MS-Infotag «Aus der Forschung für die Praxis»

Fachartikel

Am 07.12.2024 fand wie schon in den Vorjahren der MS-Infotag des Basler Multiple Sklerose Zentrums in Zusammenarbeit mit der Schweiz. MS-Gesellschaft statt. Hier finden Sie kurze Zusammenfassungen ausgewählter Vorträge aus der Forschung.

«Wird Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus verursacht?» – Dr. Nicholas Sanderson

Laut aktuellem Stand der Forschung ist eine Beteiligung des Epstein-Barr-Virus (EBV) an der Entstehung der MS sehr wahrscheinlich. EBV infiziert unter anderem menschliche B-Zellen und kann daher vom Immunsystem oft nur schwer bekämpft werden. EBV wird von Mensch zu Mensch übertragen. Die Erstinfektion, welche oft symptomfrei abläuft, findet häufig im Kindesalter statt. Mit 15 Jahren haben etwa 50%, mit 30 Jahren etwa 90% der Bevölkerung und später noch höhere Prozentsätze Kontakt zum EBV-Virus gehabt.

Bei MS-Betroffenen findet man mehr Antikörper gegen EBV, MS tritt hingegen bei Menschen, welche nie mit EBV infiziert wurden, kaum auf.

Eine gross angelegte Studie anhand von Blutproben von Angehörigen des US-Militärs konnte nachweisen, dass eine EBV-Infektion im zeitlichen Verlauf vor der MS-Diagnose stattfindet, und dass dies auch mit erhöhten Konzentrationen der leichten Kette der Neurofilamente (NfL) einhergeht, einem sensitiven Blutbiomarker für Nervenschädigung. Bei anderen ähnlichen Viren finden sich diese Zusammenhänge zwischen EBV und MS nicht.

Der genaue Mechanismus ist allerdings weiterhin unklar und Gegenstand weiterer Forschung in Basel und weltweit zum besseren Verständnis der Entstehung der MS.

«Hippotherapie-K: das Pferd als Trainingspartner für MS-Betroffene» – Ursina Frey

Hippotherapie-K® ist Physiotherapie mit Hilfe des Pferdes. Es handelt sich um eine anerkannte medizinische Behandlungsmassnahme, bei der die Übertragung der Bewegung vom Pferd auf den Patienten therapeutisch genutzt wird: Die Bewegungsinduktion durch das Pferd vermittelt einen dreidimensionalen, gangtypischen Bewegungsablauf im Becken und ist rhythmisch und repetitiv.

Gangtypische Haltungsreaktionen im Rumpf können mit aufgehobener Stützfunktion der Beine provoziert werden. Für die Sitzbalance notwendige Haltungsreaktionen werden reaktiv auf die Pferdeimpulse ausgelöst beziehungsweise geübt.

Auch lokale Therapieeffekte wie die Verminderung von Spastik und Schmerzen, Verbesserung der Beweglichkeit im Rücken und in den Beinen oder Training der stabilisierenden Rumpfmuskulatur können durch die Hippotherapie-K® erzielt werden.

Die Schweiz. MS-Gesellschaft beteiligt sich seit vielen Jahren an der Finanzierung der Thearpiepferde für Hippotherapie-K®. 

«Wenn die Seele leidet – Stimmungsstörungen bei MS» – Prof. Pasquale Calabrese

Bei MS können psychologische Beschwerden und Stimmungsstörungen auftreten. Die genaue Ausprägung dieser Beschwerden ist von Betroffenem zu Betroffenem unterschiedlich. Die MS führt oft zu einer chronischen Belastungssituation, daher sind auch stark ausgeprägte Symptome bis hin zur Depression möglich.

Die Lebenszeitprävalenz von Depression bei MS liegt bei etwa 50 %: Jeder zweite MS-Betroffene entwickelt also mindestens einmal im Laufe seiner Erkrankung eine Depression. Dies ist deutlich häufiger als bei der Gesamtbevölkerung. Sie tritt vor allem rasch nach Diagnoseeröffnung auf, kann aber auch nach mehreren Jahren Krankheitsverlauf entstehen.

Es ist gut belegt, dass psychische Beeinträchtigungen so früh wie möglich behandelt werden sollten. Dies kann insbesondere bei schweren Symptomen im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung, manchmal auch im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung geschehen.

Oftmals ist jedoch bereits eine Begleitung sehr hilfreich. Dies wird 2025 dank eines neuen Programms der MS-Gesellschaft ermöglicht werden, in welchem MS-Betroffene nach entsprechender Schulung als sogenannte «Peers» anderen Betroffenen als Gesprächspartner und Begleitperson zur Seite stehen werden.

MultiSCRIPT und Schweizer MS-Kohortenstudie: Personalisierte Medizin – wir kommen! – Prof. Özgür Yaldizli

Der personalisierte Einsatz der inzwischen rund 20 zugelassenen MS-Medikamente soll verbessert werden. Hierfür werden Biomarker benötigt, um Unterschiede zwischen einzelnen MS-Betroffenen so präzise wie möglich zu erfassen und zu messen. Diese Biomarker können Hinweise auf den Schweregrad, den Verlauf oder auf das mögliche Therapieansprechen geben.

Der vielversprechendste Biomarker bei MS ist aktuell NfL (Neurofilament-Leichtkette), welches man im Blut bestimmen kann. Für die Entdeckung und Weiterentwicklung von NfL bei MS bis zur Schwelle der Einführung in die klinische Praxis wurde Prof. Jens Kuhle, Leiter des MS Zentrums am Universitätsspital Basel und Mitglied des Medizinisch-wissenschaftlichen Beirats der MS-Gesellschaft, soeben mit dem europaweit höchstdotierten Sobek-Preis ausgezeichnet.

Im Rahmen der Schweizer MS-Kohortenstudie wird seit knapp einem Jahr eine neuartige, randomisierte aber pragmatische Studie durchgeführt: «MultiSCRIPT». Hierbei werden Betroffene zufällig entweder dem Interventionsarm (mit 6-monatlichen NfL-Messungen) oder dem Kontrollarm (reguläre klinische Betreuung ohne Nfl-Messungen) zugelost.

In dem aktuell laufenden ersten Zyklus dieser schweizweiten Studie wird überprüft, ob die regelmässige Messung von NfL und die Nutzung dieser Messungen zur präzisen Therapieeinstellung bei MS-Betroffenen zu einem besseren Verlauf oder einer besseren Lebensqualität führen kann. Seit Februar 2024 konnten bereits über 550 MS-Betroffene eingeschlossen werden.

Die Schweiz. MS-Gesellschaft beteiligt sich seit vielen Jahren an der Finanzierung der Schweizer MS-Kohortenstudie. 

Neue Therapien auf dem Prüfstand: Gibt es jetzt etwas gegen die Progression? – Prof. Tobias Derfuss

Ein neuer Therapieansatz bei MS ist die Nutzung von Kinase-Inhibitoren, insbesondere die Blockierung der Brutons Tyrosin Kinase, den sogenannten BTK-Inhibitoren. Da es sich hier um kleine Moleküle handelt, ist im Gegensatz zu Antikörpertherapien auch ein direkter Effekt im zentralen Nervensystem zu erwarten.

Die BTK-Inhibitoren agieren in erster Linie auf Lymphozyten, wirken jedoch auch auf andere Zellen in der Umgebung, insbesondere die Mikroglia. Mehrere ähnliche Therapien dieser Art sind aktuell getestet worden oder werden noch getestet.

Im Vergleich zur bereits verfügbaren MS-Verlaufsherapie mit Teriflunomid konnten die Wirkstoffe Evobrutinib und Tolebrutinib leider keinen besseren Effekt auf Schübe oder auf entzündliche Läsionen im MRI zeigen.

Bei Fenebrutinib stehen die Studienergebnisse bei schubförmiger MS und bei primär progredienter MS noch aus. Evobrutinib führte bei sekundär progredienter MS im Vergleich zu einem Placebo zu einer Reduktion der langsamen Behinderungsprogression.

Diesen Resultaten wird zurzeit hohe Beachtung geschenkt. Dies ist das erste Mal, dass eine Therapie vor allem auf die Krankheitsprogression, nicht aber auf akute Entzündung einwirkt. Der genaue Mechanismus dieser Wirksamkeit ist noch nicht bekannt, allerdings wecken diese Ergebnisse grosse Hoffnungen auf zukünftige Therapieoptionen für die Progression.