Mein Name ist Christoph Holdener, ich bin 42 Jahre alt und wohne in Ueberstorf im Kanton Fribourg. Ich bin verheiratet und Vater von 2 Jungs, 8 und 5 Jahre alt. Beruflich arbeite ich in einem 100%-Pensum als Betriebsleiter in der Gastronomie und habe in den letzten zwei Jahren nebenbei noch eine Firma gegründet.
In welchem Alter hast du die Diagnose MS erhalten? War die Diagnose eindeutig oder gab es vorher andere Vermutungen?
Mit 40. Ich hatte eines Morgens so «Vibrationsgefühle» beim Nacken senken. Ging nach vier Tagen zum Arzt und hoffte auf Physiotherapie. Nach dem MRI bekam ich einen Anruf, dass wir noch ein MRI vom Kopf machen. Da wurde dann gesehen, dass ich drei Läsionen im Kopf und zwei im Nacken habe. Und wurde dann an einen Neurologen verwiesen, der die Abklärungen gemacht hat.
Was waren deine ersten Gedanken direkt nach der Diagnose?
Eigentlich war dies für mich kein Problem. Es war für alle anderen viel schlimmer als für mich. Vielleicht war dies auch situationsbedingt. Unser Sohn war damals als 2-Jähriger wegen einer schweren Erkrankung in Behandlung, als diese Diagnose kam, und deshalb war dies für mich keine Diagnose, um den Kopf hängen zu lassen. Mein Sohn kam an erster Stelle. Und ich habe mich sofort mit meiner Erkrankung «angefreundet». Ich habe durch die Erkrankung meines Sohnes gelernt, dass man Dinge nicht ändern kann. Aber man kann sie annehmen und akzeptieren.
Was waren deine ersten MS-Symptome? Welche bestimmen deinen Alltag heute? Hast du unsichtbare Symptome, die schwer zu erklären sind?
Die Vibrationen sind immer noch da, aber gingen stark zurück, dank der Medikamente. Die Müdigkeit ist auch bei mir ein grosses Thema. Und sprachlich verwechsle ich manchmal Sachen, merke es aber sofort. An den Fingerspitzen habe ich leichte Taubheitsgefühle, ebenso beim Liegen habe ich oft das Gefühl, dass die Beine und die Arme nicht da sind. Ebenfalls ist das Duschen sehr unangenehm für meine Hände, ich habe danach immer so ein Kribbeln.
Welche Behandlungen kommen bei dir «zum Einsatz»?
Einmal im Monat eine «Kesimpta»-Spritze.
War für dich von Anfang an klar, dass du offen mit deiner Diagnose umgehen möchtest?Welche Bedenken hattest du vielleicht, privat oder im beruflichen Bereich? Wenn du Kinder hast: Sprichst du mit deinen Kids offen über die MS? Wie erklärst du sie ihnen?
Absolut kein Problem damit. Im Gegenteil, offen sein und anderen Mut machen. Meine Kinder wissen, dass ich auch eine Krankheit habe, und helfen mir auch beim Spritzen des Medikamentes. Was die Krankheit alles beinhalten kann, wissen sie momentan nicht.
Wenn du dich an jeden beliebigen Ort auf der Welt wünschen könntest. Wo wäre das und was würdest du dort unbedingt tun wollen?
Ich würde irgendwohin mit meiner Familie, wo ich meinen Kindern etwas zeigen kann, was sie noch nie gesehen haben.
Um schwierige Phasen zu meistern? Was hilft dir? Was spornt dich an? Gibt es ein alltägliches Ritual oder einen „Geheimtipp“, der dir besonders hilft, wenn dich die MS körperlich und mental hart fordert?
Eigentlich nicht. Ich bin mental sehr stark und lasse mich auch nicht runterziehen. Vielleicht ist das der Schlüssel. Jeden Tag geniessen und einfach machen.
Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben?
Meine Frau! Sie ist meine Stütze und die Managerin der ganzen Familie. Sie ist einfach wunderbar.
In welchen Situationen fällt es dir schwer, deine Grenzen zu akzeptieren, und wie versuchst du damit umzugehen?
Höhe ist seit der Diagnose ein grosses Problem. Mir wird schon schwindelig, wenn ich nur ein Bild sehe, das kannte ich vorher nicht. Die Grenze ist ganz einfach, ich versuche es in der Situation - entweder geht es oder halt nicht. Wenn es nicht geht, ist dies kein Problem für mich.
Wenn du einen Film über dein Leben drehen würdest: Welches Genre wäre es (Komödie, Drama, Thriller, Doku?) Gäbe es eine Schlüsselszene, um deine MS-Erfahrungen darzustellen?
Absolut eine lustige Doku. Ich glaube, wir lachen viel zu wenig. Und meine Geschichte in eine lustige Doku zu verpacken, wäre mein Ding.
Hast du einen Plan für dein weiteres Leben? Oder lässt du alles auf dich zukommen und entscheidest dann situativ?
Ich geniesse mein Leben und träume nicht. Alles, was man machen will, soll man nicht aufschieben.
Welchen Rat würdest du einem Menschen geben, der gerade neu mit MS konfrontiert ist (und sich möglicherweise verloren fühlt)?
Jeder Mensch ist anders. Aber mein Rat ist: Das Leben geht weiter. Man muss lernen, damit umzugehen und immer positiv bleiben.
Du, deine MS und Mobilität. Wenn du unterwegs bist – mit Bahn, Bus, Auto, zu Fuss, im Flieger – läuft alles rund?
Bis jetzt ist alles gut. Bei langen Autofahrten brauchts mal eine Pause mehr.
Wenn du deine MS als Lebewesen beschreiben müsstest: Welche 3 hauptsächlichen Charaktereigenschaften würde dieses Wesen besitzen?
Eher tierisch, ein Affe. Neugierig, verspielt und clever.
Was kannst du der MS Positives abgewinnen?
Alles geniessen. Auch wenn dies nicht einfach ist.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du erkannt hast, dass du stärker bist, als du jemals dachtest?
Absolut, durch die Krankheit meines Sohnes mit sehr vielen Spitalnächten und Behandlungstagen und Therapien. Erst in solchen Situationen merkt man wie stark man sein kann, auch wenn man am Limit ist. Und mittendrin kam noch meine MS- Diagnose dazu.
Welche 3 Eigenschaften magst du an dir? Welche 3 «nerven» eher?
An mir mag ich meine positive Einstellung, immer gut gelaunt und meine Kreativität. Was eher nervt, ist meine Ungeduld, schlecht zuhören und keine fünf Minuten still sitzen zu können.
Was ist deine grösste Leidenschaft? Ein Traum, den du dir erfüllen möchtest?
Ich will einfach mit meiner Familie glücklich sein.
Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Welche Jahreszeit ist dein Favorit und warum?
Jede Jahreszeit hat ihre guten Seiten. Aber der Sommer ist schon mein Favorit. Die Wärme, die langen Tage und das gemütliche draussen sein.
Was macht dir in Bezug auf die MS Angst? Was gibt dir Hoffnung?
Ich habe keine Angst, ich nehme alles, wie es kommt. Hoffnung machen mir die immer besser werdenden Medikamente.
Wie oder wo tauschst du dich aus? Welche Communities helfen dir bei Fragen? Zum Beispiel auf social media-Plattformen, in Regionalgruppen, etc.?
Eigentlich gar nicht. Ich folge der Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft auf den diversen Plattformen und lese die Berichte.
Hast du Erwartungen an die Gesellschaft im Umgang mit Menschen, die eine chronische Erkrankung haben? Was muss sich deiner Meinung nach noch ändern? Was würdest du dir wünschen?
Ich glaube wir sind in diesem Punkt schon sehr weit. Aber ich denke, dass es im Arbeitsmarkt noch sehr viel Aufklärung braucht. Was ist, wenn ein Mitarbeiter betroffen ist, und wie kann man diesen unterstützen? Was braucht er? Von meinem Arbeitgeber her habe ich die volle Unterstützung, wenn ich sie brauche. Aber dies ist sicher nicht überall der Fall.
Danke, dass du ein «Gesicht der MS» geworden bist. Was hat dich motiviert? Hattest du irgendwelche Bedenken?
Bitte, gerne. Und nein, ich glaube, wir können alle voneinander lernen.
Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch? Was könnte die MS-Gesellschaft besser machen (Beratung, Betreuung, Infos)?
Momentan noch keine grosse. Aber was Ihr alles macht und anbietet, ist super.
Immer gesucht: Neue Gesichter der MS
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Liebe Grüsse, deine Redaktion
P.S. Du magst/kannst nicht mitmachen, kennst aber jemanden, der gerne dabei wäre? Dann erzähl’ es einfach weiter…