach zu rauchen?
Die schädliche Wirkung von Cannabis rauchen auf die Atemwege ist bekannt. Cannabis kann starke psychische Effekte mit sich bringen, und die partielle Unvorhersehbarkeit der Wirkung ist sehr problematisch. Eine psychische und körperliche Abhängigkeit ist nicht ausgeschlossen. Anders beim zugelassenen Arzneimittel. Hier tritt aufgrund der Zusammensetzung weder ein Gewöhnungseffekt noch eine berauschende Wirkung ein. 

Wie sind die Erfahrungen mit Cannabis bei Ihren Patienten?
Wie auch bei anderen Medikamenten gibt es Patienten, die leider nicht darauf ansprechen. Bei allen anderen ist bereits nach einer vierwöchigen Anwendung ein deutlicher Rückgang der Spastik, also eine Entspannung der Muskulatur und eine bessere Gehfähigkeit spürbar. Der Schlaf wird ruhiger und die Schmerzen lassen nach. 

Quelle: Sprechstunde Doktor Stutz