Autologe Stammzelltransplantation bei hochaktiver Multipler Sklerose

Die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation (aHSCT) wird seit über 20 Jahren bei der Multiplen Sklerose im Rahmen klinischer Studien intensiv untersucht und in Einzelfällen angewendet. Der Wissenschaftliche Beirat der Schweiz. MS-Gesellschaft hat dazu eine Stellungnahme verfasst.

Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der MS-Gesellschaft

Bei bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems (Leukämien) ist die aHSCT seit vielen Jahren eine Standardbehandlung, die jährlich mehrere 10‘000 Mal eingesetzt wird. Bei der MS und generell bei Autoimmunerkrankungen wird die aHSCT in Einzelfällen angewandt, um ein überschiessend reagierendes Immunsystem zu beseitigen und dann aus körpereigenen Blutstammzellen ein neues aufzubauen, von dem erwartet wird, dass es keine Autoimmunreaktion mehr aufweist. Mit dieser eingreifenden Behandlung kann aufgrund der vorliegenden Daten von über 1‘000 MS-Patienten bei einem hohen Prozentsatz ein Stillstand der Erkrankung oder gar eine Besserung erreicht werden.


Am 20. Februar 2017 um 21.05 Uhr strahlt SRF eine Folge «Puls Spezial» zum Thema Stammzelltherapie bei MS aus. Anlässlich dieser Sendung steht das Beratungsteam der MS-Gesellschaft am Montagabend von 21.00 bis 23.00 Uhr für Fragen zur Verfügung. In den Tagen nach der Sendung wird die MS-Infoline durch erfahrene Neurologen verstärkt:

MS-Infoline

0844 674 636

Montag, 20. Februar 2017 | 21.00 Uhr - 23.00 Uhr
Montag bis Freitag | 9.00 - 13.00 Uhr


Wie läuft eine aHSCT ab?

Die aHSCT beinhaltet folgende Schritte:

  • Auswahl des Patienten (hochaktive Patienten mit schubförmiger Multiple Sklerose, die nicht oder nur ungenügend auf die zugelassenen medikamentösen Therapien angesprochen haben).
  • Auschluss von möglichen Risiken (z.B. nach Vorbehandlung mit Knochenmark-toxischen Substanzen wie Mitoxantron) durch hämatologische, immunologische, infektiologische sowie neurologische Beurteilung der Patienten.
  • Behandlung mit einer Kombination aus Cyclosphosphamid und dem Wachstumsfaktor G-CSF, um Blutstammzellen aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf auszuschwemmen und um autoreaktive Immunzellen zu reduzieren. Dieser Schritt wird auch Mobilisierung genannt.
  • Gewinnung der Blutstammzellen über eine sogenannte Leukapherese, die einer maschinellen Blutspende ähnelt.
  • Konditionierungsbehandlung zur Beseitigung des Immunsystems mit einer Kombination aus chemotherapeutischen Substanzen und einem Antikörper gegen T Lymphozyten (BEAM-ATG Schema).
  • Re-Infusion der eigenen (autologen) Blutstammzellen, aus denen nach ca. 7 – 14 Tagen ein neues Blut-bildendes System und dann in den nächsten Wochen und Monaten ein neues Immunsystem aufgebaut wird.
  • Zur Nachbehandlung gehören meist die Gabe von Antibiotika zur Behandlung bzw. Vermeidung von bakteriellen Infekten, Antimykotika Pilzinfektionen und Virostatika, um gegen virale Infekte vorzubeugen.

Für welche Patienten eignet sich die Therapie?

Aufbauend auf den Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre, profitieren von dieser Art der Behandlung besonders folgende Patienten: In den letzten zwei Jahren vor geplanter aHSCT sollte ein aggressiver Krankheitsverlauf bestehen, gemessen anhand der Schubfrequenz und der Anzahl MRI-Läsionen. Patienten mit aggressiver schubförmiger MS profitieren besser als Patienten mit sekundär progredienter MS (SPMS) oder primär progredienter MS (PPMS), weswegen diese Behandlung bei Patienten mit progredienter MS nach derzeitigem Kenntnisstand nicht empfohlen wird. Die Behandlung sollte idealerweise innerhalb von 10 Jahren nach der Diagnose erfolgen und der Patient sollte nicht älter als 50 Jahre alt sein. Der Behinderungsgrad auf der EDSS Skala sollte nicht höher als 5.5 liegen, in Ausnahmen kann er 6.0 betragen. Der Patient sollte bereits mit mindestens einer hoch-wirksamen Substanz (Natalizumab, Alemtuzumab, Rituximab (off-label) oder vergleichbaren Substanzen) behandelt worden sein und auf diese nicht vollständig angesprochen haben.

Wirksamkeit der aHSCT

Mit der Einführung sehr wirksamer Medikamente bei der MS hat sich ein neuer Begriff zur Wirksamkeit der Behandlungen eingebürgert, der sogenannte NEDA Status («No Evidence of Disease Activity»). Dieser Begriff beschreibt das Fehlen klinischer Krankheitsaktivität (Schübe, Behinderungszunahme) sowie fehlende MRI-Läsionen. Mit einigen der hochwirksamen Behandlungen, z.B. Natalizumab (Tysabri®), Rituximab (Mabthera®) oder Alemtuzumab (Lemtrada®), kann dies bei bis zu 50% der Patienten über 2 Jahre erreicht werden. Sormani et al. (Multipl. Scler. 2016) zeigten, dass die Fraktion der Patienten mit NEDA nach einer aHSCT nach zwei Jahren bei 70-92% liegt. Die Studien sind jedoch nur begrenzt vergleichbar, da sie in der Regel keine interne Kontrollgruppe hatten. Deshalb gilt diese Therapie nach wie vor als experimentell.

Nebenwirkungen

Aufgrund der vorübergehenden Beseitigung eines Grossteils von Immunzellen und der über Monate dauernden Wiederherstellung des Immunsystems können in den ersten drei Monaten nach Transplantation Infekte auftreten. Diese sind für die heute angenommene Transplantations-assoziierte Mortalität von <1% verantwortlich. Bei den bei der European Blood and Marrow Transplantation Society (EBMT) seit 2011 registrierten 230 MS-Patienten, die eine aHSCT erhielten, trat kein Transplantations-assoziierter Todesfall mehr auf. Wir gehen deshalb aktuell von einer Transplantations-assoziierten Mortalität in hierfür spezialisierten Zentren von unter 1% aus. Bei aHSCT mit BEAM-ATG kommt es zu vorübergehendem Ausfall der Haare, Übelkeit, Schädigung von Schleimhäuten und anderen Nebenwirkungen. Diese sind allesamt reversibel. Als Langzeitnebenwirkungen kann es zum Auftreten von Krebs (<2%) sowie zu anderen Autoimmunerkrankungen (?5%; insbesondere Entzündung der Schilddrüse mit anschliessender Unterfunktion) kommen. Darüber hinaus kann die Behandlung bei Frauen, sehr selten auch bei Männern, zu einer Unfruchtbarkeit führen.

Schlussfolgerungen und gegenwärtiger Stand in der Schweiz

Eine Reihe sorgfältig durchgeführter Beobachtungsstudien sowie wenige und kleine kontrollierte Studien aus den letzten Jahren sprechen für eine hohe Wirksamkeit der aHSCT. Demgegenüber steht das nicht unerhebliche Risiko von Nebenwirkungen durch diese Form der Therapie. Auch fehlt bisher eine Vergleichsstudie der aHSCT mit den meisten hochwirksamen zugelassenen Substanzen. In einer randomisierten, kontrollierten Studie, in der die aHSCT mit dem hochwirksamen Mitoxantron verglichen wurde, zeigte die aHSCT überlegene Wirksamkeit. In Anbetracht der Datenlage ist die aHSCT aktuell in keinem Land als Standardtherapie der MS zugelassen und wird von den Krankenkassen in der Schweiz nicht bezahlt. Eine aHSCT wird deshalb aktuell nur in Ausnahmefällen und im Rahmen von Studien empfohlen.

Am UniversitätsSpital Zürich wird eine solche Verlaufsbeobachtungsstudie zur aHSCT vorbereitet. Diese Studie ermöglicht es Schweizer MS-Patienten, die von ihrem jeweiligen betreuenden Neurologen und dem MS Zentrum als mögliche Kandidaten identifiziert werden, eine aHSCT zu erhalten. Die gute Zusammenarbeit zwischen einem erfahrenen Transplantationsteam (in Zürich der Klinik für Hämatologie) und den betreuenden Neurologen ist hierfür essentiell. Die sorgfältige Nachbeobachtung soll eine optimale klinische Betreuung gewährleisten und begleitende wissenschaftliche Untersuchungen offene Fragen zum Wirkmechanismus der aHSCT bei MS untersuchen.


Am 20. Februar 2017 um 21.05 Uhr strahlt SRF eine Folge «Puls Spezial» zum Thema Stammzelltherapie bei MS aus. Anlässlich dieser Sendung steht das Beratungsteam der MS-Gesellschaft am Montagabend von 21.00 bis 23.00 Uhr für Fragen zur Verfügung. In den Tagen nach der Sendung wird die MS-Infoline durch erfahrene Neurologen verstärkt:

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>> Zum Fachartikel von Prof. Dr. Roland Martin:

«Autologe Blutstammzell-Transplantation bei Multipler Sklerose»