Gesichter der MS 2025: Monika Baumgarten

Gesichter der MS

Ich bin Monika, 47, und lebe mit meinem Mann, meinem Sohn, meiner Stieftochter und unseren Haustieren in der Nähe von Zürich. Ich bin selbstständig und habe es mir beruflich zur Aufgabe gemacht, Menschen dabei zu helfen, ihre Alkoholabhängigkeit zu überwinden - so wie ich es selbst getan habe.

Wann bekamst du die Diagnose MS? Welche Verlaufsform «hast du»? Welche Symptome belasten dich am meisten?
Meine MS-Diagnose erhielt ich am 7. Januar 2011. Der Beginn war geprägt von Kribbeln und Taubheit in einer Gesichtshälfte und einer überwältigenden Fatigue. Seither bin ich glücklicherweise von einem extrem milden Verlauf der Krankheit begleitet, mit nur einem weiteren Schub. Dafür bin ich sehr dankbar, auch wenn die Fatigue bis heute ein häufiger Begleiter in meinem Alltag ist.

Welche Schlagzeile würdest du 2025 gerne über dich lesen?
MS? Kein Stigma. Alkoholismus? Viele. Wie Monika diese Vorurteile bricht und Menschen neue Hoffnung gibt.

Wenn du dir eine «Superkraft» aussuchen dürftest, welche wäre das und warum? Wenn ich eine Superkraft hätte, dann wäre es die Fähigkeit, jedem Kind auf dieser Welt eine faire Chance zu geben – kein Hunger, keine Not, keine Gewalt, keine Grenzen, die sie davon abhalten, ihre Träume zu verwirklichen. Meine Superkraft hieße Chancengleichheit, denn ich glaube daran, dass kein Kind auf dieser Welt jemals hungrig einschlafen sollte – weder hungrig nach Nahrung noch nach Liebe und Möglichkeiten.

Wenn du deiner MS ein Tattoo widmest? Welches Motiv? Welcher Text? Wo am Körper?
Meine MS und meine ehemalige Alkoholsucht teilen sich bereits ein Tattoo – das Wort «Invictus», tätowiert auf meinem Unterarm. Es ist inspiriert vom gleichnamigen Gedicht von William Ernest Henley und bedeutet «unbesiegbar» oder «ungebrochen». Dieses Wort erinnert mich jeden Tag daran, dass ich mehr bin als meine Diagnosen, dass ich den Blick nach vorne richte und mich nicht unterkriegen lasse.

Was macht dir Stress und wie drückt sich der Stress bei dir aus? Was tust du dagegen?
Stress hat einen großen Einfluss auf mich – er verstärkt meine Fatigue, beeinträchtigt meine Konzentration und macht mich oft reizbarer. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Eine meiner wichtigsten Strategien ist eine Liste mit drei Spalten: «Was ich tun muss», «Was ich tun kann» und «Was ich nicht mehr mache». Ich verschiebe bewusst Dinge von der «Muss»-Spalte auf «Kann» und von dort in die «Nicht-mehr-machen»-Spalte. Das verschafft mir Klarheit und nimmt mir den Druck. Ausserdem plane ich kleine Auszeiten ein: Spaziergänge an der frischen Luft, ein entspannendes Bad mit Meditationsmusik am Abend oder einen kurzen Powernap zwischendurch. Diese kleinen Rituale helfen mir, wieder zur Ruhe zu kommen und neue Energie zu tanken.             

Ferien am Meer oder in den Bergen? Was findet deine MS besser?
Das ist meiner MS egal, solange es an beiden Orten nicht zu heiss ist.

Was sollte dein soziales Umfeld gerne öfter tun? Was lassen?
Mein direktes soziales Umfeld soll so bleiben, wie es ist. Ich schätze authentische Menschen und bin dankbar, dass es sie gibt.

Kopf oder Herz/Bauchgefühl? Auf was vertraust du im Alltag?
Ich bin ein absoluter Bauchmensch – und das nicht ohne Grund. Wenn ich zurückblicke, waren die Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben, immer die, bei denen ich mein Bauchgefühl ignoriert und nur auf den Kopf gehört habe. Heute vertraue ich ganz auf meinen Instinkt.

Welches Kompliment hat man dir zuletzt gemacht?
Das letzte Kompliment habe ich mir heute Morgen selbst gemacht. Als ich in den Spiegel blickte, dachte ich: «Wow, du siehst richtig erholt aus!» Es war weniger ein Moment der Eitelkeit, sondern eher einer, in dem ich mir bewusst gemacht habe, wie weit ich gekommen bin – mit allem, was ich erlebt und geschafft habe. Selbstliebe und Selbstfürsorge sind essenziell für die Gesundheit.

Was bedeutet Familie für dich?
Für mich ist Familie die Antwort auf das, was wirklich zählt.

Du und der Schlaf: Freund oder Feind?
Der Schlaf und ich führen eine on-off-Beziehung: mal himmlisch, mal ein totaler Albtraum.         

Wie findest du es, wenn wir über «prominente» MS-Betroffene, wie zum Beispiel Selma Blair oder Christina Applegate berichten? Was wäre deine erste Frage an einen von ihnen? Und an wen?
Für mich spielt es keine Rolle, ob jemand prominent ist oder nicht – Mensch ist Mensch. Ich finde es wichtig, dass jede und jeder MS-Betroffene seine oder ihre Geschichte erzählen kann, unabhängig von Status oder Bekanntheit. Wenn ich eine Frage stellen würde, dann wäre es: 'Was hat dir persönlich am meisten geholfen, mit der Diagnose zu leben – und was würdest du anderen Betroffenen raten?'

Würdest du gerne einmal für ein Jahr im Ausland leben? Wo? Was hält dich davon ab?
Ich bereise das Ausland gerne und stelle dann immer wieder fest, dass das Leben hier in der Schweiz wunderbar ist, so wie es ist.

Was wolltest du als Kind (beruflich) werden? Hat dich die MS gebremst, es zu werden? Ich wollte Kriminalkommissarin werden. Die MS hat mich nicht gebremst, da ich sie ja noch nicht hatte. Geklappt hat es nicht wegen meiner damals schlechten Vorbereitung auf das Auswahlgespräch.

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Ein Faultier. Es schlummert und schlummert und man weiss nie so genau, wann es denn mal aufwacht.

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Aus meiner Sicht hat sich in den letzten Jahren viel zu wenig verändert – vor allem in der Politik gegenüber alkoholkranken Menschen. Alkohol ist nicht nur eine Droge aus der Gruppe der Beruhigungsmittel, sondern auch ein Nervengift, ein Zellgift und ein Karzinogen der Gruppe 1 (also eindeutig krebserregend). Er ist hochgradig abhängig machend, zerstört Familien und Existenzen, und alle zehn Sekunden stirbt ein Mensch weltweit an den Folgen des Konsums. Dennoch wird Alkohol überall angepriesen: Er ist billig, leicht verfügbar, und bereits im Teenageralter legal konsumierbar.

Die Politik unternimmt aus meiner Sicht viel zu wenig, um den Gefahren entgegenzuwirken, und die starke Lobby schützt die Interessen der Industrie. Während Millionen von Betroffenen und ihre Angehörigen Unterstützung benötigen, wird das Grundproblem – der leichtfertige Umgang mit Alkohol als gesellschaftlich akzeptierter Droge – kaum angegangen. Das ist nicht nur traurig, sondern absolut untragbar.

Wenn Du morgen zum «Bundesrat für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Um ehrlich zu sein, kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich bin keine Expertin für Forschung, und ich denke, es wäre anmassend, darüber zu spekulieren.

Wie stark hat die Diagnose MS deine Einstellung zum Leben verändert? Gibt es bestimmte Dinge, die du vor der Diagnose über das Leben und die Gesundheit geglaubt hast, die sich seitdem verändert haben?
Als ich die Diagnose bekam, habe ich meine damit verbundenen Sorgen und Ängste verdrängt. Ich habe jahrelang «funktioniert», als Managerin und als Mutter. Meine Fatigue hat mir alles obendrauf oft erschwert. Anstatt mir ehrlich einzugestehen, dass ich total überfordert und ausgelaugt bin, habe ich meine Gefühle mit Alkohol betäubt – bis ich abhängig wurde. In Rückschau, und mit nüchternem Geiste, weiss ich nun, dass wahre Stärke nicht darin besteht, «stets stark» sein zu wollen. Wahre Stärke ist, sich einzugestehen, dass man sich vielleicht schwach, ängstlich und überfordert fühlt, und sich dann auch Unterstützung holt. Mittlerweile hilft mir die Krankheit, ein authentisches Leben zu führen. Ich trage keine Maske mehr und behaupte nach aussen, dass alles gut ist, während es innerlich in mir schreit.

Du darfst für 24 Stunden in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Wer würdest du sein wollen? Und warum?
Ich möchte 24 Stunden mein Sohn sein und die Welt mit seinen Augen sehen. Das würde mir helfen, seine Gefühle noch besser zu verstehen.

Umgekehrt: Wer sollte mal einen Tag lang dein Leben mit MS führen? Warum?
Menschen in Machtpositionen sollten einen Tag lang erleben, wie es ist, mit Fatigue zu leben. Vielleicht würden sie weniger Energie in Konflikte stecken und mehr Empathie und Verständnis für Schwächere zeigen.

Stell dir vor, du könntest mit deiner MS sprechen, was würdest du ihr sagen/sie fragen wollen?
Ich danke dir von ganzem Herzen, dass du es bisher milde mit mir meinst. Und ich bitte dich ebenso von Herzen, dass das so bleibt.

Zu welcher Tageszeit erlebst du deine besten Momente? Warum?
Definitiv am Morgen. Ich weiss nicht, warum das so ist, aber ich plane bewusst schwierige Aufgaben in meiner Selbständigkeit auf den Vormittag.

Wurdest du schon mal auf Grund der MS nicht ernst genommen? Wie bist du damit umgegangen?
Nein, auf Grund meiner MS wurde ich noch nie nicht ernst genommen. Bei meiner Alkoholabhängigkeit war das allerdings ganz anders. Ich glaube, das liegt daran, dass Menschen MS als etwas sehen, an dem ich «unschuldig» bin, während sie die Sucht als selbstverschuldet betrachten.

Wenn du ein Vorurteil gegen MS aus den Köpfen der Menschheit löschen könntest, welches wäre das?
Das Vorurteil, dass man MS sieht. Viele Symptome wie Fatigue oder Schmerzen sind unsichtbar, aber trotzdem da – und oft schwer zu erklären.

Hast du Kontakt zu anderen MS Betroffenen? Hilft dir der Austausch mit anderen MS Betroffenen?
Ja, ich bin mit zwei Menschen in unregelmässigen Abständen in Kontakt. Wir schenken einander einfach ein Ohr, falls es mal schlechter geht. Das aktive Zuhören und Verstehen reichen schon aus, um sich besser zu fühlen.

Was unterscheidet dich von anderen MS-Betroffenen?
Vermutlich unterscheidet mich, dass ich nie daran gedacht habe, mich von anderen MS-Betroffenen unterscheiden zu wollen.

Wenn du einen Tag ohne MS- Symptome erleben könntest, wie würdest du diesen Tag gestalten?
Ich erlebe schönerweise solche Tage. Ich habe nicht jeden Tag Fatigue. Das sind dann keine speziell gestalteten Tage, aber solche, an denen ich ganz bewusst oft denke und ausspreche, wie dankbar ich darüber bin.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch?
Ich nutze die Website der MS-Gesellschaft, um mich zu informieren und inspirieren zu lassen. Es ist beruhigend zu wissen, dass ich dort ein Backup habe, wenn ich Hilfe brauche. Und das kann ich nur von ganzem Herzen allen raten: Ängste aussprechen, Schwächen zugeben, Sorgen teilen und nach Hilfe suchen – das ist nicht nur Selbstliebe, sondern auch ein Zeichen immenser Stärke.


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