Mit Geduld und Leidenschaft für die MS-Forschung

FORTE Magazin

Ein besonderer Höhepunkt des diesjährigen «MS State of the Art Symposium» war die Verleihung des zweiten Forschungspreises der Schweiz. MS-Gesellschaft. Die mit 100’000 Franken dotierte Auszeichnung ehrt Persönlichkeiten für herausragende Beiträge zur MS-Forschung. Die Preisträgerin 2025 ist Prof. Dr. Britta Engelhardt, Professorin für Immunbiologie und Direktorin des Theodor-Kocher-Instituts an der Universität Bern.

Prof. Engelhardt, herzlichen Glückwunsch zum Forschungspreis der MS-Gesellschaft! Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Ich freue mich unwahrscheinlich über diese Auszeichnung. Es ist eine grosse Ehre, dass meine Forschungsarbeit vieler Jahre auf diese Weise gewürdigt wird. Wenn man für einen solchen Preis nominiert wird, vor allem für einen derart besonderen Preis, dann bedeutet dies, dass man mit seiner Forschungstätigkeit wahrgenommen und respektiert wird, und dass es relevant ist, was man tut. Und diese objektive Bestätigung von aussen ist eine wundervolle Würdigung.

Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Immunologie entdeckt?

Auf den Rat meiner Biologielehrerin hin entschied ich mich für das damals neue Studium der Humanbiologie. Es bot eine einzigartige Kombination aus medizinischem Wissen und Forschungskompetenzen, einschliesslich der Möglichkeit, Immunologie als Hauptfach zu wählen. Denn die Reise der Immunzellen im Blutkreislauf hat mich von Anfang an fasziniert. Im Praktikum lernte ich, solche Zellen zu isolieren und in vitro zu aktivieren. Das hat mich so begeistert, dass ich die Immunologie und später auch die Neuroimmunologie für mich entdeckte.

Während des Studiums hörte ich von einer Forschungsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft, die sich auf Multiple Sklerose konzentrierte. Wir hatten eine Bekannte, die an MS erkrankt war. In einem Artikel wurde eine neue Methode zur Züchtung von T-Zellen beschrieben – bestimmte Immunzellen, die ins Gehirn gelangen und im Tiermodell eine ähnliche Erkrankung wie die MS hervorrufen. Seitdem widme ich mich schwerpunktmässig dem Thema, wie diese Immunzellen ins zentrale Nervensystem (ZNS) wandern.

Können Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre Forschungsschwerpunkte geben?

Unsere Forschung im Bereich der MS konzentriert sich unter anderem auf die Untersuchung der Blut-Hirn-Schranke und die Mechanismen, wie Immunzellen – insbesondere T-Zellen – ins zentrale Nervensystem gelangen. Mit in vitro Blut-Hirn-Schranken-Modellen, die aus Stammzellen von MS-Betroffenen und im Vergleich dazu von nicht MS-betroffenen Personen erstellt wurden, konnten wir zeigen, dass diese eine geringere Barrierefunktion aufweisen. Dies könnte darauf hindeuten, dass genetische oder damit eng verwobene epigenetische Faktoren (genetische Faktoren und Umwelteinflüsse) zu dieser geringeren Barrierefunktion führen und eine Fehlfunktion der Blut-Hirn-Schranke zur Krankheitsentstehung oder -progression beitragen könnten.

Zudem setzen wir auf moderne bildgebende Verfahren, um verschiedene Barrieren im ZNS genauer zu untersuchen und zu unterscheiden, wann Immunzellen zur Immunüberwachung ins ZNS einwandern und ab wann sie zur Entstehung von Krankheiten wie der MS beitragen. Dazu gehören die Blut-Hirn-Schranke an der Gefässwand, die Blut-Liquor-Schranke im Plexus choroideus (bestimmte Gefässknäuel in den Hirnventrikeln) und die Barrieren in den äusseren Gehirnhäuten (Meningen). Mithilfe von Fluoreszierenden Proteinen können wir verfolgen, wohin die Immunzellen wandern, wo sie eindringen und welche Wege sie nehmen. Unser Ziel ist es, die komplexen Prozesse bei MS besser zu verstehen und damit neue therapeutische Ansätze zu ermöglichen.

Welche Meilensteine Ihrer Forschungsarbeit sind Ihnen besonders wichtig?

Ein wichtiger Meilenstein ist unser Beitrag zum Verständnis zu den zellulären und molekularen Mechanismen der T-Zell-Wanderung durch die Blut-Hirn-Schranke. Ausserdem haben wir ein weiteres wichtiges Molekül auf den Radar gebracht: «Duffy». Dieses Molekül findet sich auf roten Blutkörperchen und wird bei MS-Betroffenen in den Endothelzellen der Blut-Hirn-Schranke aktiv. Es funktioniert wie ein «Shuttlebus», indem es chemische Signale (Chemokine), die von Zellen im Gehirn produziert werden, zur Blutseite der Blut-Hirn-Schranke transportiert. Dort werden diese Signale von Immunzellen wahrgenommen, die daraufhin anhalten und ihre Wanderung ins ZNS beginnen. Vielleicht stellt dieses Molekül ein vielversprechendes Ziel für neue Therapien gegen MS dar.

Welche Durchbrüche in der MS-Forschung halten Sie für vielversprechend?

Die Forschung zum Epstein-Barr-Virus (EBV) ist besonders vielversprechend. Aktuelle Studien zeigen, dass MS-Betroffene, die erst spät im Leben eine EBV-Infektion durchgemacht haben, möglicherweise andere Krankheitsverläufe haben. Es gibt Hypothesen, dass virusbeladene Zellen «schlummern» und dass das Virus sich «versteckt». Diesen Mechanismen gilt es weiterhin auf den Grund zu gehen.

Ein weiterer spannender Aspekt sind die genetische Veranlagung und die Epigenetik. Dank moderner Technologien können wir inzwischen von MS-Betroffenen zum Beispiel aus Blutzellen im Labor Stammzellen herstellen. Damit lassen sich anschliessend Organe ansatzweise in vitro nachbilden. Das ist zwar noch nicht der «Heilige Gral», aber wir machen Fortschritte. Solche Ansätze werden uns helfen, Krankheitsmechanismen zu untersuchen, die wir bisher nicht erfassen konnten. Es geht insbesondere um Mechanismen im Zielorgan – sprich Gehirn und Rückenmark – zu welchen wir bei MS-Betroffenen keinen direkten Zugang haben. Und genau darin sehe ich grosses Potenzial für künftige Durchbrüche.

Was ist die besondere Herausforderung in der MS-Forschung?

MS ist eine sehr heterogene Erkrankung, sowohl in ihrem klinischen Erscheinungsbild und vielleicht auch in den zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen. Dank Fortschritten in der Forschung konnten zwar genetische Risikofaktoren definiert werden, allerdings ist es nicht so, dass jede Person, die einen Risikofaktor trägt, MS bekommt. Die MS-Forschung ist oft ein langsamer und mühsamer Prozess, bei dem es Monate bis Jahre dauern kann, bis erkannt wird, dass eine Hypothese nicht stimmt, nur um anschliessend plötzlich eine Erkenntnis zu gewinnen, die das Puzzle wieder ein Stück weiter zusammenfügt. Das Gefühl, wenn solche Beobachtungen plötzlich Sinn ergeben und mit Befunden aus den Labors von Kolleginnen und Kollegen bestätigt werden, ist unglaublich motivierend.

Forschung ist komplex, und der Weg dorthin erfordert Ausdauer, besonders in einem Umfeld, das oft von unsicheren Förderbedingungen geprägt ist. Trotzdem treibt uns die Überzeugung an, dass wir Wissen schaffen, das langfristig wichtig ist. Es geht nicht nur darum, das Ziel zu erreichen, sondern auch um die Freude und den Antrieb, diesen Weg zu gehen – in der Überzeugung, dass wir einen echten Beitrag leisten, der das Leben von MS-Betroffenen verbessern kann.

Wie werden Sie das zweckgebundene Preisgeld für Ihre Forschung einsetzen?

Eine Hälfte möchte ich für die Untersuchung eines potenziellen «Geheimgangs» entlang des Plexus choroideus bis zu den Hirnhäuten nutzen. Dieser Ansatz, den wir mit Neuropathologen erforschen, könnte bei Bestätigung schnell klinisch relevant werden. Wir prüfen das nicht nur in Tiermodellen mit molekularen Markern, sondern auch an Gehirnspenden von verstorbenen Menschen.

Die andere Hälfte möchte ich für die weitere Untersuchung der Stammzell-abgeleiteten menschlichen Blut-Hirn-Schranken-Modelle einsetzen. Wie oben erwähnt, deuten unsere ersten Befunde darauf hin, dass die Blut-Hirn-Schranke bei MS-Betroffenen bestimmte innere Veränderungen zeigt, die sich von gesunden Menschen unterscheiden.

Sie walten ehrenamtlich als Co-Präsidentin des Medizinisch-wissenschaftlichen Beirats (MSAB) der Schweiz. MS-Gesellschaft. Welche Bedeutung messen Sie diesem unabhängigen Gremium bei?

Der MSAB ist ein bedeutendes Gremium, das Fachkompetenzen aus Neurologie, Forschung, Physiotherapie und weiteren Bereichen sowie die Perspektive von MS-Betroffenen vereint. Das Gremium ermöglicht es uns, proaktiv wichtige Themen einzubringen und Stellungnahmen für MS-Betroffene zu publizieren. Die Vielfalt im Board – von Jung bis Alt und aus verschiedenen Fachrichtungen – fördert eine ausgezeichnete Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen. Der MSAB spielt eine zentrale Rolle und stärkt die Arbeit der MS-Gesellschaft nachhaltig.

 

Forschungspreis der Schweiz. MS-Gesellschaft