10 Fragen an unseren neuen Präsidenten

News

Die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft hat einen neuen Präsidenten: Prof. Dr. Jürg Beer. Mediziner, ehemaliger Chefarzt und stv. CEO am Kantonsspital Baden, passionierter Forscher an der Uni Zürich, Cellist, Fussballer, Vater und Grossvater sind nur einige Begriffe, die den Menschen Jürg Beer ausmachen.  Wir freuen uns sehr, zukünftig von seiner Expertise und seinem Erfahrungsschatz profitieren zu können - und sind natürlich schon im Hier und Jetzt neugierig, was er über Berufliches und Privates zu erzählen hat. 

Herzlichen Glückwunsch und willkommen Herr Professor Beer. Was hat Sie dazu bewogen, sich der Wahl zum Präsidenten zu stellen?
In erster Linie die Betroffenheit, die man verspürt, wenn man von MS-betroffene Menschen kennt und sieht, wie schwer die Krankheit einen treffen kann. In meinem Leben hatte ich viel Glück und Möglichkeiten, mein Wissen auszubauen. Das ist ein grosses Privileg und ich würde gerne etwas zurückgeben. Mit der langjährigen Erfahrung im Management, in Klinik, Lehre und Forschung bringe ich diverse Tools mit, um die MS-Gesellschaft unterstützen zu können.

Ihr Führungsprinzip ist «lebenslang lernen und man muss Menschen mögen». Wie möchten Sie das bei der MS-Gesellschaft umsetzen?
Zuhören. Das konnte ich schon am Mitgliederfest. Ich durfte mich mit Betroffenen austauschen, heraushören, was die Bedürfnisse sind und wo wir ansetzen sollen. Der direkte Kontakt ist mir sehr wichtig. Ausserdem stosse ich zu einer Gesellschaft, welche enorm gut aufgestellt ist. Wir haben eine sehr kompetente Direktion und einen gut positionierten Vorstand, und dank der Führung meiner Vorgängerin treffe ich ruhiges Fahrwasser an. Da möchte ich keinesfalls reinfahren, aber doch Ideen mit einbringen, zum Beispiel zum Thema Digitalisierung oder wie man junge betroffene Patientengruppen abholen kann. Zudem liegt mir das Thema «Basis- und translationale Forschung» sehr am Herzen, damit diese für betroffene Patienten verständlich und anwendbar ist und sie den potentiellen Nutzen für Diagnostik und Therapie sehen.

Sie erwähnen das Mitgliederfest. Was war denn Ihr ganz persönliches Highlight im Forum Freiburg?
«Mir geht’s gut». Gerade kam ich aus einem Gespräch mit einer nicht betroffenen Person, die ausgedehnt gejammert hat und kurz darauf erfolgte der Austausch mit einem schwer Betroffenen im Rollstuhl, welcher auf die Frage, wie es ihm ginge, mit «Mir geht’s gut» geantwortet hatte - und das nicht abwehrend. Man hat gespürt, dass der Mensch im Moment lebt und die kleinen Dinge bewusst wahrnimmt und soweit möglich geniesst. Das ist eine Reife, welche sich noch viele gesunde Menschen von Betroffenen abschauen können.

Die Forschung liegt Ihnen sehr am Herzen. Was macht gute Forschung aus?
In der Basisforschung das Aufdecken von wichtigen, neuen biologischen Erkenntnissen auf Stufe Organismus, Zelle, und Molekül, welche zum Verständnis von gesunden und kranken Mechanismen führen. Dann die Möglichkeit der Anwendbarkeit einer neuen Erkenntnis. Schliesslich bedeutende klinische Beobachtungs- und Interventionsstudien, die für Betroffene eine echte Verbesserung bringen. Ich persönlich habe diese Wechselwirkung zwischen Forschung und Klinik geschätzt. Die Anerkennung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft (Peers) ist wichtig, auch die Möglichkeit und Fähigkeit, die Resultate der Forschung laienverständlich zu kommunizieren. Am Mitgliederfest haben wir dies mit vielen jungen, vielversprechenden Forschern getan, die ihre Resultate präsentiert haben.

Und wodurch zeichnet sich in Ihren Augen ein gutes Forschungs-Projekt aus?
Ein gutes Projekt zeichnet sich nebst obigen Eigenschaften auch durch die genuine Neugier für echt Neues und Relevantes durch die Forschenden aus. Wenn ein Projekt plötzlich «viele Väter hat» und breites Interesse weckt, hilft das. Es basiert auf vielversprechenden Vor-Experimenten und hat ein sehr gutes Netzwerk zu den Besten im Gebiet. Die Forschungsgruppe hatte bereits Gelegenheit, Ihr Können, die Originalität und Ausdauer im Vorfeld unter Beweis zu stellen. Erfahrene Mentoren sind hilfreich.

Was war das bisher grösste Abenteuer Ihres Lebens?
Meine drei Jahre in New York waren sicher eines der Besten. Es ist immer noch ein Traum für mich, weil so viel möglich ist, wenn man die Ressourcen hat und am richtigen Ort ist. Es war auch spannend für die persönliche Entwicklung, alles hinter sich zu lassen, den Schlüsselbund abzugeben und mit der Familie woanders von vorne anzufangen.
Es gibt natürlich auch die Abenteuer, die man lieber für sich behält, aber was mir immer wertvoll bleiben wird, sind die paar Monate in Kanada, als ich 18 oder 19 Jahre alt war und bei einem Schreiner «auf der Insel» arbeitete. Die Tage habe ich unter anderem damit verbracht, grosse Baumstämme zwecks Blockhüttenbau aus dem Wasser zu ziehen - und es war ein Vergnügen.

Darf man daraus schliessen, dass Sie als Kind mal Tischler werden wollten?
Erst wollte ich Cellist werden, weil ich Pablo Casals sehr bewunderte. Später dann Fussballer oder Archäologe. Ein Mentor meinte dann zu mir, ich solle doch zunächst mal Medizin lernen, und zum Glück habe ich auf ihn gehört. Die Medizin erlaubt mir, mich in sehr vielen Bereichen zu verwirklichen und meine anderen Interessen musste ich nie aufgeben. Das Cello spiele ich bis heute.

Sie tragen viele Hüte und haben einen beachtlichen Lebenslauf. Gibt es denn auch etwas, wofür Sie null Talent haben?
Vermutlich für das Kochen, das mache ich nicht so oft, aber ich bin ein «super Pizzaiolo». Das kam mit viel Übung. Es gibt glaube ich niemanden, der null Talent für etwas hat. Ich habe gelernt, dass es nicht stimmt, wenn Leute mir gesagt haben, sie können etwas nicht. Man muss sich Zeit nehmen, den richtigen Lehrer haben und ausreichend Motivation und dann ist, bis zu einem gewissen Grad, fast alles möglich. So bin ich bin zwar kein Koch aber ich denke, wenn man von Grund auf auch in einem Labor gearbeitet hat, kann man auch kochen. Es ist wie in der Medizin - ein Teil ist Handwerk und ein Teil ist Kunst.

Was sind denn die Herausforderungen, die eine von MS betroffene Person in Ihrem Berufsfeld hat?
Ich hatte eine MS-Betroffene als Assistenzärztin in der Neurologie eingestellt. Sie hat die Visiten im Rollstuhl durchgeführt, war sehr beliebt bei den Patienten und konnte fast alles, was ihre Kollegen und Kolleginnen konnten, Einiges auch besser. Interventionen, welche viel Kraft und Bewegung forderten, waren schwierig, aber auch möglich. Es war für die Kolleginnen und Kollegen sehr bereichernd, mit ihr arbeiten zu können.

Auf was freuen Sie sich am meisten in der Zukunft?
Ein Kollege hat mich mal mit jemandem verglichen, der an einem Glace Stand den Finger in jede Sorte tunkt, um zu schauen was ihm wirklich am besten schmeckt. Ich freue mich auf den grossen Freiheitsgrad, die Offenheit der Möglichkeiten, mit der Forschung weiter in See zu stechen und Unentdecktes zu erkunden, die weitere klinische Tätigkeit und auf die Entwicklungsstufen meiner Enkel, mich den kritischen Fragen von Frau und Töchtern zu stellen und natürlich auf die Zeit bei der Schweiz. MS-Gesellschaft.

Wir freuen uns darauf, mit Ihnen zusammen die Zukunft der Schweiz. MS-Gesellschaft gestalten zu dürfen. Vielen Dank für das Gespräch, Professor Beer.