MS bei älteren Menschen

Fachartikel

Die Lebenserwartung von Menschen mit MS ist heute annährend gleich hoch wie die der Allgemeinbevölkerung. Daher gibt es auch immer mehr ältere Betroffene. Prof. Dr. Thomas Berger von der Medizinischen Universität Wien sprach am «MS State of the Art Symposium» darüber, welchen Einfluss das Älterwerden auf die Erkrankung und die Bedürfnisse der Betroffenen, etwa hinsichtlich Therapie, hat. 

Wie Prof. Berger einleitend erklärte, liegt das mittlere Alter von Menschen mit MS, die Kliniken und Praxen aufsuchen, bei etwa 55 Jahren. Etwa 25% der Betroffenen sind älter als 65. «Wir sammeln im Laufe unseres Lebens zwar immer mehr Wissen, Erfahrung und Weisheit, gleichzeitig verschlechtern sich mit dem Älterwerden aber auch unsere biologischen Funktionen und unsere Gesundheit, bis wir schliesslich sterben», so Prof. Berger. Wie genau der Prozess des Älterwerdens allerdings abläuft, sei nach wie vor nicht klar.

Älterwerden verändert das Immunsystem

Bekannt ist aber, dass sich die Leistungsfähigkeit des Immunsystems mit zunehmendem Alter verschlechtert. Dieser als Immunoseneszenz bezeichnete Vorgang führt unter anderem zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, zu einem schlechteren Ansprechen auf Impfungen sowie zu einem höheren Risiko für die Entstehung von Tumoren. Zeitgleich mit den altersbedingten Veränderungen des Immunsystems kommt es zu einer gesteigerten Produktion von entzündungsfördernden Botenstoffen und dadurch zu einer schwelenden Entzündung.

«Diese unterschwellige Entzündung wird als Inflammaging bezeichnet. Sie trägt zur Entwicklung vieler chronischer Alterserkrankungen wie Alzheimer, Osteoporose und Diabetes bei», beschrieb Prof. Berger die Vorgänge. Neben der Erforschung, wie genau Immunoseneszenz und Inflammaging ablaufen, wird auch nach Möglichkeiten gesucht, diese Prozesse günstig zu beeinflussen.

Auch Begleiterkrankungen behandeln

Aus Berichten zum Verlauf einer MS ohne Behandlung ist bekannt, dass die durch eine Entzündung verursachte Erkrankungsaktivität (Schübe oder Veränderungen im MRI) abnimmt, je länger eine MS bereits besteht. Trotzdem kann sich der Gesundheitszustand eines MS-Betroffenen mit zunehmendem Alter nach und nach verschlechtern. Denn für den älterwerdenden Körper wird es immer schwieriger, sich ganz oder zumindest teilweise von den Folgen eines Schubs zu erholen.

Ältere MS-Betroffene sind denn auch deutlich stärker in ihren körperlichen Funktionen eingeschränkt als gleichaltrige gesunde Personen. Alle diese Punkte müssen bei der Betreuung von älteren Menschen mit MS berücksichtigt werden. Neben einer spezifischen MS-Therapie sei es daher äusserst wichtig, auch Begleiterkrankungen beziehungsweise deren Risikofaktoren zu behandeln. «Nur so lassen sich altersbedingte, MS-unabhängige Krankheiten ausschalten, die wesentlich zur Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen beitragen», so Prof. Berger.

Verschiedenen Untersuchungen zufolge sind spezifische MS-Therapien bei älteren Betroffenen nicht mehr so gut wirksam wie bei jüngeren. Es ist daher oft schwierig zu unterscheiden, ob eine leichte Zunahme an Beschwerden durch die nachlassende Wirkung der Therapie oder einfach durch den normalen Alterungsprozess verursacht ist. Je älter eine Person mit MS zudem wird, desto eher kommt es auch zu Nebenwirkungen. «Nutzen und Risiken einer Behandlung müssen daher bei älteren MS-Betroffenen oft anders eingeschätzt werden als bei jüngeren», fasste Prof. Berger abschliessend zusammen.

Fachreferat von Prof. Dr. Thomas Berger, Wien (auf Englisch)

«MS State of the Art Symposium»

Das «MS State of the Art Symposium» ist der bedeutendste Fachkongress zu Multipler Sklerose in der Schweiz und wird von der Schweiz. MS-Gesellschaft und ihrem Medizinisch-wissenschaftlichen Beirat organisiert. Dieses Jahr fand das Symposium am 29. Januar 2022 in virtueller Form statt.

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