Ich bin Inge Wulsch, 62 Jahre jung und Mutter von 4 Kindern.
An wem bist du «Ganz nah dran»? In welchem Verhältnis stehst du zu «deinem/deiner» MS-betroffenen Person?
Ich lebe mit meiner Tochter zusammen und ihrem 4-jährigen Sohn. Sie ist leider an MS erkrankt. Ich hoffe, ich kann beiden eine Hilfe sein.
Wann und in welchem Rahmen wurdest du erstmals mit MS konfrontiert?
Ich kenne die MS gut, da mein Schwiegervater auch MS hatte und daran verstarb.
Gibt es Bereiche in deinem Leben, die klar durch die MS beeinflusst sind?
Jeder Tag ist ein Leben mit MS - auch für uns als Familie. Es beginnt jeden Morgen neu mit Fragen. Wie geht's heute? Wird es ein guter Tag für meine Tochter?
Hat sich eure Beziehung durch die MS verändert? Wie und in welchen Bereichen?
Unsere Beziehung ist durch das Leben mit MS enger geworden. Es tut gut, wenn es ein guter Tag war für alle und er mit einem Lächeln zu Ende geht. Schön ist ein guter Tag, wenn meine Tochter alles allein schafft, Kind betreuen, kochen, Wäsche etc. Für Gesunde mag das selbstverständlich sein, für meine Tochter ist es immer mit Mühe verbunden und der Notwendigkeit, mit der Energie hauszuhalten.
Unterstützt du im Alltag? Wo, wie und wie lange schon? Welches sind deine «Haupteinsatzgebiete»?
Ich lebe nun seit einem Jahr mit ihnen zusammen. Ich hoffe, dass ich eine Hilfe bin im Alltag, beim Kochen und wenn es darum geht, nach dem Kleinen zu schauen.
Welchen Herausforderungen begegnest du dabei? An welche Grenzen stösst du?
Oft ist es nicht leicht für mich selbst, mal einen Tag frei zu nehmen, weil man immer auf Abruf lebt. Ich muss lernen zu sagen: «Ich brauche auch Freizeit» – und es springt dann der Kindsvater ein.
Welche drei erfüllten Wünsche/Dinge würden euren gemeinsamen Alltag verändern?
Eine Hilfe wäre es, wenn meine Tochter eine Kinderbetreuung hätte. Ganz allgemein eine Haushaltshilfe wäre mega schön. Es ist nicht immer leicht, das zu stemmen. Mal wieder Ferien machen, ist ein Wunsch.
Holst du dir Hilfe von Dritten? Nutzt du die Angebote der MS-Gesellschaft, welche und warum?
Hilfe holen wir beim Kindesvater, sonst kämpfen wir allein.
Wirkt sich das «Ganz nah dran sein» bei dir persönlich aus. Wenn ja, wie? Emotional? Körperlich?
Emotional ist es für mich sehr schwer, weil ich ja beim Schwiegervater miterlebt habe, wie MS enden kann. Und der Gedanke schmerzt sehr. Oft wünschte ich mir, ich könnte meiner Tochter die MS abnehmen.
Macht dir die Zukunft Sorgen? Was lässt dich optimistisch sein?
Ja, Ängste hat man immer. Optimistisch macht uns die Hoffnung auf die Wissenschaft.
Gönnst du dir Zeitfenster für dich allein? Was tust du dann?
Ja, wir lernen, uns Zeit zu verschaffen. Wenn ich welche habe, mache ich einfach nichts. TV schauen und relaxen.
Welche Erkenntnisse kannst oder möchtest du anderen Menschen, die «Ganz nah dran» sind, mit auf den Weg geben?
Ich sage immer: Nehmt jeden Tag, wie er kommt, und seid glücklich, wenn er mit einem Lächeln und Zufriedenheit zu Ende geht. Seid aufrecht und stark, gemeinsam geht das, das Leben zu leben.
Gibt es etwas, was du abschliessend deiner/deinem MS-Betroffenen sagen möchtest?
Ich sage meinem Kind, dass ich sie liebe - und wir gemeinsam das Leben meistern.
Welchen Satz möchtest du öfter hören (von «der Gesellschaft», deinem Umfeld, von deinem MS-Betroffenen oder vielleicht von dir selbst)? Welchen nicht?
Traurig ist das Nichtverstehen der Menschen im Allgemeinen. Unwissenheit, weil die MS auch nicht nur Ältere betrifft, sondern auch viele junge Menschen. Schlimm ist: «Ah, du hast MS, das tut mir leid.» Und selten wird gefragt, was MS ist und wie man damit leben muss. Denn es ist ja leider ein Muss und ein Kampf für den Betroffenen. Ständig.
Zum Tag der pflegenden und betreuenden Angehörigen, dem 30. Oktober 2025, starten wir unsere neue Porträt-Serie «Ganz nah dran». Die Zahl pflegender Angehöriger in der Schweiz wird auf 600’000 geschätzt. Darunter auch mehrere Tausend Haushalte, in denen MS-Betroffene von Angehörigen betreut werden – nicht selten rund um die Uhr und oft bis an die Grenzen der Belastbarkeit. Oder darüber hinaus. Wir stehen Angehörigen auch an allen anderen Tagen des Jahres zur Seite.
Unterstützung für Mitbetroffene, Partner, Familie und Kinder gibt es von den Beratungsteams via MS-Infoline, Email oder Chat. Wir bieten komprimierte Information in Form von MS-Infoblättern (Tipps: «Für andere sorgen, sich selbst nicht vergessen»; «Entlastungsangebote bei MS»). Entlastungsangebote, Kinaesthetics und Veranstaltungen sind weitere wichtige Elemente unseres umfangreichen Angebots für Angehörige.
Immer willkommen: Angehörige, «Ganz nah dran»
- Unsere neue Porträt-Serie gefällt dir?
- Du möchtest eure eigene Geschichte erzählen, um anderen Mut zu machen?
- Du willst anderen Angehörigen zeigen, dass sie nicht alleine sind?
Dann schreib uns eine Mail mit dem Betreff «Ganz nah dran» an: redaktion@multiplesklerose.ch
und wir schicken dir zum Kennenlernen ganz unverbindlich den jeweils aktuellen Portrait-Fragebogen zu. Du kannst dann in aller Ruhe überlegen, ob du mitmachen möchtest.
Liebe Grüsse, deine Redaktion
P.S. Du magst/kannst nicht mitmachen, kennst aber jemanden, der vielleicht gerne dabei wäre? Dann erzähl’ es einfach weiter…