Ich heisse Tabea Gasser und bin 47-jährig. Ich bin eine lebensbejahende und farbenfrohe Persönlichkeit. Geduld, Kreativität und Humor zeichnen mich aus. Ich bin verheiratet, habe keine Kinder, dafür 3 Nichten und einen Neffen, mit denen ich seit jeher viel Kontakt pflege. In meiner Freizeit bin ich oft in meinem Atelier und lebe mich kreativ aus.
In welchem Alter hast du die Diagnose MS erhalten? War die Diagnose eindeutig oder gab es vorher andere Vermutungen?
Ich habe vor 9 Jahren die Diagnose MS erhalten und sie war sofort eindeutig.
Was waren deine ersten Gedanken direkt nach der Diagnose?
Zum Glück kein Tumor – sondern «nur» MS.
Was waren deine ersten MS-Symptome? Welche bestimmen deinen Alltag heute? Hast du unsichtbare Symptome, die schwer zu erklären sind?
Ich habe meine Beine nicht gespürt und konnte ganz schlecht und unsicher laufen. Meine Beine und Blase sind meine Schwachstellen. Das merke ich immer wieder. Die Fatigue ist ein Symptom, das man schwer erklären kann und trotzdem ein ständiger Begleiter ist.
Welche Behandlungen kommen bei dir «zum Einsatz»?
Ich spritze mir 3-mal die Woche Copaxone. Ich habe Physio- und Hippo-Therapie, was mir sehr guttut.
War für dich von Anfang an klar, dass du offen mit deiner Diagnose umgehen möchtest? Welche Bedenken hattest du vielleicht, privat oder im beruflichen Bereich?
Für mich war das gar kein Thema, ich bin von Anfang an offen mit meiner Diagnose umgegangen. Bedenken hatte ich keine, ich dachte mir, mit Offenheit vermeide ich alle Spekulationen, was ich wohl haben könnte.
Wenn du dich an jeden beliebigen Ort auf der Welt wünschen könntest. Wo wäre das und was würdest du dort unbedingt tun wollen?
Auf die Malediven. Dort tauchen und die bunte Welt der Fische sehen, schwerelos im Wasser liegen, das würde ich mir wünschen.
Um schwierige Phasen zu meistern? Was hilft dir? Was spornt dich an? Gibt es ein alltägliches Ritual oder einen «Geheimtipp», der dir besonders hilft, wenn dich die MS körperlich und mental hart fordert?
Meine positive Art: Ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen.
Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben?
Meine Frau, ein Teil meiner Familie und meine Freunde sind meine grossen Stützen. Ich darf in all den Jahren auf ein grosses soziales Netzwerk zurückblicken, mit Höhen und Tiefen. Es hat sich niemand abgewendet, aber ich wähle mein Umfeld bewusster aus, da mir «Qualität» auf der Beziehungsebene wichtiger geworden ist als «Quantität».
In welchen Situationen fällt es dir schwer, deine Grenzen zu akzeptieren, und wie versuchst du, damit umzugehen?
Manchmal will ich einfach zu viel und übersehe Zeichen, die mich zum Innehalten anregen würden. Dies spiegelt mir dann mein Umfeld. Manchmal möchte ich einfach noch so viel leisten können wie vor der MS-Diagnose.
Wenn du einen Film über dein Leben drehen würdest: Welches Genre wäre es (Komödie, Drama, Thriller, Doku?) Gäbe es eine Schlüsselszene, um deine MS-Erfahrungen darzustellen?
Eine Doku, Komödie und manchmal auch ein Drama. Ich denke die Schlüsselszene wäre die, als ich eines Morgens aufwachte und meine Beine nicht mehr richtig spürte. Die MS hat meinem Leben aufgezeigt, die guten Phasen bewusster wahrzunehmen und zu schätzen - und es auf jedes neue Symptom hin wieder neu anzupassen. Mit viel Humor und manchmal auch vielen Tränen.
Hast du einen Plan für dein weiteres Leben? Oder lässt du alles auf dich zukommen und entscheidest dann situativ?
Ich nehme es so, wie es kommt, und stelle mich dann wieder darauf ein, wenn sich etwas verändert. So fahre ich bis anhin sehr gut.
Welchen Rat würdest du einem Menschen geben, der gerade neu mit MS konfrontiert ist (und sich möglicherweise verloren fühlt)?
Rede, rede, rede, such dir Menschen, mit denen du über Ängste und Unsicherheiten reden kannst. Wende dich an Profis, die dich unterstützen, wie zum Beispiel die MS- Gesellschaft.
Du, deine MS und Mobilität. Wenn du unterwegs bist – mit Bahn, Bus, Auto, zu Fuss, im Flieger – läuft alles rund?
Ich bin meistens mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs. Das klappt ganz gut. Auto fahre ich nicht mehr, da fühle ich mich zu unsicher. Erschreckend war es, als ich es einmal bei der Grünphase einer Fussgängerampel nicht im vorgesehenen Zeitintervall über die Strasse schaffte.
Wenn du deine MS als Lebewesen beschreiben müsstest: Welche 3 hauptsächlichen Charaktereigenschaften würde dieses Wesen besitzen?
Die Eigenschaften eines Chamäleons. Die MS hat so viele Facetten wie ein Chamäleon. Manchmal ändert sich dein Leben auf einen Schlag - und trotzdem verharrt man manchmal lange in Ruheposition, wenn die Fatigue voll zuschlägt.
Was kannst du der MS Positives abgewinnen?
Sie gehört dazu. Manchmal ohne schlechtes Gewissen einen Gang runterschalten, tut gut.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du erkannt hast, dass du stärker bist, als du jemals dachtest?
Ich habe schon so viel geschafft mit der MS, dass ich mir immer wieder mal selbst anerkennend auf die Schulter klopfe. Schlüsselmoment: Als bei der jährlichen MRI-Kontrolle der Zufallsbefund Hirntumor auch noch dazu gekommen ist.
Welche Eigenschaften magst du an dir? Welche 3 «nerven» eher?
Geduld. Zuversicht. Positives Denken.
Zuviel aufs Mal wollen. Wenn ich auch mal ungeduldig bin. Gedächtnisprobleme.
Was ist deine grösste Leidenschaft? Ein Traum, den du dir erfüllen möchtest?
Meine grösste Leidenschaft ist meine Kreativität, ich möchte einmal so malen können, dass ich Gesichter realitätsgetreu zeichnen kann.
Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Welche Jahreszeit ist dein Favorit und warum?
Frühling. Alles erwacht, wird bunt, die Vögel wecken einen am Morgen mit ihrem Gezwitscher. Herrlich. Und es ist nicht zu heiss.
Was macht dir in Bezug auf die MS Angst? Was gibt dir Hoffnung?
Es hat sich schon so viel getan in der Forschung und Medizin. Das gibt mir Hoffnung und daher habe ich auch keine Angst.
Wie oder wo tauschst du dich aus? Welche Communities helfen dir bei Fragen? Zum Beispiel auf social media-Plattformen, in Regionalgruppen, etc.?
Mit meiner Frau und meinen sozialen Kontakten.
Hast du Erwartungen an die Gesellschaft im Umgang mit Menschen, die eine chronische Erkrankung haben? Was muss sich deiner Meinung nach noch ändern? Was würdest du dir wünschen?
Die Gesellschaft sollte toleranter werden und Menschen, die nicht ganz ins «Schema gesund» passen, nicht so anstarren - und die nicht offensichtlichen Symptome wie Fatigue und kognitive Einschränkungen nicht werten. Sich stattdessen über das Krankheitsbild informieren, bevor man Betroffene mit seinen Äusserungen verletzt.
Danke, dass du ein «Gesicht der MS» geworden bist. Was hat dich motiviert? Hattest du irgendwelche Bedenken?
Ich hatte keine Bedenken. Ich wollte mit meiner positiven Art, mit dieser Erkrankung umzugehen, anderen Mut machen – und nicht den Kopf in den Sand zu stecken.
Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch? Was könnte die MS-Gesellschaft besser machen (Beratung, Betreuung, Infos)?
Ich bin mit der MS-Gesellschaft sehr zufrieden, ich weiss, ich könnte mich dort jederzeit melden und bekäme Unterstützung.
Immer gesucht: Neue Gesichter der MS
- Du liest und magst unsere Portrait-Serie «Gesichter der MS»?
- Du und deine MS, ihr habt eure ganz eigene Geschichte?
- Du möchtest sie erzählen, um anderen Mut zu machen? Und
- Du willst ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind?
Dann schreib uns eine Mail mit dem Betreff «Gesichter der MS» an: redaktion@multiplesklerose.ch
und wir schicken dir zum Kennenlernen ganz unverbindlich den jeweils aktuellen Portrait-Fragebogen zu. Du kannst dann in aller Ruhe überlegen, ob du mitmachen möchtest.
Liebe Grüsse, deine Redaktion
P.S. Du magst/kannst nicht mitmachen, kennst aber jemanden, der gerne dabei wäre? Dann erzähl’ es einfach weiter…