Physio- und Sporttherapie im Wasser

Fachartikel

Die Muskulatur ist es gewohnt, der Schwerkraft an Land die Stirn zu bieten. Bei MS kann das Schwerstarbeit mit vorzeitigen Ermüdungserscheinungen bedeuten. Eine Wassertherapie trägt in vielerlei Hinsicht dazu bei, Körper und Muskulatur in Schwung zu halten.

Ein ganz wichtiger Faktor bei jeder körperlichen Aktivität ist der Spass. Nur wer regelmässig und gerne eine individuell passende Bewegungsart ausführt, wird auch langfristig Erfolge erzielen. Mit Erfolg sind die positiven Wirkungen von körperlicher Aktivität gemeint, die bei Menschen mit MS das Müdigkeitsempfinden reduzieren, die geschwächte Muskulatur kräftigen und allgemein zu einem verbesserten Körpergefühl führen.

Vorteile des Wassers

 

Der aktive Aufenthalt im Wasser bietet viele Vorteile gegenüber einem Training an Land. Zudem empfinden viele Menschen das Element Wasser als einen Ort der Entspannung und Lebensfreude. Der Mensch ist an Land dauernd der Schwerkraft ausgesetzt und muss mit einem Teil der Muskulatur während der meisten Zeit des Tages gegen die Schwerkraft arbeiten. Da im Wasser der Einfluss der Schwerkraft reduziert ist oder sogar gänzlich wegfällt, entspannt sich die Muskulatur und – über die Hautrezeptoren – der ganze Körper. Diese Rezeptoren werden durch das vorbeiströmende Wasser gereizt und rufen eine angenehme, wohltuende Wirkung hervor. Je intensiver das Wasser strömt, desto ausgeprägter entfaltet sich diese Empfindung.

Im Wasser lassen sich zahlreiche Bewegungen ausführen, wie es an Land nicht möglich ist. Dies gilt ganz besonders für MS-Betroffene. Ein Wassertraining verbessert bei Menschen mit MS nachweislich die Ausdauer, Beweglichkeit und Mobilität. Abhängig von der Eintauchtiefe wird der Körper vom Eigengewicht entlastet – er wird schwereloser. Bewegungen können so leichter durchgeführt werden, auch weil sie durch den erhöhten Wasserwiderstand als «geführter» wahrgenommen werden. Das Gleichgewicht wird trainiert und das Gehen geschult, da man sich ohne Sturzgefahr fortbewegen kann. So können Betroffene, bei denen das Gehen an Land nicht klappt oder nur mit Hilfsmitteln möglich ist, sich im Wasser fortbewegen.

Der erhöhte Wasserdruck wirkt sich zusätzlich positiv auf die Atmungsorgane (erhöhter Atemwiderstand), das Herz und die Gefässe aus. Menschen mit MS sollen und dürfen sich aktiv fordern. Die Vorbehalte gegenüber einem Aufent halt im Wasser erweisen sich bei guter Information und Beratung durch Fachpersonen als unbegründet. Wasser kann die Symptome von MS lindern. Temperaturempfindliche Personen sollten darauf achten, dass die Wassertemperatur nicht zu hoch ist (ideal wären 30°C bis 32°C), da sonst die Symptome vorübergehend verstärkt auftreten, während sie durch kühlere Temperaturen (ab 28°C und tiefer) gelindert werden können. Bei Betroffenen mit ausgeprägten Spastiken können kühlere Wassertemperaturen die Spastiken zeitweise verstärken. Wichtig ist zu wissen, dass die beiden beschriebenen Phänomene vorübergehend auftreten und ungefährlich sind – sie hinterlassen keine bleibenden Schädigungen.

Die Bewegungsangebote: Aquajogging oder Aquafitness

Bei der Fülle an Bewegungsmöglichkeiten, die im Wasser angeboten werden, gilt das Motto: ausprobieren und erleben, was einem gut tut. Wer unsicher ist, ob eher das gleichmässige Schwimmen von Bahnen, die läuferischen Übungen in Form des Aquajoggings oder Aquafitness das Richtige für sich selbst ist, probiert die verschiedenen Angebote einfach aus. Die meisten Bäder und Vereine bieten Schnupperstunden für Interessierte an.

Wer gerne in der Gruppe trainiert und Bewegungen nach Musik geniesst, ist in der Aquafitness gut aufgehoben. Aquafitness wird meistens im brust- oder hüfttiefen Wasser durchgeführt. Die Bewegungen werden umso anstrengender, je tiefer das Wasser ist. Aquafitness verbindet Dehnübungen, Krafttraining, Konditionstraining und Entspannung und stellt für MS-Betroffene eine sehr effiziente Aktivierung dar. Mit einer grossen Bandbreite an Übungen können geschwächte Muskeln gezielt trainiert werden. Dabei gilt es zu beachten, dass vor allem jene Muskelgruppen trainiert werden, die unter Wasser liegen. Zusätzlich können Betroffene ganz spezifisch ihr Gangmuster und ihre Ausdauerfähigkeit verbessern. Hilfsmittel wie die Schwimmnudel oder das Schwimmbrett ermöglichen Bewegungen, die an Land nicht möglich wären. Alle Übungen können häufiger und mit weniger Krafteinsatz als an Land (Wassertiefe beachten) durchgeführt werden.

Eine andere Bewegungsform bietet das Aquajogging – das Laufen im Wasser. Ein Schwimmgürtel oder eine Schwimmweste helfen, den Körper aufrecht im Wasser zu halten und die Laufbewegungen ohne Bodenkontakt durchzuführen. Zuerst soll sich der Körper an das Wasser gewöhnen und die richtige Haltung einnehmen. Dann wird die Laufbewegung geübt, die sich durch einen höheren Knieeinsatz und eine Betonung des rückwärtigen Beinschwungs vom Laufen an Land unterscheidet.

So können MS-Betroffene gezielt die Gehbewegungen trainieren. Durch das Tempo der Bewegungen lassen sich der Einfluss des Wasserwiderstandes und dadurch der Kräftigungseffekt steuern und dosieren. Bei schnellen Bewegungen nimmt der Wasserwiderstand zu, die Muskulatur muss mehr arbeiten und wird gekräftigt. Dies ist vor allem bei Störungen der Koordination von Vorteil, da ein schnelleres Tempo leichter umzusetzen ist. Die langsamen Bewegungen erfordern hingegen mehr Koordination und können zum Trainieren des Gangmusters eingesetzt werden. Die beschriebenen Bewegungsangebote richten sich an Betroffene mit weniger stark ausgeprägten Bewegungseinschränkungen.

Wassertherapie als Einzelbehandlung

Auch MS-Betroffene mit sehr starken Bewegungseinschränkungen sollten sich körperlich bewegen. Je schwerer die funktionellen Einschränkungen sind, desto eher sollte man für einen Aufenthalt im Wasser speziell geschulte therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Eine Wassertherapie als Einzelbehandlung wird hauptsächlich in Spitälern und spezialisierten Kliniken oder Institutionen angeboten. In diesen speziell ausgesuchten Bädern können die Betroffenen mit einem Lift ins Wasser gelassen werden. Eine Einzeltherapie zeichnet sich dadurch aus, dass sich die therapeutische Fachperson mit der oder dem Betroffenen im Wasser befindet und die Übungen zusammen durchgeführt werden. Eine Therapie im Wasser kann unter Umständen effizienter sein. Insbesondere dann, wenn sie an Land von intensiven Schmerzen begleitet ist.

Häufig angewendete Therapiemethoden im Wasser sind die Halliwick- und die Bad Ragazer Ringmethode. Die Halliwick-Methode ist ein hierarchisches motorisches Lernprogramm, welches den Betroffenen die Selbstkontrolle (Sicherheit, Gleichgewicht, Fortbewegung) vermittelt. Die Halliwick-Methode dient oft als Grundlage für die Wassertherapie. Da es im Wasser unter anderem um die Gleichgewichtsfindung geht, ist es ein aktives Programm. Über ein hierarchisches, 10 Punkte umfassendes Programm wird die Sicherheit im Wasser vermittelt und das Rückenschwimmen ermöglicht.

Die Weiterentwicklung der Halliwick-Methode wird als spezifische therapeutische Intervention verstanden. Hierbei werden über die Kontrolle des Gleichgewichts die Schwächen der Betroffenen analysiert und behandelt. Die Behandlung umfasst verschiedene Techniken der Physiotherapie, vor allem der Biomechanik oder des Trainings. Die wasserspezifische Therapie wird LEBEN MIT MS ausschliesslich von Physiotherapeuten angeboten. Die Bad Ragazer Ringmethode ist ebenfalls eine typische, von Physiotherapeuten im Wasser durchgeführte Einzelbehandlung. Dabei werden Ringe als Auftriebskörper und zur Lagerung der Person eingesetzt. Es handelt sich dabei um eine Bewegungstherapie, welche Widerstände zur Kräftigung sowie die Mobilisierung der geschwächten Muskulatur anstrebt. Gleichzeitig werden aber auch die Koordination und die Schmerzsituation verbessert.

Zusammenfassend bietet ein Training im Wasser viele Vorteile: Es entspannt und der Aufenthalt im Wasser wird als wirkungsvoller Ausgleich zu den alltäglichen Belastungen empfunden.

Text:
Jens Bansi, cand. phD, Sportwissenschaftler, Rehaklinik Valens
Kurt Luyckx, MSc, Physiotherapeut, Rehaklinik Valens und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der MS-Gesellschaft Bilder: Klinik Valens