Gesichter der MS 2025: Angi Bühler

Gesichter der MS

Ich bin Angi, 39 Jahre alt und wohne mit meinem Mann, unseren 2 Söhnen und unserer Hündin im schönen Mauren im Fürstentum Liechtenstein. Wenn ich nicht mit meinen Männern unterwegs bin, gehe ich regelmässig mit unserer Sheltiehündin ins Fitnesstraining und Geocachen oder sitze gerne am Basteltisch und an der Nähmaschine. Ich arbeite seit über 15 Jahren in der Dentalindustrie.

In welchem Alter hast du die Diagnose MS erhalten? War die Diagnose eindeutig oder gab es vorher andere Vermutungen? 
Mit 37 Jahren. Im Sommer 2023 wurde ich mit Verdacht auf Schlaganfall ins Spital eingewiesen. Anfangs waren die Mediziner ratlos. Am Tag danach hatten wir eine sehr eindeutige Diagnose und somit Klarheit. Im Nachhinein wurde einiges klar. Ich hatte schon früher Schübe und nun konnten wir diese einordnen.

Was waren deine ersten Gedanken direkt nach der Diagnose? 
Ich hatte eine einseitige Lähmung und konnte nur noch schlecht gehen. Ich dachte nur «Schei**e». Wir sind mitten im Umzug. Ich habe keine Zeit für Reha oder was anderes.

Was waren deine ersten MS-Symptome? Welche bestimmen deinen Alltag heute? Hast du unsichtbare Symptome, die schwer zu erklären sind?
Angefangen hat alles mit einem eingeschlafenen Arm, der nicht mehr wach werden wollte. Das ging dann weiter auf die gesamte rechte Körperhälfte, bis ich kaum mehr gehen konnte. Mittlerweile funktioniert die rechte Seite fast wieder «normal». Ich spüre an manchen Tagen, dass sie schwächer ist. Unsichtbare Symptome habe ich eigentlich keine. Es gehört dazu, jeden Tag aufs Neue aufzuwachen und auf seinen Körper zu hören, ob heute ein guter oder schlechter Tag ist.

Welche Behandlungen kommen bei dir «zum Einsatz»?
Ich spritze jeden Monat das Medikament Kesimpta.

War für dich von Anfang an klar, dass du offen mit deiner Diagnose umgehen möchtest? Welche Bedenken hattest du vielleicht, privat oder im beruflichen Bereich? Wenn du Kinder hast: Sprichst du mit deinen Kids offen über die MS? Wie erklärst du sie ihnen?
Ja, ich wollte von Anfang an, dass mein Umfeld Bescheid weiss und ich auch offen über alles reden kann. Ich spiele mit offenen Karten und die Leute verstehen es viel besser, wenn ich mal absage, wenn heute ein schlechter Tag ist. Bedenken hatte ich nur anfangs bei der Arbeit. Meine engsten Mitarbeiter und meine Vorgesetzten habe ich gleich informiert. Ich bin auch immer noch die Gleiche. Wenn ich hier bin und es mir gut geht, möchte ich nicht in Watte gepackt werden. Wenn ich nicht hier bin, gehts mir nicht gut. Ich möchte kein Mitleid, sondern nur Verständnis. Seit das allen klar ist, ist das auch gar kein Problem und ich werde ganz normal behandelt.

Die Kinder wissen darüber Bescheid. Sie können auch immer fragen, wenn sie etwas genauer wissen wollen. Wenn ich mit einer Fatigue zu kämpfen habe und einfach nicht aus dem Bett komme, springt mein Mann ein, versorgt die Kids und geht später zur Arbeit.

Wenn du dich an jeden beliebigen Ort auf der Welt wünschen könntest. Wo wäre das und was würdest du dort unbedingt tun wollen?
Nach Amerika mit meiner Familie. Mit einem Camper einen Roadtrip zu machen und einfach zu schauen, was kommt. Einfach die Zeit und die Gemeinsamkeit geniessen.

Um schwierige Phasen zu meistern? Was hilft dir? Was spornt dich an? Gibt es ein alltägliches Ritual oder einen «Geheimtipp», der dir besonders hilft, wenn dich die MS körperlich und mental hart fordert?
Mir hilft es immer, darüber zu sprechen und das Positive daraus zu finden. Ich lerne gerne Neues, egal ob privat oder geschäftlich, das spornt mich an, immer wieder weiterzumachen und diese Erfolge zu geniessen. Mein Geheimtipp ist der selbstgemachte Ingwershot, den ich jeden Morgen trinke, und meine Akupunkturpiercings im Ohr, die ich zur Unterstützung gemacht habe. Seit diesen habe ich kaum mehr diese elektrisierenden Schläge.

Gibt es Menschen, die dich besonders unterstützen? Gab es Menschen, die sich nach der Diagnose von dir abgewendet haben?
Ich kann immer auf meine Familie zählen. Mein Mann steht immer voll hinter mir. Meine Eltern, Schwiegereltern und meine Freunde auch. Ich hatte eigentlich nie einen riesigen Freundeskreis. Einen kleinen, aber dafür sehr engen Freundeskreis. Die, die ich hatte, sind mir zu meinem Glück alle geblieben. Und die, welche ein Problem damit haben, dürfen es gerne behalten.

In welchen Situationen fällt es dir schwer, deine Grenzen zu akzeptieren, und wie versuchst du damit umzugehen?
Ich musste mein Leben komplett umstellen, da ich immer und überall dabei war. Mittlerweile habe ich mich eingelebt und kann auch «Nein» sagen. Ich hatte lustigerweise weniger Probleme mit der Umstellung als Teile meines Umfelds.

Wenn du einen Film über dein Leben drehen würdest: Welches Genre wäre es (Komödie, Drama, Thriller, Doku?)  Gäbe es eine Schlüsselszene, um deine MS-Erfahrungen darzustellen?
Ich liebe True Crime und ich liebe Podcasts. Also könnte ich mir gut vorstellen, wie eine MS-Patientin, die einen Podcast hat, einen True Crime-Fall löst.

Hast du einen Plan für dein weiteres Leben? Oder lässt du alles auf dich zukommen und entscheidest dann situativ?
Ich lebe mein Leben «ganz normal» und geniesse jeden Tag. Ich unternehme viele spontane Sachen mit der Familie und mit meinen Freunden. Und hoffe, dass ich das möglichst lange so machen kann.

Welchen Rat würdest du einem Menschen geben, der gerade neu mit MS konfrontiert ist (und sich möglicherweise verloren fühlt)?
Das ist schwierig, so pauschal eine Antwort zu geben. Jeder Mensch geht anders damit um. Lass dir Zeit und lass dich beraten. Fang nicht an, blind loszugoogeln, sondern tausche dich mit Betroffenen aus. Das Wichtigste ist aber, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Wo eine Tür zugeht, öffnet sich eine neue. Du kannst die Situation nicht ändern, nur das Beste daraus machen.

Du, deine MS und Mobilität. Wenn du unterwegs bist – mit Bahn, Bus, Auto, zu Fuss, im Flieger – läuft alles rund?
Da ich fast keine Einschränkungen habe, läuft alles tiptop.

Wenn du deine MS als Lebewesen beschreiben müsstest: Welche 3 hauptsächlichen Charaktereigenschaften würde dieses Wesen besitzen?
Heimtückisch, launisch und unberechenbar.

Was kannst du der MS Positives abgewinnen?
Die Krankheit hat die Notbremse in meinem Leben gezogen - und gab mir aber die Chance mein Leben neu zu ordnen. Diesen Mut hätte ich wahrscheinlich ohne die Diagnose nicht gehabt, einmal alles komplett auf den Kopf zu stellen und alles neu zu sortieren. Vor allem sich lösen zu können von Sachen, die einem nicht guttun.

Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du erkannt hast, dass du stärker bist, als du jemals dachtest?
Ja. In der Rehaklinik sass ich allein im Garten und immer wieder setzte sich jemand zu mir. Nach ein paar Tagen waren wir eine lustige Truppe beisammen. Irgendwann erzählte jeder seine Geschichte und wieso er hier ist. Als ich begann zu erzählen, und was meine Diagnose ist, und wieso ich auf Reha musste, da sah ich das Entsetzen in den Gesichtern und bei manchen kullerten sogar Tränen. Sie hatten so grossen Respekt, wie ich auch als Mutter in meinen jungen Jahren so gelassen und positiv bin. Ich habe jede Einheit voll durchgezogen. Da wusste ich, wie stark ich wirklich bin.

Welche 3 Eigenschaften magst du an dir? Welche 3 «nerven» eher? 
Meine Offenheit, Spontanität und vor allem meine Flexibilität mag ich sehr. Ich bin sehr direkt und ehrlich, falle auch mal mit der Tür ins Haus. Das sind Eigenschaften, die manchmal negativ oder nervig bei verschiedenen Menschen rüberkommen.

Was ist deine grösste Leidenschaft? Ein Traum, den du dir erfüllen möchtest? 
Wenn die Kinder älter sind, möchte ich wieder grössere Reisen mit meinem Mann unternehmen. Denn wir haben noch viel anzusehen auf der Welt.

Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Welche Jahreszeit ist dein Favorit und warum?
Frühling und Herbst. Die Temperaturen sind angenehm und die Natur mit ihren Farben ist so wunderschön.

Was macht dir in Bezug auf die MS Angst? Was gibt dir Hoffnung?
Die Angst, dass ich nicht weiss, was noch alles mit meinem Körper passiert. Kommt irgendwann ein nächster Schub? Ich habe aber auch die Hoffnung, dass ich möglichst lange so unbeschwert wie jetzt weiterleben kann.

Wie oder wo tauschst du dich aus? Welche Communities helfen dir bei Fragen? Zum Beispiel auf social media-Plattformen, in Regionalgruppen, etc.?
Das kommt drauf an, um welches Thema es geht. Meistens die Sozialen Medien, aber auch Gespräche mit Betroffenen. Seit Neuestem habe ich auch Kontakt zur Regionalgruppe.

Hast du Erwartungen an die Gesellschaft im Umgang mit Menschen, die eine chronische Erkrankung haben? Was muss sich deiner Meinung nach noch ändern? Was würdest du dir wünschen?
Die alten Mythen, die in den Köpfen herumgeistern. Bei so vielen Leuten heisst es noch MS = Rollstuhl. Ja, es gibt Leute, die wegen der MS im Rollstuhl sitzen. MS bedeutet auch nicht Muskelschwund, wie von vielen im Gespräch schon gehört habe. Immer wird nur von den schlimmsten Fällen gesprochen.

Danke, dass du ein «Gesicht der MS» geworden bist. Was hat dich motiviert? Hattest du irgendwelche Bedenken?
Ich möchte darüber informieren, den Mitmenschen die Angst vor der MS nehmen und Betroffene motivieren, auch darüber zu reden. Jeder kämpft für sich, aber gemeinsam auszutauschen kann so viel bewirken - und so mancher Horizont kann erweitert werden.

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch? Was könnte die MS-Gesellschaft besser machen (Beratung, Betreuung, Infos)?
Ich bin seit diesem Jahr Mitglied der MS-Gesellschaft. Ich freue mich auf die Angebote meiner Regionalgruppe. Ich möchte mithelfen, die Leute zu informieren und ihnen die Angst davor zu nehmen.


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